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Der Mönch aus Wittenberg hatte ein großes Talent zu einer bildhaften Sprache.
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Luthers Vermächtnis: Am Anfang war sein Wort

Martin Luther, der Sprachgewaltige. Als Sohn eines Hüttenbesitzers konnte er auch derbe. Seine Schöpfungen prägen die Alltagssprache bis heute.

Ohne Martin Luther würden die Deutschen anders sprechen. Luther prüfte auf „Herz und Nieren“ und wurde „aus Schaden klug“, er nahm „kein Blatt vor den Mund“ und litt unter „Gewissensbissen“. Der Mönch aus Wittenberg hatte großes Talent, aussagekräftige Vergleiche und Metaphern, treffende Redewendungen und Sprachbilder zu finden und zu erfinden. Das nutzte er, um seine neue Lehre von der göttlichen Gnade unter die Leute zu bringen. Dabei ging es ihm nicht so sehr um den eigenen Ruhm, sondern ums große Ganze: um den Weg zum Heil und den Kampf gegen den Teufel. Das war ein mächtiger Antrieb.

Seine 95 Thesen veröffentlichte er 1517 zuerst auf Latein, weil er eine Debatte unter Theologen anstoßen wollte. Die Gelehrten verständigten sich damals so. Neben Latein existierten zwei deutsche Standardsprachen, weil Kaiser und Fürsten auch sprachlich miteinander konkurrierten. So schreibt es Günter Schuchardt, Burghauptmann auf der Wartburg in Eisenach, im Katalog zur Ausstellung auf der Wartburg „Luther und die deutsche Sprache“. Offizielle Reichssprache war „Oberdeutsch“, das die Verwaltung von Kaiser Maximilian in Wien für Amts- und Rechtsgeschäfte gebrauchte. Die Fürsten in Mitteldeutschland setzten auf die Kursächsische Kanzleisprache. Die Bevölkerung sprach in Dialekten.

Das Deftige lernte er als Kind in Mansfeld kennen

Martin Luther war auch deshalb so sprachmächtig, weil er inmitten mehrerer Dialekte aufwuchs. Seine Eltern stammten aus Eisenach und Möhra und sprachen eine Variante des Ostmitteldeutschen, während man in Mansfeld, wo sie später mit ihren Kindern lebten, viele niederdeutsche Wendungen benutzte. In Wittenberg lernte er Obersächsisch kennen, und seine Kollegen an der Universität brachten ihre eigenen Dialekte mit. „Deutschland hat mancherley Dialectos, Art zu reden, also, dass die Leute in 30 Meilen Weges einander nicht wol können verstehen“, klagte Luther.

Er konnte ein zartbesaiteter Poet sein, liebte aber auch das Derbe. Wer immer wieder seine Frau für eine andere verlasse, dem solle man „den Kopf vor den Arsch legen“, riet er zum Beispiel. Das Deftige lernte er als Kind in der Bergwerksstadt Mansfeld kennen. Dort ging es rau zu. In den Wirtshäusern kam es oft zu Schlägereien, wer sich durchsetzen wollte, durfte nicht um Kraftausdrücke verlegen sein. Luthers Vater war Hüttenbesitzer und soll einmal zwei Streitende getrennt haben, indem er sie mit Bier übergoss und dem einen den Bierkrug auf den Schädel haute.

In nur elf Wochen übersetzte er das Neue Testament

In der Bibel lasen um 1500 nur die Gelehrten, Bischöfe und Priester. 90 Prozent der Deutschen konnten weder lesen noch schreiben und mussten sich an die bildlichen Darstellungen in den Kirchen halten. Doch Martin Luther war überzeugt, dass auch sie die Bibel verstehen können – vorausgesetzt, man bringt sie ihnen in ihrer Sprache nahe.

1521 machte er sich auf der Wartburg an die Arbeit und übersetzte in nur elf Wochen das Neue Testament. Schon andere vor ihm haben die Bibel ins Deutsche übersetzt, doch niemand fand eine so eingängige Sprache wie Luther. Das lag auch daran, dass er nicht Wort für Wort übersetzte, sondern versuchte, den Sinn wiederzugeben. Es genüge nicht, „die Buchstaben in der lateinischen Sprache zu fragen, wie man soll Deutsch reden … sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und den selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen“, erklärte er 1530 im „Sendbrief vom Dolmetschen“.

Gottes Wort nicht buchstabengetreu zu übertragen, war ein Sakrileg; Luther wurde dafür heftig angegriffen von den „Papisten und Buchstabilisten“, wie er seine Gegner nannte. Das tat seinem Erfolg keinen Abbruch. Die ersten 3000 Stück seiner deutschen Bibel waren innerhalb von drei Monaten vergriffen. In den 50 Jahren danach wurden 100 000 gedruckt.

Luther erfand den "Lückenbüßer"

Der Mönch aus Wittenberg hatte ein großes Talent zu einer bildhaften Sprache.
Der Mönch aus Wittenberg hatte ein großes Talent zu einer bildhaften Sprache.
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MACHTWORT

Martin Luther erfand das „Machtwort“, um zu erklären, wie Gott die Welt erschaffen hat: Er habe ein „Machtwort“ gesprochen, wodurch die Dinge aus dem Nichts in die Existenz gekommen seien. Gottes Wort tue, wovon es spricht. Es sei ein Tatwort, eben ein echtes Machtwort.

LÜCKENBÜSSER

Im Mittelalter bedeutete „büßen“ schlicht „füllen“. Luther erfand den „Lückenbüßer“ bei der Bibelübersetzung. Im Alten Testament, Buch Nehemia, Kapitel 4, Vers 7 geht es um die Mauer des Jerusalemer Tempels. Sie hatte Löcher, Lücken, die gefüllt wurden.

IM DUNKELN TAPPEN

Im Alten Testament, 5. Buch Mose, Kap.28, Vers 29 ist die Rede von jemandem, der Gott nicht gehorcht. Luther übersetzt: „Und du wirst tappen am Mittag, wie ein Blinder tappt im Dunkeln, und wirst auf deinem Wege kein Glück haben und wirst Gewalt und Unrecht leiden müssen dein Leben lang und niemand wird dir helfen.“

PERLEN VOR DIE SÄUE WERFEN

Die Redewendung war in mittelalterlichen Predigtsammlungen enthalten. Luther machte sie bekannt, weil er sie in seine Bibelübersetzung einbaute. Im Neuen Testament, Matthäusevangelium, Kapitel 7, Vers 6 schrieb er: „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.“

AUF SAND BAUEN

Den Vergleich erfand Luther bei der Übersetzung des Matthäusevangeliums, Kapitel 7, Vers 26. An dieser Stelle geht es um diejenigen, die sich nicht an Jesu Wort halten: „Wer meine (Jesu) Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“

SEIN LICHT UNTER DEN SCHEFFEL STELLEN

In der Bergpredigt im Matthäusevangelium rät Jesus seinen Jüngern in der Übersetzung von Martin Luther: „Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten.“ Scheffel ist ein alter Name für Gefäß. 

DIE ZÄHNE ZUSAMMENBEISSEN

Seinem depressiven Freund Jonas von Stockhausen empfahl Luther in einem Brief am 27. November 1532, er müsse sich mit aller Kraft gegen den Teufel wehren, der ihm die depressiven Schübe verpasse: „Ihr müsst ein Herz und Trotz fassen gegen Euch selbst und mit Zorn zu Euch selbst sprechen: … So will’s mein Gott, so will ich’s haben; hebt euch, ihr Teufelsgedanken, in den Abgrund der Hölle mit Sterben und Tod; hier habt ihr nichts zu schaffen. Und die Zähne zusammengebissen wider die Gedanken!“

EIN HERZ UND EINE SEELE 

Im Neuen Testament, Apostelgeschichte Kapitel 4, Vers 32, geht es um die Gütergemeinschaft der ersten Christen. Luther übersetzt: „Die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.“ Die Redewendung benutzte Luther auch in einem Brief 1542 an seinen Freund Justus Jonas. Dessen Frau war gestorben. „Meine Käthe war außer sich, denn die beiden waren ein Herz und eine Seele“, schreibt Luther.

ZEICHEN DER ZEIT

Im Matthäusevangelium, Kapitel 16 heißt es: Die Pharisäer fordern von Jesus, er solle sie „ein Zeichen vom Himmel“ sehen lassen. Jesus antwortet ihnen mit Luthers Worten: „Abends sprecht ihr: Es wird ein schöner Tag werden, denn der Himmel ist rot; und morgens sprecht ihr: Es wird heute Ungewitter sein, denn der Himmel ist rot und trübe. Ihr Heuchler! über des Himmels Gestalt könnt ihr urteilen; könnt ihr denn nicht auch über die Zeichen dieser Zeit urteilen?“

IN DEN SAUREN APFEL BEISSEN

Am 28. März 1532 schickte Luther Kurfürst Johann von Sachsen Glückwünsche zur Genesung. Der Fürst war krank und „hat müssen Wermuth essen und in den sauren Apfel beißen“, schreibt Luther.

Er liebte Sprichwörter

Der Mönch aus Wittenberg hatte ein großes Talent zu einer bildhaften Sprache.
Der Mönch aus Wittenberg hatte ein großes Talent zu einer bildhaften Sprache.
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GEWISSENSBISSE

In seiner Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ kritisierte Luther 1520 die Praxis der katholischen Kirche, nur den Priestern das Abendmahl zu geben und nicht auch der Bevölkerung. Luther argumentierte mit der Bibelstelle im Matthäusevangelium, in der Jesus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern sagte: „Nehmet hin und trinket alle daraus: Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden“. Doch die Laien selbst könnten sich zu unwürdig fühlen für das Abendmahl, fürchtete Luther. Das wollte er ihnen ausreden und erinnerte sie an einen Bettler, der das Geschenk eines reichen Mannes ja auch nicht ablehnen würde, weil er angeblich zu unwürdig sei. Daran sollten die Laien denken und so ihr „Gewissen gegen alle Zweifel und Gewissensbisse“ wappnen.

WOLF IM SCHAFSPELZ 

Im Matthäusevangelium Kapitel 7, Vers 15, wird vor den falschen Propheten gewarnt: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Luther verwendete seine Redewendung immer mal wieder in seinen Schriften, um die Menschen vor den Lehren der „Papisten“ zu warnen, die die Gläubigen verführen und zerreißen würden wie ein „Wolf im Schafspelz“

AUF HERZ UND NIEREN PRÜFEN 

In Psalm 7 im Alten Testament heißt es: „Lass enden der Gottlosen Bosheit, den Gerechten aber lass bestehen; denn du, gerechter Gott, prüfest Herzen und Nieren.“ Menschen in der Antike trennten nicht zwischen Geist und Körper, sie dachten, Gefühle und Gedanken hätten ihren Sitz in den inneren Organen. In den Nieren vermuteten sie das Innerste und Geheimste der Menschen. Wenn Gott beim Jüngsten Gericht „Herz und Nieren prüft“, dann begutachtet er das Innerste der Menschen, heute würde man wohl sagen, er schaue ihnen auch ins Gewissen.

WER ANDERN EINE GRUBE GRÄBT, FÄLLT SELBST HINEIN

Die Weisheit geht zurück auf einen Spruch des biblischen Königs Salomo im Alten Testament. Doch erst in Martin Luthers Übersetzung wurde der Spruch berühmt.

DURCH SCHADEN WIRD MAN KLUG

„Quae nocent docent“, hieß es auf Latein: „Was schadet, lehrt“. Luther machte daraus „Durch Schaden wird man klug“, und schon setzte sich der Spruch im kulturellen Gedächtnis fest. Der Reformator liebte Sprichwörter und Lebensweisheiten und sammelte sie. Fündig wurde er in der Bibel, in den Fabeln und Gleichnissen des antiken Dichters Äsop, in Sprüchesammlungen und auch, indem er den einfachen Leuten zuhörte.

AUS EINEM VERZAGTEN ARSCH KOMMT KEIN FRÖHLICHER FURZ

Luther bewohnte mit seiner Frau Katharina von Bora und den Kindern das frühere Augustinerkloster in Wittenberg. Gegessen wurde im Refektorium, wo schon die Mönche ihre Mahlzeiten eingenommen hatten. Oft waren viele Gäste, Freunde und Studenten im Haus und wurden von Katharina mitversorgt. Während des Essens wurde geschwiegen. Nach dem Essen versammelten sich die Männer in der Lutherstube um den Meister und lauschten seinen Worten. Die Gespräche liefen nach einem festen Ritual ab, schreibt Günter Scholz in seinem Buch „Habe ich nicht genug Tumult ausgelöst? – Luther in Selbstzeugnissen“. Zu Beginn fragte Luther: „Was hört man Neues?“ Darauf schwieg die Runde erst einmal. Der Hausherr hakte nach: „Ihr Prälaten, was Neues im Land?“ Daraufhin begannen die älteren zu reden, allmählich auch die anderen. Vor allem aber redete Luther selbst und lenkte das Gespräch „mit unangefochtener Autorität“, schreibt Scholz. Ein Dutzend Schüler und Vertraute machte sich Notizen. Daraus sind die „Tischreden“ entstanden, die in der Weimarer Luther-Ausgabe sechs Bände füllen mit jeweils rund 700 Seiten. Auch die Erkenntnis über den fröhlichen Furz stammt daraus. Ebenso die Frage: „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmacket?“

DEN MANTEL NACH DEM WIND HÄNGEN

Schon um 1200 tauchte der Spruch „Man sol den mantel kehren als die winde sint gewant“ in einer Sprüchesammlung auf – und meinte etwas Positives. Luther wandelte den Spruch ab und kehrte ihn ins Negative. Er arbeitete auch gerne mit Allegorien, indem er Worte in andere Kontexte stellte. So soll er über seine Frau gesagt haben: „Käthe von Bora ist der Morgenstern zu Wittenberg.“

Claudia Keller

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