Palina Rojinski im Interview: "Meine Brüste sind ja eine Realität"
Palina Rojinski, moderierende Schauspielerin und Ex-Sportlerin, im Interview über Paris Hilton, russische Kavaliere und wie sie ihrer Oma Dubstep erklärt. Und über Orgasmen auf dem Alexanderplatz.
Palina Rojinski, 27, moderiert, ist Schauspielerin („Rubbeldiekatz“) und DJ. Am 11. September startet bei ZDFneo ihre Sendung „Zirkus Rojinski“. Die frühere deutsche Meisterin in rhythmischer Sportgymnastik wurde in St. Petersburg geboren und kam mit sechs Jahren nach Berlin. Sie lebt in Kreuzberg.
Frau Rojinski, machen Sie eigentlich jeden Quatsch mit?
Das, was Spaß macht halt.
Es macht also Spaß, auf dem Alexanderplatz einen Orgasmus vorzutäuschen?
Nein! Doch! Na ja. 2009 war die Zeit der Flashmobs, das wollten wir in unserer Sendung MTV Home auch machen. Wir dachten, es könnte lustig sein, zusammen zu stöhnen. Erst kam ich mir natürlich blöd vor, als ich zu Hause allein mit der Kamera geprobt habe. Dann habe ich mit Joko, der die Sendung moderiert, in der Kantine geübt, vor allen Mitarbeitern. Als schließlich auf dem Alex alle in mein Stöhnen einstimmten, war es ein super Gefühl. Wenn man schafft, sich zu überwinden, ist der Kick großartig.
Was hat Ihre russisch-jüdische Familie dazu gesagt?
Oh Gott, jetzt fällt mir die peinlichste Geschichte ein, die muss ich euch unbedingt erzählen. Meine 18-jährige Schwester hatte gerade ihren ersten Freund, wir waren alle bei seiner Familie zum großen Schabbat-Essen. Ausnahmsweise haben sie den Fernseher angemacht, weil meine Sendung lief. Ausgerechnet die mit dem Orgasmus-Flashmob, wo ich am Anfang wüst auf Russisch schimpfe, am Ende mit Plastikpenissen posiere. Die ganze Familie war im Schockzustand.
Haben Sie eine Schmerzgrenze?
Klar, ich habe nicht alle Mutproben aus der Sendung mitgemacht. Eine Kuh besamen, mit der Hand da so rein, das fand ich ekelhaft. Wenn ich aber etwas zusage, kann ich es vor mir selbst nicht rückgängig machen. Ich springe vom Zehn-Meter-Brett, rülpse, fahr mit einer Straßenwalze. Das wünscht man sich doch als Kind immer.
Dürfte schwerfallen, Ihrer Großmutter in Russland zu erklären, was Ihr Beruf ist: „Hallo Oma, ich bin It-Girl?“
Den Begriff hab ich mir nicht ausgedacht.
Stört es Sie, dass viele ihn benutzen, weil er nach einer deutschen Paris Hilton klingt?
Ey, die ist vor allem ’ne Businessmaschine. Womit die Alte alles Kohle scheffelt … Ich arbeite viel und in anerkannten Branchen. Schauspiel, Moderation, DJing – das kennt man, damit kann man Geld verdienen. Das ist Leistung, wirkliche Arbeit.
Sie haben in „Hotel Desire“, einem Soft-Porno, mitgespielt. Palina, die Hemmungslose?
Bitte? Ich habe da eine winzige Rolle.
Hätten Sie die Hauptrolle denn spielen wollen?
Nie im Leben. In meinen Albträumen habe ich entweder irgendeinen Moderationstext vergessen oder stehe nackt vor dem Brandenburger Tor. Ich würde mich nie öffentlich ausziehen.
Die Rolle als Verführerin spielen Sie aber schon gern. In dem Film küssen Sie eine Frau.
Das vergesse ich immer völlig. Ja, ich küsse eine Frau. Ist auch nicht anders, als einen Mann zu küssen. Im Film hab ich bislang nur einen einzigen Mann geküsst: Peter Prager, der ist 60. Wir waren beide irre nervös. Er hat die ganze Zeit gesagt: „Meine Frau bringt mich um.“ Die Szene war auch total absurd, er saß da im seidenen Morgenmantel am Frühstückstisch, Hannelore Elsner daneben. Als wir uns mit Zunge küssen mussten, habe ich einen hysterischen Lachflash bekommen. Egal, wann du in deinem Leben in welchem Zustand mit wem rumgemacht hast, du wolltest es in dem Moment. Ich wollte in dem Moment so was von gar nicht knutschen, und vor allem auch nicht mit ihm! Dann war da auf einmal dieser glitschige Fremdkörper in meinem Mund.
Charlotte Roche hat Sie in ihrer Talkshow als „schönste Frau Deutschlands“ anmoderiert. Von wem ist Lob angenehmer, Frauen oder Männern?
Frauenkomplimente sind definitiv besser, weil sie ehrlicher sind. Männer achten auf erste Attribute, Frauen auf Aura. Auf Lippen, ’nen krassen Blick, oder wie die Augenbrauen zu den Augen passen. Frauen sehen einander als Kunstwerke.
Es ging in der Sendung lange um Ihre Brüste. Sie waren zweifache Jugendmeisterin in rhythmischer Sportgymnastik. Wie geht das mit Doppel-D?
Die sind erst so groß geworden, als ich keine Gymnastik mehr gemacht habe. In Trainingszeiten durfte ich ja kaum was essen, nur Äpfel, Bananen, Salat. Montags hab ich mich auf die Waage gestellt, da hieß es: bis Donnerstag zwei Kilo runter. Das war verdammt hart, weil ich ein Vielfraß bin. Wenn wir Wettkampfsichtung hatten, da geht’s zum Beispiel um die Aufnahme in den Olympiakader, haben wir wochenlang kaum gegessen und uns alle Gummibärchen und Kekse für den Moment danach aufgespart. Einmal stand ich im Eisladen, wollte mir eine einzige Kugel gönnen, als ich von Weitem meine Trainerin kommen sah. Ich habe mich dermaßen erschrocken, dass ich das Eis in meine Jackentasche gesteckt hab. Ach, wir haben ja über meine Brüste geredet …
… schon wieder. Nervt das nicht langsam?
Sie sind ja eine Realität. Das erste Mal, dass ich gemerkt habe, dass ich große Brüste habe, war, als ich mit meiner zwei Jahre älteren Freundin bei H&M BHs gekauft hab’. Da war ich 13. Sie wollte sich damals größere BHs kaufen, als sie brauchte – und hat mich gebeten zu bezahlen, weil man mir das an der Kasse leichter abnimmt. Wie, ich hab größere Brüste als Lisa?, dachte ich. Mein Körper ist obenrum viel schneller gewachsen als mein Frausein. Ich hab’ nicht gepeilt, warum alle so reagieren. Wenn ich durch Neukölln lief, hörte ich: „Atme mal aus!“ Irgendwann hab’ ich auf der Straße, wenn ich Grüppchen von so Yallas gesehen habe, die selbst schon angesprochen: „Uh, schöne Haare.“ Nur, damit die nicht zuerst kommen.
Sie sind in Sankt Petersburg aufgewachsen, haben also noch fünf Jahre in der Sowjetunion gelebt. An was erinnern Sie sich?
Meine Eltern hatten immer so Connections, mein Vater hat mit Zeug gehandelt. Wir hatten zum Beispiel Jeans, die waren drei Monatsgehälter wert. Oder einen Videorekorder und – das war am allerwichtigsten – eine VHS-Kassette mit Queen drauf. „Bicycle Race“, „Bohemian Rhapsody“ und so. Mit fünf war ich schwer in Freddie Mercury samt seinem Überbiss verliebt. Wenn ich das Video nicht gerade geschaut habe, mindestens vier Mal am Tag, dann habe ich die Laute im Auto nachgeahmt. Den Text hab ich ja nicht verstanden. Als dann das Band vom vielen Schauen so porös wurde, dass es riss, hab ich drei Tage lang geheult.
Als Sie sechs wurden, ist Ihre Familie nach Deutschland gezogen. Warum?
1990 hatte mein Papa die Möglichkeit, nach Berlin zu kommen. Er hat uns ein Paket nach Russland geschickt: mit Ohrenschützern, Scheiblettenkäse und Bifis. Ich dachte, dass die Bifis kleine Drumsticks seien und hab damit auf dem Tisch rumgehauen. Ich erinnere mich auch, wie wir mit gelben Plastikpäckchen vor dem Kühlschrank standen, mit Omas und Onkeln, und uns gefragt haben, was das ist, bis wir endlich den roten Faden gefunden haben. Erst hat sich keiner getraut zu probieren. Dann rief mein Onkel: „Es ist Käse!“ Mein Vater wollte von Deutschland weiter nach Israel ausreisen. Doch dann gab es die Möglichkeit, Dokumente für meine Mutter und mich zu bekommen.
Sie haben viele Freunde und Verwandte zurückgelassen.
Ich habe das nicht richtig gemerkt. Anfangs haben wir viel Zeit auf Ämtern verbracht. Darum saß ich irgendwann in meiner Spielecke im Asylantenwohnheim mit Stempeln und Briefmarkenbefeuchtern. „Palinitschka, was spielst du da“, fragte meine Mutter. „Ausländerbehörde“, sagte ich. In der Schule haben mich türkische und arabische Jungs „Ausländerschwein“ genannt und mir einen Schwamm an den Kopf geworfen – mein Vater hat mir beigebracht, wie man die verdrischt. „In die Leber“, sagte er.
Ämter und Schläge, das war Ihre Begegnung mit Deutschland?
Es gab auch schöne Dinge. Unsere erste eigene Wohnung lag am Südstern. Ich fand toll, dass der Hausmeister am Nikolaustag Schokolade an die Wohnungstür hängt. Dass hier Hasen auf dem Rasen hoppeln. Dieses entspannte Leben, dieses Nicht-Wegnehmen. Wer in Russland Geld hat, läuft mit acht Bodyguards rum.
Wie man der Oma Dubstep erklärt
Haben Sie sich fremd gefühlt?
In meiner Kreuzberger Klasse war natürlich alles multikulti. Vom Deutschsein hab ich nicht viel mitbekommen: vom sonntäglichen Tatort-Gucken zum Beispiel, oder davon, dass die Kinder im Sommer ins Ferienlager nach Kreta fahren. Als ich bei einer deutschen Freundin zum Geburtstag eingeladen war, kam ich mit Schleifen im Haar, mit polierten Lackschuhen, mit einem vorbereiteten Gedicht. Ich dachte erst, ich sei zu früh, weil das Geburtstagskind mit fleckigem Pulli und zerrissenen Jeans herumlief. Ich dachte, die muss sich noch umziehen. Dann realisierte ich: Das ist schon der Geburtstag. Als meine Mutter mich abholte, war sie total aufgetakelt, hatte Blumen dabei. Mein Geschenk war mir megapeinlich. Wir hatten ein Barbieauto mit Puppe und Ken, völlig übertrieben. Da kapierte ich: In Deutschland schenkt man ein Buch oder eine CD.
Von da an waren Sie integriert?
Richtig kennengelernt habe ich Deutschland erst, als ich mit zehn Jahren ohne meine Eltern nach Stuttgart gezogen bin. Ich wollte dort auf ein Sportgymnasium gehen. Die anderen kamen alle aus der Region und sind dann am Wochenende zu ihren Eltern. Ich bin zu meiner besten Freundin nach Hause. Mein großes Deutschland-Erleben: Das waren Alt-68er-Schwaben, morgens lag die „Süddeutsche“ auf dem Tisch, man war VfB-Stuttgart-Fan, wir Mädels durften in Frau Bürkles Hippiekleidern tanzen. So eine tolle Familie! Frau voll cool, Mann voll cool, Gleichberechtigung. Ich kam zurück zu meinen Eltern und hab’ erzählt: „Stellt euch vor, der Herr Bürkle macht den Abwasch.“
Sind Sie Feministin?
Kommt darauf an. Wenn ich an meine Oma denke, die alles gemacht hat, den Haushalt, auf dem Bau gearbeitet, während mein Opa nur so rumspaziert ist, dann will ich das für meine Zukunft schon anders. Der russische Mann lässt sich bedienen …
… aber er überhäuft die Frau dafür auch mit Rosen.
Die russischen Männer sind Kavaliere. Das gefällt mir ganz gut. Wenn man mit ’nem Jungen essen geht, soll der bezahlen.
Fühlen Sie sich heute auch manchmal noch fremd?
Kommen Freunde ohne Geschenk zu einem Geburtstag, irritiert mich das. Wenn man keine Kohle hat, kann man ja ’ne Karte schreiben. Manchmal bin ich auch ein bisschen obrigkeitshörig. Das muss ich mir für die Arbeit abtrainieren, damit ich kreativ sein kann. In Deutschland wird alles infrage gestellt.
Treffen Sie viele Russen in Berlin?
Ja, auch über meine Eltern, denen ich Deutschland oft noch erklären muss. Aber vor allem erkenn ich Russen sofort auf der Straße. Erstaunlich eigentlich, so anders sehen sie ja nicht aus. Es ist der Blick, der Gang, der Lippenstift.
Es gibt typisch russischen Lippenstift?
Der ist perlmuttrosa, dazu rotes Rouge – das muss man doch boykottieren. Denen fehlt einfach das Maß. Neulich war ich auf einer Familienfeier hier im Hotel Interconti: Da sang eine alte russische Frau im Spitzenkleid – pinker Lippenstift, rotes Rouge, klar – mit dickem russischen Akzent „Let’s Get Loud“ von Jennifer Lopez. Sie sah aus wie ein Papagei. Wenn ich durch Charlottenburg laufe, denke ich manchmal: Das ist versteckte Kamera. Sie erfüllen alle Klischees. Mein Freund und ich nennen das KaDeWe KaDeRu.
Aber wenn Sie heute nach Russland fahren, sind Sie die Deutsche?
Vor ein paar Jahren, als ich in meinen Hängehosen, Skaterschuhen und Schlabberpullis durch Petersburg lief, sagten meine gesamten Verwandten: Wie kann man seine Weiblichkeit nur so zerstören, wie kannst du dich so hässlich machen!
Wie ist denn aus der Sportgymnastin eine „Viva“-Moderatorin geworden?
Mit 14 hab ich mit der Sportgymnastik aufgehört. Ich hatte Knieprobleme und keinen Bock mehr auf sechs Stunden Training täglich. Heute interessiere ich mich auch gar nicht mehr dafür, höchstens, wenn ich bei Stefan Raab in der Sendung eine Übung vorturne. Nach dem Abi hab ich Geschichte und Literatur studiert. Weil ich Heine und Goethe und am liebsten Tucholsky mochte. Das sind so einfache, frische Gedanken, so melodisch. Kennt Ihr Tucholskys Gedicht „Ehekrach“? Das geht so: „Du hast Tanta Karla vorgeschlagen! Du lässt dir von keinem Menschen was sagen!“
Sie können Tucholsky auswendig. War es Ihnen nie zu wenig, die hübsche Assistentin irgendwelcher Moderatoren zu sein?
Das Reden fällt mir leicht, also hab’ ich spontan an einem Casting teilgenommen. Bei den verschiedenen Sendungen darf ich ja auch mitgestalten. Klar hab’ ich mich geärgert, als es hieß, ich solle mich sexier anziehen. Ich hab mich dann ein bisschen angepasst. Man will ja an manchen Tagen auch ein schönes Kleid anziehen.
Sie legen außerdem in Berliner Clubs Musik auf, welche Platte funktioniert hier immer?
Drake, Dubstep. Das finden alle voll geil.
Erklären Sie mal Ihrer Oma Dubstep!
Au ja! Also Oma, das ist ’ne ziemlich langsame, aber harte Musik, die immer nur reingrätscht und sich manchmal wie ein Schlag anhört oder wie eine Säge. Aber trotzdem melodisch. Da stehen vor allem die Jungs drauf, weil sie da ihre pubertären Aggressionen ausleben können.
Wie oft leben Sie Ihre pubertären Aggressionen noch aus?
Ich vermisse gerade ’ne gute Party in Berlin. Es gibt eine Inflation von DJs, die das Handwerk nicht beherrschen. Dubstep kann man nicht vor vier Uhr morgens spielen, und es braucht auch Lieder zum Durchatmen. Ich geh gern sonntagmittags weg, frisch geduscht ins Berghain, die Party von letzter Nacht ist noch am Kochen, da kann man Sachen beobachten …! Aber ich geh auch gern mit meinem Hund im Grunewald spazieren oder entdecke mit dem Auto neue kleine Straßen in Berlin.
Ihre ehemaligen „Viva“-Kolleginnen haben alle Bücher geschrieben. Wann kommt Ihres?
Ich muss erst mal was erleben, damit ich was zu erzählen habe.
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