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Das Symbol für so vieles, für das die USA stehen: Die Freiheitsstatue in Manhattan, New York City.
© AFP

Land of the free?: Der American Dream ist zum Albtraum geworden

Erst waren die USA ein Sehnsuchtsort, bei näherer Bekanntschaft wurde aus dem Reiz Irritation. Doch jetzt gibt es wieder Anlass zur Hoffnung. Eine Kolumne.

Tagesspiegel-Kolumnistin Hatice Akyün.
Eine Kolumne von Hatice Akyün

Während bei meinen deutschen Freundinnen in ihrer Teenagerzeit Madonna und Duran Duran über dem Bett hingen, waren es bei mir die Golden Gate Bridge und die Statue of Liberty. Ich wuchs mit „Die Straßen von San Francisco“, „Kojak“ und „Drei Engel für Charlie“ auf.

Mit „Es war einmal in Amerika“, „Breakfast Club“ und „Die Farbe Lila“. Als Tochter von anatolischen Gastarbeitern, die ihre ganze Kindheit und Jugend nur Duisburg und das Dorf ihrer Eltern kannte, war Amerika für mich der Inbegriff von Freiheit.

Wie gestern erinnere ich mich daran, als ich 1991 da stand in New York inmitten der Wolkenkratzer und vom nach oben Schauen Nackenschmerzen bekam. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass das Amerika, das von außen so strahlte, nicht das Amerika war, wie es sich von innen lebte.

Ein „Land of the free“ nur für jene, die es sich leisten konnten. „The best things in life are free“ dudelte täglich aus dem Radio. Später ergänzte ich oft spöttisch: „But the better things cost you.“ 

Verbote und fettfreie Schokolade

In New York habe ich den ersten Obdachlosen meines Lebens gesehen. In Nevada bin ich von einem Polizisten wie eine Kriminelle behandelt worden, weil ich die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten habe, die Flasche Wein, die ich mit zu FreundInnen nahm, musste ich in einer blickdichten Papiertüte transportieren. Es waren Verbote, die mir prägend in Erinnerung geblieben sind.

Ein Land, in dem es unmöglich war, sich am Strand oben ohne zu sonnen, aber an jeder Ecke eine Waffe kaufen konnte. Wo es fettfreie Schokolade und Stromausfälle gab, Antibiotika im Drogeriemarkt und Nudeln ohne Kohlenhydrate.

Ein Land, in dem 100 Quadratmeter Wohnfläche 45 Millionen Dollar kosten konnte und Frauen sich die Zehen brechen ließen, damit sie Designer-Highheels tragen können. Bis heute ist Amerika für mich ein Land voller Widersprüche geblieben. 

Jederzeit kann man seine Identität neu erschaffen, denn es ist die Verpackung, die zählt, der Inhalt ist uninteressant. Alles, was man macht, muss ein Ziel haben. Selbst der Spaß. Schöner Schein, DarstellerIn eines großen Theaters, Kampf ums Schlanksein, ums Fitsein, ums Reichsein. Kontakte müssen sich lohnen, auch auf der privaten Geburtstagsfeier, denn man ist verdammt zum Erfolg.

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Manchmal ist dieses Land nicht weit entfernt von einem Entwicklungsland. Hier hat jeder ein Stück Macht, die er ausspielt und sei es der Müllmann, der den ganzen Müll oder nur einen Teil mitnimmt und die Post kommt, wenn man dem Boten ordentlich Trinkgeld gibt. Ein System mit Willkür, das Donald Trump seit nunmehr fast vier Jahren vorlebt. 

Noch zwei Mal habe ich versucht, in Amerika zu leben, bis ich mir eingestehen musste, dass ich die Freundlichkeit zwar toll finde, aber Freundschaften vermisse, die mehr waren als „friends with benefits“. Es ist der brutale Kapitalismus, der das unmöglich macht.

Hoffnung auf Wandel

In dem anatolischen Dorf, in dem ich geboren wurde, war man aufeinander angewiesen, nur so funktionierte die Gemeinschaft. Die deutsche Stadt, die mich sozialisiert hat, lebte Solidarität ganz selbstverständlich, bevor es zu einem Schimpfwort für Gutmenschen wurde. 

Wenn es ihn jemals gegeben haben sollte, den American Dream, dann hat ihn spätestens ein Trump zu einem Albtraum gemacht. Meine Hoffnung ist, dass die Amerikaner das nun endlich verstehen. Dass sie begreifen, dass ihr Land nicht vom Sozialismus oder Terrorismus von außen bedroht wird, sondern von einem Kriminellen, einem Egomanen, der seine persönliche Freiheit nur mit Wegschießen von friedlichen Demonstranten erreicht.

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