Verdrängung in Kreuzberg: Streit um die Markthalle Neun
Das Konzept der Markthalle Neun in Kreuzberg ist erfolgreich – zu erfolgreich für manchen Anwohner. Denn der Kiez wird oft überrannt. Jetzt ist eine Erweiterung geplant. Doch es gibt ein Problem.
„Iiihh – das tropft“. Die Frau hat gerade in ihr Brötchen mit Ceviche gebissen, einer peruanischen Spezialität aus Fisch, der in Limettensaft mariniert wurde. Während sich die Frau in eine ruhige Ecke in der quirligen Kreuzberger Markthalle zurückzieht, wandert ihr Blick zu den Filialen von Kik und Aldi hinüber. Beim Textildiscounter bleiben ihre Augen an der Auslage mit pinken BHs hängen. „Das passt nicht ganz hierher“, sagt die Frau zwischen zwei Bissen.
Während sich die Halle, in der an diesem Donnerstagnachmittag wieder der Streetfoodmarkt läuft, immer mehr füllt, herrscht im Textilgeschäft gähnende Leere. Drei Frauen mittleren Alters tragen ihre Einkaufskörbe durch den Laden. Auf die Frage, ob sie auch etwas auf dem Streetfoodmarkt kaufen würde, schüttelt eine der Frauen lachend den Kopf. Nein, das sei nichts für sie.
Discounter versus regionaler Anbau
Die Halle soll ein Marktplatz für alle sein, doch obwohl das Essen international ist und Touristen aus der ganzen Welt anzieht, kann man von „allen“ nicht sprechen. Regionaler Anbau kann eben nur zu Preisen über den Tisch gehen, die für den kleinen Geldbeutel nicht zu haben sind. Menschen mit geringerem Einkommen sind auf Discounter angewiesen. In Kreuzberg gibt es Kunden aus beiden Parteien. Und nicht alle Anwohner sind mit der Entwicklung des Marktes einverstanden.
Andreas Witte wohnt 25 Jahre im Kiez. Aus der Markthalle sei jetzt eine Eventhalle geworden, bemängelt er. Viele Anwohner fühlten sich gestört, wenn die Schlangen bei den Events, zu denen eher Touristen als Anwohner kommen, bis auf die Straße gingen. Der Wochenmarkt, bei dem er und andere Anwohner gerne einkaufen würden, komme dabei zu kurz. Auch die Betreiber der Halle stört das. Sie wollen das Angebot ausbauen, sich vergrößern. Drei der Händler möchten auf dem Gelände feste Geschäfte errichten. Der Umbau soll im September beginnen.
Früher stand die sanierungsbedürftige Halle teilweise leer
Das kleinteilige Lebensmittelkonzept, mit dem sich die drei Geschäftsführer Bernd Maier, Florian Niedermeier und Nikolaus Driessen im Jahr 2011 als neue Betreiber der früheren Eisenbahnmarkthalle empfahlen, geht offenbar auf: an vier Wochentagen gibt es lange Schlangen an den Eingängen. Ganz anders früher: Da stand die sanierungsbedürftige Halle teilweise leer, nahmen Supermärkte und Drogerien einen Teil des Platzes ein. Die drei Geschäftsmänner ließen umbauen, die Discounter sollten bis 2015 ausziehen.
Sie hofften dabei auf eine Auflösungsvereinbarung, die die frühere Eigentümerin der Halle, eine landeseigene Firma, mit den Händlern noch vor der Privatisierung beschlossen hatte. Doch Aldi und Kik sind immer noch da. Der Lebensmittelhändler könne ja bleiben, sagt Driessen. Doch der Textilladen passe nicht ins Konzept Doch die Verhandlungen mit dem Kik-Konzern sind ins Stocken geraten. Die Hallen-Chefs setzten eine Frist bis März, doch nichts geschah. Jetzt scheint der nächste Schritt des Projekts bedroht.
Das Konzept lebt von jungen Leuten, die aus Überzeugung mit Lebensmitteln arbeiten
Driessen sitzt mit seinem Geschäftspartner Florian Niedermeier an einem der Holztische in der Mitte der Halle. Hinter ihm nimmt gerade eine ukrainische Kochshow einen Beitrag auf. „Hier verwirklichen Menschen ihren Traum“, schwärmt Driessen. Am Nebentisch winkt eine Filmemacherin, die etwas über ihren Versuch dreht, eine Landwirtschaft zu betreiben. Daneben steht ein Foodperformancekünstler von den Philippinen. An Künstlern, die ihre Erfüllung in der Lebensmittelbranche gefunden haben, mangelt es nicht.
Das Konzept lebt von jungen Leuten, die aus Überzeugung mit Lebensmitteln arbeiten und wieder in traditionellen Berufen arbeiten, von Kunden, die mehr wissen wollen über die Produkte, die sie kaufen. Unter ihnen finden sich viele Unterstützer, die im Verlauf der Verhandlungen an die Kik-Leitung herantraten, wie Slow Food Berlin und Christoph Albrecht, ehemaliger Sprecher einer Anwohnerinitiative. Beide schrieben 2013 Briefe an den Konzern – ohne Antwort.
Albrecht will das Unternehmen nicht verurteilen oder die Menschen, die auf billige Anbieter angewiesen sind. Doch bei dem Namen Kik denken viele nicht nur an die schlechten Bedingungen, unter denen Kleidung hergestellt wird, sondern auch an die etwa 250 Menschen, die 2012 bei einem Feuer in einer pakistanischen Textilfabrik ums Leben kamen. Das passe nicht in das Konzept einer Markthalle, die mit nachhaltigen Produkten werbe, sagt Anwohner Albrecht.
Und Hallenchef Driessen, der auf eine gütliche Einigung setzt, fügt hinzu, dass der Konzern doch nicht auf den Standort angewiesen sei. Zwei weitere Filialen befänden sich in der Nähe. Auf Anfrage bestätigte Kik, dass es Verhandlungen mit den Hallenbetreibern gebe. Doch die Mietverträge würden weiter bestehen und damit die Vertragspflichten der Vermieter. Mehr wolle man nicht sagen.
Es ist spät geworden in der Markthalle. Während die Besucher auf den Bierbänken enger zusammenrücken, schließt die Kassiererin im Textildiscounter die Kasse zu. Um 20 Uhr gehen die Lichter aus. Auf dem Streetfoodmarkt herrscht noch zwei Stunden länger Gedränge.
Milena Fee Hassenkamp