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Transformation. Im Kochtopf verwandelt sich Natur in Kultur.
© Stockfood

Food-Aktivist Michael Pollan: Der Mann für heiße Thesen

Michael Pollan wurde berühmt durch seinen Kampf gegen die Lebensmittelindustrie. Nun kocht er selbst. Eine Begegnung bei einer Currywurst.

Das „Time Magazine“ wählte ihn 2010 unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Michael Pollan sagt, das kann nicht stimmen. Denn warum wäre er sonst 2011 nicht mehr dabei gewesen? Hatte er plötzlich keinen Einfluss mehr, obwohl er weiterhin dickleibige Bücher veröffentlichte? Wie gerade eben auf Deutsch: „Kochen – Eine Naturgeschichte der Transformation“.

Der geschulte Blick des amerikanischen Food-Experten, Bestseller-Autors und Journalismus-Professors scannt durch eine dünne Brille die Karte eines Berliner Restaurants auf ein Gericht, das er noch nicht kennt und stoppt bei: Currywurst. Mutmaßliche Berliner Spezialität. Die Cola hat die Küche gleich in die Sauce gerührt. Dazu einen Salat, please.

Zu alltäglich, um als ein besonderer Ort ins Auge zu springen, entging Michael Pollan lange die Relevanz der eigenen Küche. Es hatte ja immer nur seine Mutter darin gestanden. Nach seinen heutigen Erkenntnissen wird dort der Mensch zum Menschen, Natur wird zur Kultur im Topf, über dem Feuer, im Ofen und in den Einlegetöpfen der Welt. Eine Transformation findet statt, wenn die Nahrungsmittel durch Kochen ihre Gifte verlieren, überhaupt genießbar werden. Es gebe jedenfalls kein Tier, das kocht.

Glaubt man Pollan, besteht die akute Gefahr, dass der Mensch diese Kulturtechnik wieder verliert, was daran liegen könnte, dass der Mann aus einem Land kommt, dessen typische Vertreter nur noch 27 Minuten mit der Essenszubereitung verbringen und vier Minuten mit dem Aufräumen.

Pollan hat seit nun 25 Jahren andere Themenfelder der Nahrungskette beackert. Er beschrieb zuerst ganz wörtlich, wie er selbst seinen Garten bepflanzte. Er riet, was wir am besten essen sollen, um gesund zu bleiben („Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht als Essen erkannt hätte“.), und er hat die Produktionsmethoden der amerikanischen Nahrungsmittelindustrie recherchiert, die sich so nur die Gattung Mensch gefallen lässt, die alles isst, auch wenn sie nicht mehr weiß, wo es herkommt: Sein Buch „Das Omnivoren-Dilemma“ wurde Grundlage für den aufklärerischen Film „Food Inc.“.

Und jetzt: Ich denke, also bin ich. Ich koche, also bin ich Mensch?

In etwa. Michael Pollan ist mit „Kochen“ zum Küchenphilosophen geworden, eine der interessantesten Ideen darin, die „Kochhypothese“, stammt von dem Harvard-Professor Richard Wrangham, Anthropologe und Primatologe.

Danach zeichnet sich der Mensch, der Homo erectus, durch zwei Eigenschaften aus: Kurzer Darm und dickes Gehirn. Wobei das Kochen die Bedingung ist für die kurzen Därme, das Schrumpfen der Verdauungsorgane, denn durch gekochte Nahrung kann der Körper in kürzerer Zeit mehr Energie verarbeiten. Und so sind die kurzen Därme die Bedingung für das Entstehen großer Gehirne. Vor dem Zeitalter des Kochens, so die steile These, hätten unsere Vorfahren die Hälfte des Tages nur mit Kauen verbracht. „Durch das Kochen wird die Verdauungsarbeit aus dem Körper ausgelagert.“, schreibt Pollan. Zerkleinert und zersetzt sind die Dinge schon im Topf.

Die durch weniger Kauen und Verdauung gewonnene Zeit konnte der Mensch nutzen, um zu denken. Seine Menschlichkeit komme also nicht etwa von der Verwendung von Werkzeugen oder der Sprache, sondern durch die Erfindung des Kochens. Mit der Versammlung um die Feuerstelle entstand so etwas wie eine Gesellschaft.

Berliner Kultur ohne Darm

Transformation. Im Kochtopf verwandelt sich Natur in Kultur.
Transformation. Im Kochtopf verwandelt sich Natur in Kultur.
© Stockfood

Aber nun kommt das Essen. Das Stück Berliner Kultur, das Pollan bestellt hat, hat keinen Darm und kommt schon geschnitten. „Ist das immer so?“ fragt er unterfordert. Jede Form des Kochens beinhalte Akte des Zerstörens, hatte Pollan geschrieben: Töten, Schneiden, Hacken, Zerstampfen. Das ist hier schon passiert. Er registriert den unverwechselbaren Geruch der Currywurst. Dann stürzt er sich auf seinen Salat.

Wenn alle Wege in die Küche führen, dann muss man auch umgekehrt aus der Küche in alle Welt kommen. „Wenn man da irgendwo zieht, kommt an einem Faden die ganze Welt heraus.“ Weil Pollan über das Kochen nicht nur sinniert, sondern recherchiert, werden seine Bücher Reisen, die tief in die amerikanische Kultur führen. Er heftet sich diesmal an die Fersen von Ed Mitchell, der ein ganzes Schwein über dem offenen Feuer röstet und sich für den Bewahrer des amerikanischen Barbecue hält. Er beschreibt die großartigen Zerstörungsprozesse der Nahrung durch Pilze und Bakterien, die uns via Fermentierung Sauerkraut, Sojasauce, Joghurt, Käse, Bier, Pastrami und Miso bescherten. Ein Drittel aller Lebensmittel in der Welt würden mit dem Gärungsverfahren erzeugt.

„Wie finden Sie es?“ fragt Pollan, über seinen Teller Wurst gebeugt. Er findet, das Fleisch leiste nicht genug Widerstand.

Pollan wurde kulinarisch früh sensibilisiert. Er ist geimpft mit Geschmäckern. Gesegnet mit einer Oma, die Strudelteig auszog und faltete, auszog und faltete. Mit einer Mutter, die sich noch heute ärgert, dass sie sich nie Omas Rezept hat geben lassen, die Julia Child im Fernsehen sah und ihren Kindern Coq au vin und Boeuf Bourguignon kochte. Mit der wachsenden Familie – Pollan ist eines von vier Geschwistern – zogen seine Eltern an ganz gewöhnlichen Samstagen den Tisch immer weiter aus, und als das nicht mehr reichte, mussten sie das Haus erweitern. Da saßen dann einfach, weil wieder Samstag war, die vier Kinder mit ihren Anhängen und insgesamt elf Kindern.

So praktizierte die Familie das Kochen, bis Michael Pollan vor zehn Jahren ins kalifornische Berkeley zog. In der Theorie kommt er jedoch zu dem Schluss: Je höher entwickelt ein Tier ist, desto weniger kaut und verdaut es. Pollan entschuldigt sich. Er verscheucht eine Fliege. Es ist ihm unmöglich, die Pommes und die Currywurst aufzuessen. Zweifellos ist auch das eine Folge der Entwicklung eines 59-Jährigen. Trotzdem siegt auf Reisen noch immer die Neugier über Prinzipien.

Sein Interesse begann, sagt er, mit einer gigantischen Naturschwärmerei, die direkt aus den Heldenbüchern seines amerikanischen Literaturstudiums kamen: Walt Whitman, Melville, Emerson, Thoreau. „Die Natur ist, nach der Bibel, Gottes zweites Buch.“ Es sei eine uramerikanische Idee, dass draußen in der reinen, verehrten Natur eine einzelne Person mit ihrer Wahrheit konfrontiert wird. „Aus dieser Idee entwickelten sich die riesigen Nationalparks – und viele sagen, die seien der größte Beitrag der Amerikaner zum Weltkulturerbe.“

Er selbst besorgte sich Mitte der Neunziger einen Garten in Connecticut und zog nicht einmal einen Zaun drumherum. Das wäre ihm irgendwie feindselig der Natur gegenüber vorgekommen. „Thoreau hätte keinen Zaun gezogen!“

Es dämmerte ihm bald, dass zwischen dem Gebaren der Natur in seinem Garten und seinen Absichten, essbare Pflanzen zu kultivieren, eine gewisse, geradezu unnatürliche Spannung entstand.

"Wir sind Komplizen dieser Art von Landwirtschaft"

Transformation. Im Kochtopf verwandelt sich Natur in Kultur.
Transformation. Im Kochtopf verwandelt sich Natur in Kultur.
© Stockfood

Thoreau hätte aber mit Sicherheit auch nicht die von der Saatgutfirma Monsanto genveränderte Kartoffel „New Leaf Potato“ dort angebaut. Zu Studienzwecken. Und um eben darüber zu schreiben, wie Pollan es für das „New York Times Magazin“ tat. Pollan hatte seine Arena gefunden, um Umweltfragen zu behandeln. Er reiste zu den Kartoffelfarmern nach Idaho, die per Fernbedienung ihre Felder spritzten, die nach diesem Knopfdruck drei Tage lang nicht betretbar waren. Er hatte ja keine Ahnung, dass so die Pommes wachsen! Denn es durfte eben nur diese eine, lange Sorte in Monokultur sein, die von einer Fast-Food-Kette verlangt wurde.

„Wir sind Komplizen dieser Art von Landwirtschaft“, erkannte Pollan. „Weil wir das Kochen auslagern.“ Erst einmal haben alle die Konzerne kritisiert, auch er. In der eigenen Küche eine Veränderung zu beginnen, schien lange zu banal.

Aber nun wollte er sie sich zurückerobern: Er fragte einfach eine seiner Studentinnen in Berkeley, die im legendären „Chez Panisse“ gearbeitet hatte, ob sie ihm das Kochen beibringen könne, das seltsamerweise in allen Kulturen mit dem Schneiden einer Zwiebel beginnt.

Sein Sohn freute sich, dass sein Vater plötzlich mit ihm Bier brauen wollte. Seine Frau beschwerte sich, sie werde bei der ganzen Kocherei immer runder. Das Familienleben wurde insgesamt sozialer, denn jeder Koch braucht Esser.

Pollan weiß auch, dass „Kochen“ privaterer Natur ist als seine vorherigen Bücher. Vielleicht werden seine 399 000 Follower auf Twitter enttäuscht sein, aber dieses Mal legt er sich mit keinem Lebensmittelriesen an, dessen Produktionsmethoden er kritisiert.

Ist es nicht ganz schön zurückgelehnt, sich einzubilden, wenn man für sich selbst einfach das Beste nimmt, dann verändere sich die Welt von selbst? Solange man für sich selbst das Bio-Fleisch, den lange gereiften Käse, das Brot mit dem natürlichsten Korn wählt, entwickle sich automatisch eine derartig schlagkräftige Verbrauchermacht, dass sich die Strukturen schon ändern würden?

Pollan sagt, er sei kein politischer Aktivist. Er ist Autor. Aber Kochen sei eine politische Handlung. Bislang gebe es mehr Veränderungen auf dem Gebiet des Essens dadurch, dass Konsumenten sich anders verhalten als durch ein geändertes Verhalten aller Regierungen.

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