Berliner Schnauzen (19): Der Erdwolf
Zucki macht einen auf Raubtier. Er brüllt wie ein Löwe. Bleckt scharfe Eck- und Schneidezähne. Baut sich mutig vor Feinden auf. Nennt sich Wolf.
Alles Show, Erdwölfe sind Blender. In Wirklichkeit sind sie weder Wölfe noch Hunde, sondern die kleinsten aller Hyänen. Ein Name, den sie kaum verdienen. Sie werden maximal 50 Zentimeter hoch, zwölf Kilo schwer. Wie die übrigen Hyänen stehen sie auf längeren Vorder- als Hinterbeinen. Rücken werden zu Rutschbahnen. Dank des hochgelegenen Gebisses können Hyänen schwere Beute tragen. Eigentlich.
Der Erdwolf spielt die Stärke nur. Da war zum Beispiel diese Szene, zu sehen in einem Video im Internet. Ein Gepard, das schnellste Tier der Welt, nähert sich einem Erdwolf. Der rennt davon, überlegt es sich anders, wendet sich todesmutig dem Feind zu und stellt die Nackenhaare auf. Plötzlich ist die kleine Hyäne doppelt so groß. In Südafrika heißen die Tiere deshalb „Maahnhaarjakkals“ – Mähnenschakale. Der Gepard flieht.
Tierpark-Erdwolf Zucki wäre zu solch einer Heldentat wohl nicht in der Lage. Er ist ein Angsthase. In geschlossenen Räumen wird er panisch, beginnt, sich selbst zu beißen. Schauer laufen über seinen gestreiften Rücken, daher der Spitzname. Ein Aufenthalt in der Klinik half nicht. Zucki bleibt ein empfindsames Raubtier.
Hyänen sind Aasfresser, die Tüpfelhyäne hat das stärkste Gebiss im ganzen Tierreich. Zucki profitiert von diesem Schreckensimage. Sein Gebiss ist wie bei allen Erdwölfen verkümmert, die Backenzähne sind kleine Stifte. Er frisst nur Termiten. Wie Ameisenbären, Gürteltiere und Erdferkel. Anders als die, hat der Erdwolf nicht einmal scharfes Krallenwerkzeug, um die Hügel der Insekten aufzubrechen, sondern nur eine klebrige, spatelförmige Zunge. Damit schleckt er seine Beute, wenn die auf ihre übliche Nachtwanderung geht, einfach auf. Es fließt viel Speichel.
Die Termiten sind so saftig, dass der Erdwolf kein Trinkwasser braucht – ein ziemlicher Vorteil in seiner Heimat, den Wüsten Ost- und Südafrikas.
Mit seinen großen Ohren hört er die Termiten wandern, seine feine Nase riecht das Sekret, das sie absondern, wenn sich der Erdwolf nähert. Junge Erdwölfe übergeben sich davon, erwachsene haben sich daran gewöhnt.
Wenn die Termiten dann ihre Abwehr organisieren, ihre Soldaten auf den Erdwolf ansetzen, ihm in die Nase zwicken, ist es Zeit, weiterzuziehen, den nächsten Hügel anzusteuern und erneut überraschte Insekten einzuspeicheln. Auf diese Weise löscht der Erdwolf niemals ein ganzes Volk aus. Wenn Menschen Termiten allerdings mit Insektiziden vernichten, tötet das langfristig auch den Erdwolf.
Fütterungszeit im Tierpark, dem einzigen deutschen Zoo, der die Möchtegernwölfe besitzt. Es gibt einen Brei aus Hundefutter, Eiern, Haferflocken und Obst für den Geschmack. 300 000 Termiten, etwa zwei Kilo, die der Erdwolf pro Nacht aufschlecken will, kann der Tierpark nicht beschaffen.
Ein Regentropfen trifft Zuckis Kopf, er lässt sofort von seinem Napf ab, schaut sich schaudernd um. Seine Frau nimmt ihr Mittagessen derweil im Trockenen ein – vielleicht hat sie die Schnauze voll von Zuckis Neurosen.
ERDWOLF IM TIERPARK
Lebenserwartung: 15 Jahre
Fütterungszeiten: Mo–So 14.15 Uhr
Interessanter Nachbar: diverse Hyänen
Letzte Tiere: Kiwi, Stinktier und Afrikanische Zwergziege.