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Ein Modell von Ägyptens neuer Hauptstadt.
© DPA

Neue Hauptstadt in der Nähe von Kairo: Ägypten baut Sisity

Ägyptens Präsident Abdelfatah al Sisi verspricht das größte Bauprojekt seit den Pharaonen: eine neue Hauptstadt 45 Kilometer südöstlich von Kairo – in nur sieben Jahren. Richten soll es das Militär.

Ein Zwischenstopp auf der schmalen Autobahn zwischen Kairo und Suez am Roten Meer offenbart die gewaltige Dimension eines der größten Bauprojekte der Menschheit. Hier, wo eine neue ägyptische Hauptstadt entstehen soll: nichts als Wüste.

Exakt 45 Kilometer entfernt von der letzten Trabantenstadt Kairos erstrecken sich Sand und Geröll bis zum Horizont. Keine Strommasten, keine Wasserquellen. Selbst das sonst ordentlich ausgebaute Handynetz existiert nicht. Alles, aber auch wirklich alles, müsste neu gebaut werden. Laut Zeitplan in nur sieben Jahren. Die ägyptischen Staatsmedien feiern das Hauptstadt-Projekt als „Aufbruch in ein Zeitalter, das locker mit den alten Ägyptern mithalten kann“. Und tatsächlich: Schon Echnaton ließ sich im 14. Jahrhundert vor Christus im oberägyptischen Amarna eine neue, pompöse Hauptstadt bauen. Seine Untertanen fragte er damals nicht. Aber das waren andere Zeiten. Oder etwa nicht?

Die Pläne für den Umzug des Präsidenten und des Militärs, ihrer Regierung und Verwaltung sind Ausdruck der Haltung der Herrscher am Nil. Die neue Hauptstadt, auch wenn sie erst in Miniatur aus Plastik existiert, verkörpert die politischen Verhältnisse in Ägypten perfekt: Von oben wird über den Fortschritt entschieden – wer unten ist, bleibt zurück.

Präsident Abdelfatah al Sisi stellte seine Vision im März 2015 auf einer internationalen Wirtschaftskonferenz in Sharm El Sheikh vor. Die ägyptische Fahne wehte über dem Kongresszentrum, überall ertönte die Nationalhymne, die Ägypter beschworen medienwirksam den Patriotismus und sendeten eine Botschaft in die Welt: Ägypten ist das beste Land auf Erden, und es hat die beste Hauptstadt auf Erden verdient. Sisi stand damals vor den Mini-Wolkenkratzern und „machte der Menschheit ein Geschenk“, wie es im Staatsfernsehen hieß.

Mitten in der Wüste sollen bis zum Jahr 2022 nun bis zu sieben Millionen Politiker, Beamte, Diplomaten, Unternehmer und andere Leistungsträger im Komfort einer modernen, vollklimatisierten, grün bepflanzten Weltstadt leben. Laut den Plänen wird die fortschrittlichste Stadt der Welt jedes Jahr um zehntausende Bewohner wachsen.

Zu den Plänen gehören ein Stadion, ein Flughafen und mehrere Wolkenkratzer

Vorbild ist die typische US-amerikanische Großstadt – nur noch „besser“ als Houston, San Francisco oder Seattle soll „Neu-Kairo“ werden, so verspricht es die Propaganda. Ein offizieller Name für die neue ägyptische Hauptstadt steht bisher nicht fest. „Sisity“ schlägt manch einer auf der Straße vor. Ein Witz, eine Wortkreation aus Sisi und City.

Ein riesiges Stadion, ein neuer internationaler Flughafen, Wolkenkratzer, gigantische Shoppingmalls und luxuriöse Wohnungen sollen entstehen. Auf dem dreidimensionalen Modell im Maßstab 1:250 dominiert ein amerikanisch inspirierter „Central Business District“ samt Einkaufszentren, Regierungsgebäuden und Firmensitzen. Das Diplomatenviertel ist mit besonders viel Liebe nachgebaut, mit kleinen Lampen beleuchtet und mit viel Grün bedacht. Die ausländischen Vertreter sollen mit ihren Botschaften im Zentrum residieren. Drumherum sollen gut verdienende Beamte und Angestellte mit ihren Familien in mehr als eine Million Wohnungen ziehen.

Es gibt nicht viele Ägypter, die offen ihre Kritik am Regime und seinen Megaprojekten äußern. Der Historiker Khaled Fahmy ist einer von wenigen Intellektuellen, die sich nicht vom Geheimdienst und der Zensur einschüchtern lassen. Der Geschichtsprofessor an der American University in Kairo und an der Universität von Harvard trägt Glatze, eine schwarz umrundete Harry-Potter-Brille und einen Anzug, der zwei Nummern zu groß ist. So bibliothekarisch Fahmys Stil sein mag, so offen oppositionell ist seine historisch abgeleitete Analyse der Machtverhältnisse in seinem Land. Er ist unbeliebt im Regierungsviertel von Kairo. „Die Art und Weise“, sagt Fahmy, „wie diese neue Hauptstadt präsentiert wurde, zementiert die absolute Macht des Militärs.“ Er hat nach der Wirtschaftskonferenz in der ägyptischen Zeitung „Shorouk“ in einem Meinungsartikel einen Satz geschrieben, der es auf den Punkt bringt: „Niemand hat uns gefragt.“

Westliche und arabische Investoren, Baufirmen und Dienstleister dankten dem Präsidenten dagegen in Sharm El Sheikh, vor allem bei der Vorstellung der Budget-Planung grinsten viele Stakeholder zufrieden. 45 Milliarden Dollar sollen für „Sisity“ investiert werden. Die nötige Energieversorgung soll die Sonne spenden. Fast 100 Quadratkilometer Solaranlagen sind geplant. Ein Vergnügungspark für Groß und Klein wird für Unterhaltung und Touristen sorgen. Und mehr als 1000 neue Moscheen und Kirchen sollen die Bewohner und Besucher spirituell versorgen. Andere Hauptstädte aus der Retorte wie zum Beispiel Brasilia (mit knapp 20 Milliarden Dollar Baukosten für 2,5 Millionen Einwohner) will die ägyptische Regierung mit ihrer Megacity hinter sich lassen.

Das Zentrum von Kairo ist zum Labyrinth geworden

Ein Modell von Ägyptens neuer Hauptstadt.
Ein Modell von Ägyptens neuer Hauptstadt.
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Um die Sehnsucht der Machthaber nach einer Retortenstadt zu verstehen, muss man durch das Regierungsviertel in der Innenstadt von Kairo spazieren – wenn die Tore nicht gerade verschlossen sind.

Tore bedeuten hier nicht massive, mit schnörkeligen Schnitzereien veredelte Holztürblätter, wie sie in vielen arabischen Städten zum Weltkulturerbe gehören. Die Tore von Downtown-Kairo wurden nach der Revolution von 2011 hektisch in die Hauptstraßen gesetzt. An Fassaden wurden Stahlträger befestigt, die mittlerweile vor sich hin rosten. Als sich Anwohner über die neuen Hindernisse beschwerten, wurden die Tore eilig in den Nationalfarben schwarz, weiß, rot lackiert. Auf der Mohammed-Mahmoud-Straße unweit vom Innenministerium und direkt am Tahrir-Platz, wo Sicherheitskräfte 51 Demonstranten töteten, liegt Stacheldraht griffbereit am Straßenrand, für den Fall, dass wieder jemand auf die Idee kommt, zu demonstrieren. Um besonders wichtige Gebäude und Straßenzüge wurden tausende Betonwürfel zu Mauern aufgetürmt.

Das Zentrum von Kairo ist dadurch zum Labyrinth geworden. Das Innenministerium, die US-Botschaft oder das Sendezentrum des Staatsfernsehens gleichen Festungen. Nicht selten rollen Panzer durch die Straßen. Downtown Kairo taugt kaum noch als Regierungssitz. Die Mächtigen fühlen sich in ihrem eigenen Viertel nicht mehr wohl. Doch muss man deshalb gleich eine ganze Hauptstadt aufgeben?

Die Generäle sind die größten Wirtschaftsakteure und Bauherren

Die zivile, vom Präsidenten ernannte Regierung steht mit ihrem Wunsch umzuziehen unter der Richtlinienkompetenz des Militärs. Oder anders ausgedrückt: Die Generäle entscheiden in Ägypten, was gebaut wird und was nicht. Über ihnen steht Präsident Abdelfatah al Sisi als oberster Befehlshaber. Sisi ist mehr der Mann der Armee als der Chef der Regierung. Und das Militär und der Präsident wollen „Sisity“. Über die Motive der Generäle in Ägypten kann immer nur spekuliert werden. Es kann sein, dass sie es auch satthaben, in Downtown und anderswo in Kairo eine Stadt mit dem Volk zu teilen.

In Ägypten sind die Generäle die größten Wirtschaftsakteure und Bauherren. Die Armee backt Brot für die Armen, produziert Nudeln, impft Kinder und ist Partner für die Entwicklungszusammenarbeit. Jede ausländische Investition muss ihre Konten passieren. Soldaten erneuern Straßen und Brücken, bauen Schulen und Krankenhäuser und forschen an neuen Baumaterialien. Nun soll die Truppe unter der Führung von Bau-General Kamel al Wazir Sisis Traum von seiner Unsterblichkeit in Beton, Asphalt und viel Glas realisieren.

General Kamel al Wazir ist ein kugelrunder Mann mit Schirmmütze und kurzärmliger Camouflage-Uniform. Er war für die Erweiterung des Suezkanals im Sommer 2015 zuständig. Nach der Fertigstellung im August sagte der General einen entscheidenden Satz in die Kameras: „Geben Sie mir zwei Stunden Pause, dann mache ich mich an die neue Hauptstadt!“ Wenn die Hauptstadt nicht kommt, fällt kein gutes Licht mehr auf die große ägyptische Armee. Sie stehen also unter Zugzwang.

Wazir spricht nur mit Staatsmedien, in letzter Zeit allerdings seltener als früher. Denn tatsächlich ist die Finanzierung von „Sisity“ nicht mehr so sicher, wie Präsident Sisi glaubte. Dabei ist es schon die abgespeckte Version einer viel größeren Vision, die noch unter Mubarak diskutiert wurde: Einen ganzen urbanen Streifen westlich vom Nil, vom Mittelmeer bis zur südlichen Grenze, gespickt mit großen und mittleren Städten und vielen Gated Communities. Stirbt nun das deutlich kleinere Projekt, ist das wohl auch das Ende der Karriere von General Wazir.

Im Frühsommer 2015 war das Thema zur Chef- und Geheimsache geworden

Ein Modell von Ägyptens neuer Hauptstadt.
Ein Modell von Ägyptens neuer Hauptstadt.
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Auf der Wirtschaftskonferenz in Sharm El Sheikh Anfang 2015 stand Präsident Abdelfatah al Sisi noch neben dem Mann, der „aus Liebe für Ägypten“ sein Geld geben sollte. Der Bauinvestor Mohammed al Abbar aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wollte „aus einem Guss“ und mit seinem privaten Kapital die neue Zentrale der Macht hochziehen. Gescheitert ist der Deal mit ihm, weil die ägyptische Regierung laut Medienberichten dem Geschäftsmann Anteile am Projekt verweigerte und hohe Sicherheiten für die Realisierung einforderte. Präsident Sisi wollte, dass al Abbar seine Hauptstadt finanziert. Das Golfkapital soll fließen, der ägyptische Staat bestimmen. So groß war dann die Liebe des Multimilliardärs doch nicht.

Es musste eine neue Lösung her. Im Frühsommer 2015 war das Thema im Regierungsviertel von Kairo zur Chef- und Geheimsache geworden. Präsident Sisi verhängte wochenlang einen Informationsstopp. Bis sich eine Lösung ganz in der urbanen Logik des alten Kairo fand. Wo ohne Plan, improvisiert und dennoch irgendwie funktionierend eine Stadt für Millionen von Menschen erschaffen wurde.

So wurde das gigantische Hauptstadtprojekt in gut verdauliche Häppchen gestückelt. Ägyptische Regierungsvertreter schwärmten aus und fragten: Wer möchte ein Einkaufszentrum bauen? Wer einen Flughafen? Wer einen Wolkenkratzer? Mit einer chinesischen Baufirma existiert schon ein Vertrag, gemeinsame Planungen zu entwerfen.

„Gemeinsame Planungen“ – das ist sehr weit weg von der Ankündigung des Präsidenten und vom Zeitplan des Militärs. Doch auf die auch wegen der anhaltenden Wirtschaftskrise stockenden Arbeiten reagierte der Präsident nur mit dem Kommentar: „Um unser Land aufzubauen, müssen und werden die Ägypter hungern.“

„In Sisity ist bestimmt für genug Kentucky Fried Chicken für die Damen und Herren gesorgt“, lautete nur eine von vielen polemischen Antworten in den sozialen Medien. Wenn man so will, sagt der Historiker Khaled Fahmy, sei „Sisity“ nur die logische Fortsetzung der politischen Entwicklung in Ägypten. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, als Kairo von dem Stadtplaner Ali Pasha Mubarak, dem Sohn einer reichen Familie in Zentralägypten, nach Pariser Vorbild mit Straßenbeleuchtung, Kanalisation und Verkehrsachsen modernisiert wurde, „wohnten die Eliten weit weg vom Fußvolk.“ Ali Pasha Mubarak habe bei seinen Modernisierungen Kairos jedoch auch noch das Allgemeinwohl im Sinn gehabt.

Doch die Eliten in Ägypten orientieren sich schon längst nicht mehr an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Für die einfachen Bürger wird es kaum Platz geben in „Sisity“. Das Konzept der Gated Communities formt die Stadtentwicklung im kleinen, individuellen Rahmen und im utopischen Maßstab. Viele Trabantenstädte rund um Kairo bestehen aus abgeschlossenen Wohnsiedlungen. „Dubai ist nun das Vorbild unserer Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft“, sagt der Historiker Fahmy. Dubai sei nämlich viel bequemer für die Eliten als Downtown-Kairo, wo sie sich mit dem Fußvolk abgeben müssten.

Fahmy fragt sich, genauso wie viele andere Ägypter, was es für ein Zeichen sei, wenn die Mächtigen einfach ihre Sachen packen und umziehen. Wenn das Militär die Spitze der gesellschaftlichen Pyramide mit einer neuen Hauptstadt für ihre Loyalität belohne, verlieren die Mächtigen nicht nur symbolisch, sondern auch physisch den Kontakt zum Volk. Das, sagt Fahmy, könne nur schlecht enden.

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