Die Mode von morgen ist heute schon von gestern: Burberry: Christopher Bailey überholt sich selbst
Christopher Bailey brachte mit einer Ankündigung so viel Schwung in die Modebude: Der Chef von Burberry will sich nicht mehr an den klassischen Schauenkalender halten.
Früher klebten die Modehändler farbige Folien in ihre Schaufenster, damit die Kleidung bis zum Ende der Saison nicht verblich. Die Kundschaft konnte ja hereinkommen, um sich die neueste Mode aus der Nähe anzuschauen.
Heute muss man Kleidung nicht mehr schützen, heute muss sie so schnell wie möglich raus. Die Zyklen haben sich so beschleunigt, dass kaum noch jemand weiß, was von heute oder gestern ist. Die Läden sind noch voll mit reduzierten Wintermänteln, daneben stapeln sich schon die T-Shirts für den Frühling, stehen Sandalen für den Sommer, während im Internet die Bildern der Mode für den nächsten Herbst dominieren. Und was bei den letzte Woche zu Ende gegangenen Prêt-à-porter-Schauen in Paris für Herbst/Winter 2016/17 gezeigt wurde, wird von Berichterstattern als „Anything goes im Google-Stil“ beschrieben.
Die gute Nachricht war: Wir sind jetzt ein Jahrzehnt weiter. Nach den 70er Jahren mit weiten Hosen, Blumen, Hippiemustern und entsprechenden Farbkombinationen werden jetzt mal wieder die 80er Jahre nacherzählt: große Schulterpolster, breite Gürtel, die Taillen einschnüren und asymmetrisch gewickelte Kleider mit nur einer verdeckten Schulter. Natürlich gibt es außerdem auch sportliche Elemente, Jeansstoffe, sehr puristische Kleidung, Daunenmäntel, Bikerjacken, Blümchenkleider, Pythonmuster, Gummimäntel.
Wenn alles geht, ist auch alles egal. Auch deshalb brachte Christopher Bailey mit einer Ankündigung so viel Schwung in die Modebude, wie das mit Entwürfen schon lange nicht mehr möglich ist. Der Chef des britischen Traditionshauses Burberry will sich ab September nicht mehr an den klassischen Schauenkalender halten, der große und kleine Designmarken wie ein enges Korsett in ihrer Arbeitsweise einspannt.
Ab sofort soll Schluss sein mit der Vorschau ins nächste Modejahr, was Burberry vorführt, soll nur ein paar Stunden später in den Läden verkauft werden, online und in Läden. Die Kollektionen sind dann nicht mehr wie bisher für Herbst/Winter oder Frühjahr/Sommer, sondern sollen prosaisch „Februar“ und „September“ heißen. Irgendwo ist schließlich immer Sommer. Auch die Trennung der Geschlechter soll es in Zukunft nicht mehr geben. Frauen- und Männerkleidung soll zusammen gezeigt werden.
Zara weiß: Der Kunde hat sich daran gewöhnt, sofort zu bekommen, was er begehrt
Der Geschäftsführer des Deutschen Modeinstituts, Gerd Müller-Thomkins hält das alles für nichts Neues. „Das ist geniales Marketing. Bailey greift auf, was sowieso schon da ist“, sagt er. Bisher wecken Modenschauen Begehrlichkeiten, die dann nicht sofort, sondern erst ein halbes Jahr später erfüllt werden – und das passt einfach nicht mehr in unseren Zeitgeist.“
Das machen vertikale Modeanbieter wie Zara schon länger vor. Der Kunde hat sich daran gewöhnt, sofort zu bekommen, was er begehrt. Damit hat auch Christopher Bailey schon experimentiert. Nicht nur war er einer der Ersten, die 2010 ihre Modenschauen live im Internet zeigten, er stellte auch noch während der Schau einzelne Teile zum sofortigen Verkauf zur Verfügung. Heute sind die Umkleidekabinen bei Burberry digital vernetzt, sodass man seinen neuesten Trenchcoat sofort der ganzen Welt zeigen kann.
Inzwischen gehört die Einbindung möglichst vieler Menschen zu einer erfolgreichen Modenschau dazu. Müller-Thomkins beobachtet gerade auch in Berlin eine „Demokratisierung der Modewoche und damit verbunden eine Proletarisierung“. Es geht eben nicht mehr in erster Linie um Kleidung und die Qualität des Gezeigten, sondern um das, was drumherum passiert. Deshalb sind Hunde, Transvestiten, Ganzkörpertätowierte auf den Laufstegen auch keine Seltenheit mehr. Wer bekommt die meisten Tweets und Likes, wer verkauft am meisten Teile? Was das für die Rolle der einst so wichtigen Modejournalisten, Trendforscher und Einkäufer bedeutet, ist noch ziemlich ungewiss. Die Marken übernehmen es zunehmend selbst, mit ihren potenziellen Kunden Kontakt aufzunehmen. Da wird die Art der Inszenierung immer wichtiger für das Image.
Über diese Entwicklung hat die Designtheoretikerin Pamela C. Scorzin soeben ein ganzes Buch veröffentlicht: „Scenographic Fashion Design“ Zur Inszenierung von Mode und Marken“. Für die Professorin der Kunstwissenschaften garantieren spektakuläre und originelle Modenschauen kostenfreie, weltweite mediale Berichterstattung. Durch Modefans bekommen sie virales Marketing, das weitaus kostengünstiger und effektiver ist als herkömmliche Werbung.
Christopher Bailey hat seinen großen Auftritt im September noch vor sich. Wie er nicht nur Kleidung zeigen, sondern gleichzeitig verkaufen will, weiß er selber noch nicht. Aber, so gibt er in einem britischen Fachmagazin fröhlich zu Protokoll, es gebe niemanden, der es schon ausprobiert hätte. Deshalb muss er es jetzt tun. Weltweite Aufmerksamkeit ist ihm gewiss.