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Not amused. Derzeit gibt es zahlreiche Spekulationen darüber, wie groß die finanziellen Probleme von<TH>Boris Becker wirklich sind.
© picture alliance / dpa

Boris Becker in Wimbledon: Zuflucht im Traumland

Boris Becker nennt Wimbledon sein Wohnzimmer. Dort ist er immer noch die Tennislegende, nicht der gescheiterte Geschäftsmann. Doch der Schlammschlacht kann er sich nicht entziehen.

Willkommen zu Hause. Jeden Morgen biegt Boris Becker derzeit mit diesem wohligen Gefühl in die Church Road ein und stellt sein Auto auf dem Parkplatz No. 3 ab, der für Club-Mitglieder und VIPs reserviert ist. Dann überquert er die schmale Straße, in einem Anzug, der so hell ist wie seine Haare. Fast unbemerkt betritt er den All England Club, durch einen Hintereingang. Ein kurzes Nicken und ein „Hello“ zur Torwache, niemand behelligt ihn. Und dann ist er da, in seinem Traumland. Hierhin kann er sich für ein paar Stunden flüchten vor der kalten Realität da draußen. Hier ist er Boris Becker, die Tennislegende. Nicht Boris Becker, der wohl wieder einmal gestrauchelte Geschäftsmann.

„Alles, was ich habe und alles, was ich bin, ist wegen dieses Platzes“, sagt Becker über den Centre Court von Wimbledon: „Dieser Ort ist mein Zuhause geworden.“ Und so ist Becker zurück im Schoße der BBC-Familie, nach dreijähriger Abstinenz, als er als Trainer von Novak Djokovic arbeitete. Becker ist wieder mittendrin, wirkt gelöst und putzmunter und warum auch nicht? Hier braucht der 49-Jährige keine unangenehmen Fragen zu fürchten. Und so plaudert er im britischen TV-Sender angeregt über alte Zeiten. Mit fast kindlicher Begeisterung, sogar mit Händen und Füßen nachgespielt und das in oft lustigem Englisch. Dafür lieben ihn die Briten auch 32 Jahre nach seinem ersten von drei Wimbledon-Siegen noch immer.

„Für die Briten ist Becker weiterhin der 17 Jahre alte Junge, der mit seinem Charme Wimbledon erobert hat“, sagt Danielle Rossingh vom Magazin „Forbes“. „Er ist sehr populär mit seiner Art, aber was sonst bei Becker passiert, bekommen sie gar nicht so mit.“ Tennis findet in England nur während Wimbledon auf den Titelseiten statt, den Rest des Jahres läuft es nebenher. Außer natürlich, Andy Murray gewinnt einen großen Titel.

Von den Deutschen fühlte sich Becker stets zu wenig gewürdigt

Dass Becker vor zwei Wochen von einem Londoner Gericht für bankrott erklärt wurde, war zwar eine große Schlagzeile. Aber seither gab es in Großbritannien abseits des Boulevards keinerlei Nachfolgeberichte mehr. Die Londoner kratzt so eine Meldung ohnehin wenig. Das weiß Becker zu schätzen. „Hier sehen mich die Leute, grüßen freundlich und machen keine große Sache draus. Das gefällt mir“, sagt er. Von den Deutschen hatte er sich dagegen immer missverstanden und zu wenig gewürdigt gefühlt.

Jegliche Interviewanfragen verweigert Becker derweil konsequent. Nur in seiner täglichen Kolumne im „Evening Standard“ meldet er sich zu Wort, natürlich strikt über Tennis. Oft ist Becker bis zum späten Abend für die BBC im Einsatz. Es wirkt so, als wolle er gar nicht nach Hause gehen. Denn Eheprobleme mit seiner Frau Lilly soll es ja auch noch geben. Wobei deren Tweet kürzlich dazu zumindest für Außenstehende nicht nach akutem Scheidungstermin klingt: „Geld mag die Art Frau anziehen, die du willst, aber harte Zeiten ziehen die Frau an, die du brauchst. Nächstes Kapitel.“

Boris Becker gewann 1985 zum ersten Mal Wimbledon. Und ist seitdem ein Held in England.
Boris Becker gewann 1985 zum ersten Mal Wimbledon. Und ist seitdem ein Held in England.
© Reuters

Die mediale Schlammschlacht ist jedoch längst in vollem Gange, der Boulevard hierzulande hat Becker zum Abschuss freigegeben. Dabei war es einst so eine harmonische Beziehung, sogar eine Geschäftsbeziehung, als er 2009 seinen Web-TV-Kanal startete. Aber die Idee scheiterte schnell, wie so viele Projekte, die Becker nach seinem Karriereende 1999 anpackte. Oft schlecht beraten oder auch schlicht beratungsresistent erwarb sich Becker über die Jahre nicht gerade den Ruf eines cleveren Geschäftsmannes. Und so zweifeln viele nun an seinen Worten, die er vor einer Woche der „Süddeutschen Zeitung“ sagte: „Ich bin weder zahlungsunfähig noch pleite.“

Bis zu 200 Millionen Euro soll Becker während seiner Profijahre verdient haben. Doch das wurde nie belegt, und Becker selbst hält das für eine der vielen Übertreibungen, die über ihn im Umlauf sind. „Bei mir wurde alles immer größer dargestellt, als es in der Realität war“, sagt er. Aber viele seiner Verlustgeschäfte lassen sich nachrechnen, angefangen mit der Scheidung von seiner ersten Frau Barbara, die ihn 30 Millionen Mark, die Villa in Miami und den Unterhalt für seine beiden Söhne kostete.

Auch alte Partner fordern nun Millionen von Becker zurück

Hinzu kamen die Zahlungen an den hauptsächlichen Scheidungsgrund, seine uneheliche Tochter Anna, die aus der unsäglichen „Besenkammer-Affäre“ entstand. Becker kaufte sich früh drei Autohäuser an der Ostsee, die jedoch millionenschwere Verluste einfuhren und die im vergangenen Herbst von einem lokalen Händler übernommen wurden. Hinzu kam Ärger mit dem Finanzamt: 2002 wurde Becker von einem Münchner Gericht wegen Steuerhinterziehung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 500 000 Euro verurteilt, da er zwischen 1991 und 1993 in München wohnte, obwohl er im Steuerparadies Monaco gemeldet war.

Leichtsinnig war auch Beckers Investition in die Internetfirma Sportgate im Jahr 2000. Auf einem windigen Zettel, den er an einem Bartresen unterschrieben haben soll, verpflichtete er sich zur privaten Verlusthaftung von bis zu 1,5 Millionen Euro. Nur ein Jahr später war Sportgate tatsächlich pleite, mit Glück musste Becker am Ende nur 100 000 Euro an den Insolvenzverwalter zahlen.

Hier ist er zu Hause. In Wimbledon ist er als TV-Experte für die BBC tätig.
Hier ist er zu Hause. In Wimbledon ist er als TV-Experte für die BBC tätig.
© dpa

Blauäugig, ohne jegliches Interesse an Kleingedrucktem stolpert Becker durch die Finanzwelt und soll 2014 in die Fänge des Finanzhais John Caudwell geraten sein, wie der „Stern“ erfahren haben will. Bei ihm lieh sich Becker 2,1 Millionen Euro – zu einem Wucherzinssatz von 25 Prozent. Als Sicherheit soll Beckers Immobilie auf Mallorca gedient haben. 2015 übernahm die Londoner Privatbank Arbuthnot Latham & Co. den Schuldschein samt Hypothek und verklagt Becker nun auf die ausstehende Summe.

Sein früherer Schützling Djokovic hat ihm schon Hilfe angeboten. Solche Angebote hat Becker sicherlich noch mehr, auch von so finanzkräftigen Freunden wie dem Serben. Die Frage bleibt jedoch: Wenn Becker keine tiefgreifenden Probleme hatte, warum nahm er den Kredit nicht einfach bei einer Bank auf? Die Sache scheint also vertrackter, wird aber vielleicht im Zuge des Insolvenzverfahrens bald durchsichtiger. Becker hatte schon oft Rechnungen nicht bezahlt. Nicht mal den Pfarrer bei seiner zweiten Trauung in St. Moritz. Die Rechte an den Hochzeitsbildern verkauften die Beckers lukrativ, der Erlös floss in die Cleven-Becker-Stiftung. Hans-Dieter Cleven und Becker beendeten ihre Zusammenarbeit 2012, nun verklagt ihn auch der Schweizer auf 36,5 Millionen Euro.

Es kommt derzeit ganz dick für Becker. Umso mehr kostet er den Verbleib im Traumland aus und postete ein Bild von sich mit Wimbledons berühmtem Falken Rufus auf der Hand. Doch die Kommentare dazu fallen nicht sehr gnädig aus: „Seht, die Pleitegeier kreisen schon.“

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