Mode: Richert Beil: Der Kampf um Gleichberechtigung
Das Designerpaar Richert Beil kämpft für eine gleichberechtigte ästhetische Sicht auf die Geschlechter. Dafür arbeiten die beiden mit alten Techniken und traditionellen Stoffen und treffen klare Aussagen.
„Macht doch mal irgendwas, das sexy ist!“ Das wird dem Designerpaar Jale Richert und Michele Beil vom Label Richert Beil immer wieder geraten, denn das bewirbt und verkauft sich leichter. „Für uns ist es ein Anliegen, genau das nicht zu machen“, sagt Jale Richert. „Es gibt genug Menschen, die das nicht mögen. Und die wollen trotzdem wahrgenommen werden und brauchen schöne Kleidung, die auch avantgardistisch ist.“
Vor der Modenschau für den Sommer 2020 redet sie sich in Rage. Die Designerin würde sich die Haare raufen, hätte sie noch welche auf dem Kopf. Doch für die Show, die kämpferisch „Unscharf“ betitelt war, hatten die beiden sich vom Designer Rudi Gernreich und seinem Unisex-Projekt inspirieren lassen und sich die Köpfe geschoren. Der revolutionäre Designer ließ 1970 einem weiblichen und einem männlichen Model sämtliche Haare abrasieren und fotografiert sie dann in den gleichen Kleidungsstücken, um die Konstruktion von weiblicher Attraktivität in Mode und Werbung zu entlarven.
Richert und Beil wollen zeigen, dass sich in den vergangenen 50 Jahren weniger verändert hat, als man denkt. Im Gegenteil – durch die sozialen Medien entwickelt sich das eher zurück. Die ungleiche Skandalisierung der weiblichen Brust zum Beispiel gibt es heute wieder. „Auf Instagram dürfen zwar keine weiblichen Nippel gezeigt werden, gleichzeitig sind Selbstdarstellung und Scham zu Selbstläufern geworden. Besonders Frauen müssen ständig perfekt aussehen und dann trotzdem noch einen Filter drüberlegen. Wir dagegen wollen Menschen unterstützen“, sagt Jale Richert. Deshalb macht Richert Beil keine Mode, die die Träger und Trägerinnen zu Leinwänden ihrer kritischen Positionen macht. Die beiden sind Designer, die den Auftritt auf dem Laufsteg wollen, um ihr Konzept darzustellen. Am liebsten auf der Fashion-Week in Berlin.
Die Idee für das Label Richert Beil war, Ressourcen in und um Deutschland zu nutzen und Trachten sowie deutsche Handwerkskunst in die Moderne zu überführen. Ein besonderes Faible haben sie für unterschiedlich veredelte Wolle. Loden hat es ihnen angetan, dennoch geht es nicht um Janker-Folklore. Nicht zuletzt deshalb sind viele Entwürfe schwarz. Karos und Streifen betonen die präzise Konstruktion und Schnittführung der Entwürfe. Richert und Beil geht es um nichts weniger als darum, ein Modelabel zu etablieren, das aus Deutschland kommt, so aussieht und international ernstgenommen werden kann. Ein Plädoyer für Deutschland als Modeland.
Die Läden sind immer noch in Männer- und Frauenbereiche unterteilt
Ihre Firma so zu etablieren, dafür haben sich Jale Richert und Michele Beil, die sich bereits zu Studienzeiten an der Modeschule Esmod zusammentaten, zehn Jahre gegeben. Nun ist Halbzeit für die Pläne des 2014 gegründeten Labels, das nach langer Vorbereitung im Januar seine erste aufsehenerregende Schau mit dem doppeldeutigen Titel „Alter Ego“ zeigte, ein theatrales Mysterienspiel, eine Parade der Versuchungen für junge Designer und Todsünden der Modeindustrie: das schnelle Geld, Fast Fashion, Lieblosigkeit. War dort Faust auf dem Laufsteg zu sehen, der seine Seele verkauft hat, oder das Abbild des Countertenors Klaus Nomi, der im New York der siebziger Jahre Geschlechter und Gendernormen sprengte? Bei Richert Beil fügt sich Bedeutungsschicht um Bedeutungsschicht zu skulpturalen Formen mit entschieden klaren Kanten.
Mit der neuen Kollektion für Sommer 2020 haben die beiden sich im Juli freigeschwommen: Den ästhetischen Dialog zwischen männlichen und weiblichen Kleiderformen führten sie ganz frei und scheuten sich nicht davor, mit Brokatstoffen und Blumenmustern Ausrufezeichen zu setzen. Historische Themen wie das Korsett gingen in Wollbodys auf, die perfekt geschnittenen Anzüge in feinster Ausarbeitung lassen sich mit feminineren Teilen zu überzeugenden modernen Looks kombinieren, mit denen noch nicht einmal Pellerinen altbacken wirken. Erstaunlich, wie gut die divers zusammengestellten Models mit ihren kahlen Köpfen in den Richert-Beil-Outfits aussahen. Auch unterschiedliche Kleidergrößen spielten plötzlich keine Rolle mehr.
So sehr die Show im Juli und ihr differenziertes Konzept gefeiert wurden, so schwierig gestaltet sich der Alltag. Die Läden sind immer noch in Männer- und Frauenbereiche unterteilt, so dass der Unisex-Anspruch der Kollektion, der Richert Beil so wichtig ist, dort kaum gezeigt werden kann.
Das Paar vertritt mit großem Ernst und Engagement seine Standpunkte. Nach zwei Durchläufen stellen sie der Fashion Week kein gutes Zeugnis mehr aus: „Ohne kommerzielle Designer finanziert sich keine Modewoche, aber in Berlin ist das Gleichgewicht verlorengegangen. Wir haben immer gesagt, wir wollen hierbleiben und Berlin repräsentieren, aber dafür bräuchte es auch ästhetischen Sachverstand in Organisation und Förderung.“
Richert und Beil scheinen nach dem Erfolg der letzten Schau euphorisiert und gleichzeitig frustriert. Zu oft werden junge Labels zu lange als Talente abgestempelt und deutsche Designer von hiesigen anspruchsvollen Modegeschäften schlicht ignoriert. „Auf Dauer kann man es sich nicht leisten, hier immer alles zu geben und nicht unterstützt zu werden. Da stelle ich mich nicht mehr in der deutschen Schlange an, sondern lieber ganz hinten in der internationalen“, sagt Jale Richtert.
Umso wichtiger ist es, dass sich Richert und Beil ein eigenes Netzwerk aufbauen, das internationales Potential hat: Die Schneiderin, die nicht nur ihren Mänteln fantastisch ausgearbeitete Innenleben zaubert, arbeitet auch für den französischen Designer Haider Ackermann. Und in Dagmar Sucrow-Barthel, die als Art-Direktorin Helmut Lang mit aufgebaut hat, haben sie eine Förderin: „Sie ist nach unserer ersten Show gekommen und nie mehr gegangen.“ Die Modeveteranin scheucht Richert und Beil, wenn ihnen mal die Puste auszugehen droht. „Ich würde jetzt nicht sitzen“, sagt sie den beiden dann. „Vom Sitzen wird man müde.“
Ingolf Patz