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Da glitzerte er noch: Boris Becker in Wimbledon 1985.
© Reuters/Peter Skingley

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: 50 : love

Er war mein Freund. Boris Becker kannte mich nicht, ich aber ihn. Getroffen habe ich ihn einmal: Auf der Toilette.

Ich weiß, wie die erste Freundin von Boris Becker hieß: Karen. Sie war 18, so alt wie Boris und ich. Benedicte, die Freundin danach, war die Tochter des Polizeipräsidenten von Monaco. Da hatte Becker zum zweiten Mal in Wimbledon gewonnen. Gegen Ivan Lendl, den Schrecklichen! Ich saß mit der Beckerfaust vorm Fernseher, ich hechtete nach dem verwandelten Matchball in die Beckerrolle.

Ich erinnere mich an den ersten Dreitagebart von Becker und mir. Ich ging damit ins theaterwissenschaftliche Seminar in Gießen, Becker spielte damit das Finale der Australien Open. Wir waren längst Freunde. Boris kannte mich nicht, ich aber ihn. Ich wusste alles über seine Ehe mit der tollen Barbara. Über das Gedicht, das ihm Martin Walser schrieb. Über das Besenkammerkind mit der Russin. Samenraub! Das Wort gab’s vor Becker nicht.

Wirklich aufgeregt war ich 1999, am 2. Juli, beim Comeback in Wimbledon, Achtelfinale gegen Patrick Rafter. Wir waren beide 31. Ich sehe Beckers letzten Rückhandvolley ins Aus fliegen. Niederlage, letzte Verbeugung vor der Königin.

Ich hatte damals meine ersten Bühnenerfolge, irgendwie ging es für mich los. Aber bei Becker endete es, er musste quasi mit 31 Jahren sein Leben abschließen. Und hechtete dann in verschiedenste Rollen. In die Geschäftsmannrolle, in die Rolle der Werbeikone, in die des Jet-Set-Lovers und Yellow-Press-Zulieferers. Becker machte alles. Lächerlichste Shows, schlimme Werbespots.

Der Mensch liebt die Häme

Nun ist er angeblich pleite. Ein Londoner Konkursgericht erklärte Becker für zahlungsunfähig. Man liest von Millionen-Gläubigern, die früher Freunde waren und nun auspacken. Man hört, dass Becker sogar sein Elternhaus in Leimen verkaufen wollte, in dem seine Mutter lebt. Man schlägt ihm öffentlich vor, es doch mal mit Samenspende zu versuchen. Häme? Ja, offenbar lieben die Menschen Häme.

Um die Jahrtausendwende, gerade als das Samenraub-Kind von Becker auf die Welt gekommen war, schrieb ich an meinen „Nibelungen“. Und als ich mich fragte, wie dieser Siegfried denn nun sei, dieser Held, der alle geschlagen und sogar die übermächtige Brünhild durch seine Tricks im Bett besiegt hatte und dann immer erfolgsverwöhnter und fetter wurde, da wusste ich es.

Ein Held zerfällt

Ein Held wird mit einer Tat berühmt, und vielleicht hätte er sogar das Zeug gehabt, nach seiner berühmten Tat die Gesellschaft in einer anderen Weise zu bewegen, aber er kann es nicht, im Gegenteil: Er verliert seinen Glanz, er geht nicht in die Konzentration, wie früher zwischen den Ballwechseln. Er zerfällt im Außen. Wieso gehen die „Helden“ zugrunde, wenn sie nach ihren Taten weiterleben müssen? Wie gehen wir mit ihnen um, solange sie erfolgreich sind? Ist unser Umgang mit ihnen der Grund, dass sie danach nicht weiterleben können? Vielleicht ist die Boris-Becker-Geschichte auch eine Geschichte über uns, über unsere Welt, unseren Hype und unsere gigantischen Vergrößerungen.

Getroffen habe ich ihn einmal. In Berlin, auf der Toilette bei der Fußball-WM 2006. Becker schaute sich im Spiegel an, so wie man sich auf Toiletten überprüfend anschaut, und ich spiegelte mich über seiner rechten Schulter. Ich dachte, ich müsste ihm auf die Schulter tippen und über unser gemeinsames Leben sprechen. Stattdessen nur ein kurzer Augenkontakt durch den Spiegel, dann drehte er sich mit nassen Händen um und ging. Vielleicht schicke ich ihm zu unserem 50. Geburtstag einen herzlichen Gruß.

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