Rapperfehde in Berlin: Bushido gegen Fler – ein Streit in 54 Akten
Die Rapper Bushido und Fler können sich nicht ausstehen. Warum eigentlich? Und was verrät das über den deutschen Hip-Hop? Sektion einer Feindschaft
Anfang September steht Patrick Losensky, der sich als Rapper Fler nennt, auf dem Balkon seiner Wohnung in einer Hochhaussiedlung in Berlin-Lichterfelde und sagt, Bushido sei ein „Eierkopf“, ein „Parasit“, eine „linke Bazille“. Er filmt sich dabei mit dem Smartphone, seine Wutrede wird im Internet live von Tausenden Fans verfolgt. Mehrfach droht Fler mit Gewalt: „Wenn ich dich sehe, Bushido, ich haue dir einfach auf die Fresse.“
Ein paar Tage zuvor hat der 37-Jährige von einem bösen Gerücht erfahren. Anis Ferchichi, der sich als Rapper Bushido nennt, werde bald ein neues Album veröffentlichen, auf dem er Fler übel beschimpfe. Es wäre die nächste Eskalationsstufe in einer langen Feindschaft zwischen zwei der erfolgreichsten Rapper Deutschlands. Zweier Berliner, die sich einst während ihrer Ausbildung zum Maler und Lackierer kennenlernten, enge Freunde wurden und zusammen Musik aufnahmen.
Wie konnte es so weit kommen? Und wer trägt Schuld? Wer sich die Mühe macht, der Geschichte dieses Rosenkriegs nachzuspüren, erfährt eine Menge über Enttäuschungen, verletzte Gefühle und Neid, aber auch über die Mechanismen der Musikindustrie und das Dilemma des deutschen Hip-Hops.
Im Dezember 2004 veröffentlicht Fler den Song „Hollywoodtürke“, der eigentlich als Beleidigung gegen den Rapper Eko Fresh gedacht ist. An einer Stelle findet allerdings auch Bushido Erwähnung: Fler nennt ihn „Pussido“.
[Berlin bis in den Kiez: Die Leute-Newsletter aus den Berliner Bezirken gibt's gratis vom Tagesspiegel, und zwar hier: leute.tagesspiegel.de]
Bushido antwortet mit dem Lied „Flerräter“, in dem er seinem langjährigen Freund vorwirft, keinen Respekt mehr zu zeigen. Zudem beschimpft er Fler als „Troll“, „Opfer“, „Idiot“ und „unintelligentes Stück deutsche Scheiße“. Bushido erinnert Fler daran, dass dieser in der Vergangenheit mehrfach bei ihm habe übernachten dürfen, Bushidos Mutter habe ihn bekocht. Außerdem nehme Fler aktuell immer mehr an Gewicht zu.
Fler beteuert, Bushidos Mutter nicht beleidigt zu haben
Als Fler das Lied zum ersten Mal hört, verletzt es ihn nach eigener Aussage schwer. Er revanchiert sich mit dem Stück „Du Opfer“. In diesem weist er Bushidos Vorwürfe zurück: „Du weißt ganz genau, ich würd niemals deine Mutter beleidigen. Ich frag mich echt, warum du so viel Scheiße über mich erzählst.“ Außerdem behauptet er, mehrere Alben Bushidos seien eigentlich seine Idee gewesen.
Bushido kündigt an, eine Fortsetzung des Albums „Carlo Cokxxx Nutten“ zu machen. Dieses war ein gemeinsames Projekt mit Fler. Für die Fortsetzung will Bushido seinen alten Partner nun gegen einen anderen Rapper austauschen. Fler kann sich nicht wehren, Bushido hat sich die Markenrechte gesichert. Im April 2005 erscheint „Carlo Cokxxx Nutten 2“. Fler wird darauf mehrfach beleidigt, unter anderem als „fette Kartoffel“.
Im Folgejahr veröffentlicht Fler das Lied „A.G.G.R.O Gee“. Darin verkündet er, er schäme sich für Bushido, weil dieser den deutschen Rap „eklig“ gemacht habe. Bushido lasse sich seine Texte von Fremden schreiben und habe den Musikpreis Echo nur dank einer manipulierten Telefonabstimmung gewonnen. Außerdem sei Bushido an Aids erkrankt.
"Als ob ein Kind gegen den Vater rebelliert"
Bushido dementiert. Ihm komme dieses Lied vor, als ob „ein Kind gegen seinen Vater rebellieren würde“. Fakt sei, dass er Fler ins Rap-Business gebracht habe. Ohne ihn gäbe es Fler heute nicht. Er habe ihm so oft geholfen, dass dieser kein Recht habe, den Namen Bushido auch nur laut auszusprechen. Mit seiner jüngsten Aktion habe Fler „endgültig den Vogel abgeschossen“.
Dass sich Rapper untereinander streiten, ist nicht ungewöhnlich. Man nennt es Beef haben. Sie tun es, weil sie sich tatsächlich nicht leiden können, weil sie sich Aufmerksamkeit für ein neues Album erhoffen oder einfach aus Imagegründen. Bushido etwa hatte schon Beef mit Sido, Eko Fresh, Kay One, Kollegah, Farid Bang, Alpa Gun, Bonez, Capital Bra, Rooz, Manuellsen, Animus, Massiv, Raptile und Bass Sultan Hengzt. Aber das mit Fler, das hat eine andere Dimension.
Wer gibt mehr Geld für Bling-Bling aus?
Im Februar 2007 sucht Bushido einen Juwelier in Zürich auf. Dort kauft er sich ein Diamantarmband für 230 000 Euro. Freunden verrät er den Grund: Fler habe seinerseits in einem Interview mit einer 20 000 Euro teuren Halskette geprahlt. „Ich glaube, jetzt habe ich in Sachen Bling-Bling wieder so einiges klargestellt. Vor allem, wer die Nummer eins ist.“
Im November 2007 veröffentlicht Fler einen Song, in dem er Bushido vorwirft, sich bei der Verleihung der „Europe Music Awards“ in München vor ganz Europa blamiert zu haben. Bushido habe dort nämlich „gestottert und gesabbert“. Außerdem sei Bushido „nicht hübsch“, habe „eine Fresse wie Seal“ und sei insgesamt „ein Vogel mit Ananas-Frisur“. Darüber hinaus sei Bushido gar nicht imstande, authentisch über das Leben im Ghetto zu rappen. Schließlich besitze dieser das Abitur – was allerdings nicht stimmt.
Später im Monat lädt der Musikkanal MTV Fler in seine Livesendung „TRL“. Der Gast nutzt die Gelegenheit, Bushido erneut zu beleidigen und vor laufender Kamera dessen Tourplakat, das im Studio hängt, von der Wand zu reißen. Am Abend wird er von drei Maskierten mit Messern bedroht. Fler glaubt, Bushido könnte die Männer beauftragt haben. Der Beschuldigte dementiert.
"So wie Fler wollte ich nicht enden"
Im September 2008 erscheint Bushidos Autobiografie. Darin äußert er sich enttäuscht darüber, dass Fler in den Nullerjahren seine Ausbildung zum Maler und Lackierer abbrach: „Leider hatte Fler nicht so einen starken Willen wie ich.“ Er habe Fler damals als derart abschreckendes Beispiel wahrgenommen, dass er selbst zwischenzeitlich überlegte, an der Abendschule das Abitur nachzuholen: „So wie Fler wollte ich nicht enden.“ Im Buch verrät Bushido außerdem, dass er das legendäre Album „Carlo Cokxxx Nutten“ eigentlich lieber mit jemand anderem als Fler aufgenommen hätte.
März 2009. Beobachter spekulieren, die Kontrahenten könnten sich versöhnt haben. Als Indiz dafür gilt die Tatsache, dass sich beide Rapper gegenseitig auf Platz zwei ihrer jeweiligen Top-FriendsListe bei MySpace gesetzt haben.
Fler bestätigt schließlich die Versöhnung. Bushido habe sich telefonisch bei ihm gemeldet, sie hätten sich zu einem Treffen an einer Shell-Tankstelle in Lichterfelde verabredet. Dort seien sie sich in die Arme gefallen, hätten auch gelacht. Fler schwärmt: „Das war wirklich schön.“
Sie planen, ein gemeinsames Album aus der Reihe „Carlo Cokxxx Nutten“ aufzunehmen. Fler unterschreibt einen Vertrag bei Bushidos Plattenfirma. In einem Interview erklärt Bushido: „Die Fler-Bushido-Geschichte ist eine ganz seltene positive Nachricht im Zeitalter des negativen Deutschraps.“ Übrigens habe er sich von Fler zu keiner Zeit verraten gefühlt.
Es wurde einfach nicht mehr so wie früher
In seiner Autobiografie wird Fler später analysieren, dass ihr Verhältnis zu diesem Zeitpunkt nur scheinbar harmonisch war: „Die Freundschaft zwischen Bushido und mir wurde einfach nicht mehr so wie früher.“ Bei gescheiterten Liebesbeziehungen spreche man ja auch davon, dass sich zwei Partner auseinandergelebt hätten: „Genau das schien mit uns passiert zu sein.“ Er verlässt Bushidos Plattenfirma und gründet seine eigene.
Ende 2013 gerät Bushido mit dem Rapper Kay One in Streit. Als Fler auf Twitter von einem Fan um eine Stellungnahme zum Thema gebeten wird, antwortet dieser, er habe „kein Problem mit Kay“. Dies wertet Bushido als illoyalen Akt: Flers Reaktion sei „ein absolutes Unding“ sowie „einer der größten Fehler, die man machen kann“. In einem Tweet benutzt Bushido die Hashtags #nichtproistcontra sowie #feminin, womit er auf Flers Plattenfirma „Maskulin“ anspielt.
Im Januar 2014 erklärt Bushido gegenüber dem Hip-Hop-Magazin „Backspin“, er habe mit Fler seit vier Jahren „absichtlich nichts zu tun“, habe auch einige geschäftliche Angebote von Fler abgelehnt.
Fler droht Bushido "eine Schelle" an
Im September 2014 streiten sich die beiden auf Twitter. Fler droht Bushido „eine Schelle“ an und schlägt einen Kampf vor: „Lass uns treffen, 1 gegen 1.“ Bushido unterstellt Fler, dieser spucke nur deshalb große Töne, weil er mit der Polizei zusammenarbeite. Er nennt ihn einen „31er Hund“, ein Szenewort für Verräter, das auf den Paragrafen 31 des Betäubungsmittelgesetzes anspielt, der Informanten Strafminderung in Aussicht stellt. Flers Antwort: „Ich will mit so einem Dreck wie dir nix zu tun haben.“
Im Februar 2015 veröffentlichen beide neue Alben, auf denen sie sich gegenseitig beleidigen. Bushido unterstellt Fler, dieser plane, Conchita Wurst einen Plattenvertrag anzubieten. Fler behauptet, Bushidos Album wäre ohne seine Mithilfe „eine Blamage“.
Kritiker werfen beiden vor, ihre gegenseitige Abneigung sei nur gespielt, diese solle lediglich die Verkaufszahlen erhöhen. Beide bestreiten das. Dennoch kommt es im Laufe des Jahres zur Versöhnung, sie stehen sogar in Berlin bei einem Konzert zusammen auf der Bühne. In den Folgemonaten veröffentlichen sie mehrere gemeinsame Songs.
"Das ist, als ob du ein Kind mit einer Frau hast"
Bushido erklärt, ihr Verhältnis sei doch „immer okay“ gewesen, man habe sich ja nie im Todesstreit miteinander befunden. „Das ist, als ob du ein Kind mit einer Frau hast“, sagt er. „Auch wenn du mit der nicht mehr zusammen bist, hast du aufgrund des Kindes immer was mit ihr zu tun. So ist das halt auch ein bisschen mit Fler.“ Das Kind stehe hierbei für die gemeinsame Vergangenheit.
Im Sommer 2017 verkündet Fler in einem Interview, Bushido lasse sich Texte von dem Rapper Laas Unltd. schreiben. Später erklärt er, diese Aussage sei jedoch nicht böse gemeint gewesen. Er habe bloß gesagt, Laas assistiere Bushido bei Songs, nicht, dass er sie komplett für ihn verfasse. „Das war ein Missverständnis.“
Dennoch revanchiert sich Bushido in einem Interview: Wenn Fler Songs aufnehme, offenbare er große Faulheit, sitze „stundenlang im Studio“ und mache „gar nichts“, stattdessen lasse er fünf Leute für sich arbeiten.
Als Fler dies hört, sagt er, er habe sich gerade erst in seinem Studio „zwei Tage lang den Arsch aufgerissen“ für einen Song auf Bushidos nächstem Album. Er überlegt angeblich, den Song nun zurückzuziehen, entscheidet sich dann aber nach eigener Aussage, „großherzig zu sein“.
Zudem will er ein Muster in seiner Beziehung zu Bushido erkannt haben. „Der einzige Grund, warum es immer so emotional wird: Man geht wieder hin und öffnet sein Herz, und dann wird man wieder enttäuscht.“ Fler sagt, dieses Mal reiche es ihm endgültig.
Fler beklagt, Bushido habe nichts von ihm retweetet
Fler beklagt auch, Bushido habe in den vergangenen drei Jahren auf Twitter nichts von ihm retweetet oder geliked.
In einem Interview verteidigt sich Bushido gegen den Vorwurf, er nehme Fler dessen Mitarbeiter weg. „Die Leute, die jetzt mit mir arbeiten, haben wohl einen Grund gehabt, nicht mehr mit ihm arbeiten zu wollen.“
Im März 2018 erklärt Fler, er habe mit Bushido abgeschlossen: „Ich hab mit dem nichts mehr zu tun und werde mit ihm auch nie wieder etwas zu tun haben.“ Musikalisch habe er „Bushido mehr geholfen als er mir, also ich war sein Ghostwriter bei den ersten drei bis vier Alben.“
Im September 2018 veröffentlicht Bushido ein neues Album, auf dem er die Worte „Inzest, Maskulin“ rappt. Fler wertet dies als Angriff gegen seine eigene Plattenfirma „Maskulin“.
Im März 2019 erklärt Fler, Bushido sei „eine arme Seele“. Er selbst habe lange gehofft, sie würden zusammenhalten, doch Bushido habe ihn „immer wieder hängenlassen, und das ist schon mein halbes Leben so“. Sein Erzfeind habe „Leute auf mich geschickt, mir mein Leben schwergemacht, schlecht über mich geredet, mir Business-Sachen verkackt. Er hat alles getan, was man überhaupt nur tun kann, um jemanden zu unterdrücken.“
Im selben Monat stürmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei frühmorgens Flers Wohnung. Grund sind Ermittlungen in der Sprayerszene. Fler dagegen glaubt, man habe ihm einen „Denkzettel“ verpassen wollen, weil er online ein Foto von Bushido an der Seite von zwei Personenschützern verbreitet hat.
"Pathologischer Psychopath"
Im April bezeichnet Fler Bushido als „pathologischen Psychopathen“ und „Paradebeispiel von einem Verräter“. Außerdem sei Bushido wohl mit einem „Bild“-Reporter verheiratet, weil das Blatt immer so positiv über ihn berichte.
Im Juni behauptet Fler auf Instagram, Bushido habe seine Fans belogen und die gesamte „Mentalität verraten, was ein Rapper sein sollte“. Im Gegensatz zu Bushido sei er selbst nie zur Polizei gegangen, bekomme keinen Polizeischutz. Wenig später beschimpft er Bushido als „Hund“, „Schwanz“, „Tyrann“, „Schlange“ und „Bastard“. Es gebe keinen Menschen, der ihn „öfter verkauft hat als Bushido“, und jeder, der sich in Berlin auskenne, könne dies bestätigen.
Im September verkündet Bushido, an einem neuen Album aus der Reihe „Carlo Cokxxx Nutten“ zu arbeiten – natürlich wieder ohne Fler. Es heißt, Bushido werde Fler auf diesem heftig beleidigen. Fler antwortet, er habe bereits einen neuen Song gegen Bushido aufgenommen. Dieser werde veröffentlicht, sobald Bushido ihn beleidige.
Bushido ruft seine Fans dazu auf, auf Flers Instagram-Seite massenhaft Karotten-Emojis zu hinterlassen. Angeblich bekam Fler einmal von verfeindeten Rappern eine Möhre gewaltsam in den Anus eingeführt. Fler dementiert das. Zigtausende folgen dem Aufruf.
Dann mischt sich auch noch Bushidos Ehefrau ein
Fler beleidigt eine junge Frau, die sich als Bushido-Fan bezeichnet. Daraufhin mischt sich Anna Maria Ferchichi, Bushidos Ehefrau, ein und behauptet, Fler sei „schwer gestört“ und außerdem ein „armes, krankes Schweinchen“.
Bushido veröffentlicht auf Instagram ein Bild, das Fler als Karotte zeigt.
Am 18. September verbreitet Fler einen Link zu einer Tonbandaufnahme, auf der Bushido im Gespräch mit seinem einstigen Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker zu hören ist. Die beiden streiten sich zwei Stunden lang über Grundstückspreise, Wegerecht, Immobiliengutachter und Termine mit der Baubehörde. Vier Tage später wird Fler auf Instagram von einem Fan gefragt, ob er Angst vor Bushido habe. Seine Antwort: „Glaub es mir, ich bin sein größter Albtraum.“