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Auf Intensivstationen kämpfen tausende Menschen ums Überleben.
© Robert Michael/dpa

Video-Aktion „Alles dicht machen“: Das Virus versteht keinen Humor

Was ist von der Aktion „Alles dicht machen“ zu halten? Fragen Sie mal die Menschen auf den Intensivstationen, die um ihr Leben kämpfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Joachim Huber

Für ihre Popularität hätte es die Aktion wahrlich nicht gebraucht. Ob Meret Becker, ob Jan Josef Liefers oder Ulrich Tukur, das ist die erste Reihe der Schauspielerinnen und Schauspieler im Land, Millionen schalten ein, wenn ihr „Tatort“ läuft. Mit dieser Popularität lässt sich viel Gutes anschieben, beispielsweise die laufende Impfkampagne.

Das wollten Dutzende der bekanntesten Film- und Fernsehschauspieler nicht, sie versammelten sich hinter #allesdichtmachen, einer Protestaktion gegen die Corona-Politik der Bundesregierung.

In 51 Videos auf Instagram und Youtube werden Statements formuliert, Tukur beispielsweise fordert: „Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz.“ Liefers bedankt sich in seinem Clip „bei allen Medien unseres Landes, die unermüdlich verantwortungsvoll dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben.“

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Der ironische Unterton ist nicht zu überhören, die Kritik an der „Bundesnotbremse“ wird mal besser, mal schlechter auf die satirische Spitze getrieben. Es steckt eine Menge selbstgewisses Kunstwollen im Hashtag.

Die Aktionisten müssten, da sie so vieles besser wissen, genau dieses auch besser wissen: Das Virus kennt keinen Humor. Das Coronavirus ist tückisch, seine Ironie heißt Mutation, es will sich nicht unterkriegen, wegimpfen lassen, es will infizieren, krank machen. Es kann auf seine Statistik stolz sein, mehr als 80.000 Deutsche sind an Covid 19 gestorben.

Was ist das für eine Ironie, die sich über eine tödliche Pandemie ins parfürmierte Parlando verliert?

Dagegen stemmen sich Politiker, Mediziner, Pflegende, Angehörige, Impfwillige, Menschen mit Maske und auf Abstand, dagegen kämpfen auf den Intensivstationen Patientinnen und Patienten an, nicht jeder Kampf ist erfolgreich. Ob die über #allesdichtmachen herzlich lachen können, den vielen Stars applaudieren, wenn diese im schicken Zuhause warm und sicher sitzen und ihre aufgeschriebenen Texte rezitieren?

Was ist das für eine Ironie, die sich über eine tödliche Pandemie ins parfürmierte Parlando verliert, die einem gewichtigen, gleichwohl notwendigen Eingriff in die Bewegungsfreiheit des Einzelnen mit Schrumpfsarkasmus begegnet?

Corona-Leugner bejubeln die Aktion, die AfD applaudiert ihrer „Intelligenz“, Aluhüte scheppern allerorten, endlich sind die Gegner der Corona-Maßnahmen nicht mehr allein an der Querdenker-Front. Deutschlands Schauspiel-Prominenz wollte nicht länger nur dabei, sie wollte mittendrin sein.

[Lesen Sie auch: Wie eine Berlin Ärztin Corona zu bekämpfen versucht (T+)]

Becker, Liefers, Tukur, sie und all die anderen haben ihr unbestreitbares Recht auf Meinungsäußerung genutzt, zugleich haben sie einen Keil in die Solidarität der Vernünftigen, der Vorsichtigen, der Virus-Befallenen getrieben. War vielleicht gar nicht ihre böse Absicht, doch darf der Fraktion der Gaukler nicht zugestanden werden, dass sie die Wirklichkeit so lange verbiegen, bis sie ins Weltbild von Scherz und Keks passt.

Das Leben unter Pandemie-Bedingungen wird noch härter, noch anstrengender, die Pauschalität der Maßnahmen wird zur individuellen Lebenssituation nicht passen, als massiv und maßlos empfunden werden. #allesdichtmachen ist die passende Metapher dafür. In dem Moment, in dem dieser Satz geschrieben wird, fahren wieder Rettungswagen durchs Land und bringen Corona-Infizierte in die Intensivstationen. Mit Ignoranz kommt keine Heilung.

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