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Kein Ticket? Die Bundesregierung denkt über kostenlosen Nahverkehr nach.
© imago/Schöning

Kolumne: Maris Hubschmid traut sich was: Bewusster schwarzfahren

Wie ich mit einem Pappschild um den Hals in die U-Bahn stieg und plötzlich ein echter Kontrolleur vor mir stand.

In der U5 hatte ich schon befürchtet, Berlin sei der falsche Ort für diese Mission. Auf einer langen Fahrt von Lichtenberg nach Mitte schien keiner von dem Transparent um meinen Hals Notiz zu nehmen. „Ich fahre schwarz“, hatte ich mit dickem Edding auf ein Stück Karton geschrieben. Es interessierte keine Sau.

In der U2 aber registriere ich viele Blicke in meine Richtung, die jedoch eilig davonhuschen, wenn ich sie erwidere. Eine sympathische Frau um die 60 spricht mich endlich an und will mir ein Ticket spendieren. Ich lehne dankend ab, froh über die Gelegenheit, mich erklären zu dürfen – doch dann wirkt sie zunehmend irritiert und steigt irgendwann aus.

Wer schwarzfährt, schadet der Allgemeinheit. So wie jemand, der Steuern hinterzieht. Dieser Argumentation kann ich mühelos folgen. Jedes Jahr gehen deutschen Verkehrsunternehmen durch Schwarzfahrer 250 Millionen Euro durch die Lappen. Es gibt aber Leute, die gute Argumente für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr haben – neuerdings erwägt sogar die Bundesregierung das Gratisfahren. Es geht um die Minimierung des Autoverkehrs und um soziale Teilhabe. Immer mehr Aktivisten reisen mit Schildern, auf denen steht: „Ich fahre ohne gültige Fahrkarte. Preise schließen Menschen von etwas aus, was für ein gutes Leben wichtig ist.“

Traurig, wenn ein Familienausflug am Bahnticket scheitert

„Sei froh, dass du nicht schwarz bist“, ruft mir ein blasser Grundschüler in der U6 kurz vor Mehringdamm aus einer Gruppe heraus zu. Als ich wissen will, warum, giggelt er nur. „Ich bin auch mal schwarzgefahren“, tut sein Kumpel kund und schildert seinen Freunden eine wilde Verfolgungsjagd mit vier Kontrolleuren, die er angeblich gewann.

Auch, wenn es sicher überall nette Ecken gibt, teile ich die Ansicht, dass es wichtig ist, ab und zu das vertraute Quartier zu verlassen. Und finde es traurig, wenn ein Familienausflug am Bahnticket scheitert. Dass Schwarzfahren nicht etwa als Ordnungswidrigkeit wie Falschparken behandelt wird, sondern eine handfeste Straftat darstellt, hat mitunter absurde bis tragische Folgen. Zeitweise soll in Plötzensee jeder dritte Inhaftierte deswegen eingesessen haben.

„Am Monatsanfang kontrollieren die immer“

In der U9, Höhe Oranienburger Tor, will mich ein Mann vor diesem Schicksal bewahren. Und warnt fürsorglich: „Heute ist der Erste! Am Monatsanfang kontrollieren die immer.“ Tatsächlich droht in jedem Fall das „erhöhte Beförderungsentgelt“ von 60 Euro. Aber nicht unbedingt eine Strafe: Das Gesetz verbietet nämlich nicht das Schwarzfahren, sondern das „Erschleichen einer Beförderungsleistung“.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein notorischer Schwarzfahrer freigesprochen, weil er einen Anstecker „Ich fahre umsonst“ trug. Er hatte also nie vorgetäuscht, zahlender Fahrgast zu sein, lautete die Begründung. Das Oberlandesgericht hob später diesen Freispruch auf, weil das scheckkartengroße Schild nicht zu jeder Zeit sichtbar gewesen sei. So gesehen bin ich auf der sicheren Seite: Mein Stück Pappe ist breiter als ich.

Zwischen Hermannstraße und Alexanderplatz (U8) dröhnen gleich zwei Mal Männer mit tiefer Stimme: „Die Fahrkarten, bitte“ – um sogleich breit zu grinsen.

In der U1 steht dann plötzlich ein echter Kontrolleur vor mir. Ein paar Gäste sehen zu mir herüber. Auf Diskussionen hat er keine Lust. „Den Fahrschein?“, fragt er wiederholt, drängt – der Zug wird langsamer und offenbar will sein Trupp hier aussteigen, weil eine junge Frau ohne Ticket angetroffen wurde, deren Personalien aufgenommen werden sollen. Es ist nach 20 Uhr. Eilig krame ich meine Monatskarte hervor und deute auf die Erwischte. „Sie fährt bei mir mit.“

Maris Hubschmid

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