Vor dem Bund-Länder-Treffen: FDP will Corona-Maßnahmen auslaufen lassen – Ministerpräsidenten dagegen
Vor dem Bund-Länder-Treffen macht die FDP Druck, Corona-Auflagen zurückzunehmen. Auch im Streit um die Impfpflicht verschärft sich der Ton.
Inmitten immer höherer Infektionszahlen ringen Bund und Länder heftig um den weiteren Corona-Kurs mit Alltagsbeschränkungen und Impfflicht. Vor Beratungen der Ministerpräsidenten mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) machte die mitregierende FDP erneut Druck, Auflagen zurückzunehmen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr will sämtliche Corona-Schutzmaßnahmen am 19. März auslaufen lassen - so ist es aktuell vorgesehen, wenn der Bundestag keine Fristverlängerung beschließt.
[Der tägliche Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leser:innen informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]
„Am 20. März sollte Deutschland zur Normalität zurückkehren", sagte Dürr den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Freitag. „Denn dann laufen die Maßnahmen aus, wenn der Bundestag nicht aktiv eine Verlängerung beschließt.“
Für eine Verlängerung bestehe aus heutiger Sicht jedoch kein Anlass, sagte Dürr. „Der Gradmesser für die Corona-Einschränkungen muss immer die Belastung des Gesundheitssystems sein“, sagte er. „Glücklicherweise gibt es diese Überlastung nicht mehr.“
Derzeit sei zu erleben, dass die Kliniken sehr gut mit der Omikron-Welle umgehen könnten, argumentierte Dürr. „Daher sollten wir schon heute damit beginnen, die Freiheitseinschränkungen Schritt für Schritt zurückzunehmen und zum 19. März - also in über einem Monat - auslaufen zu lassen.“
NRW-Ministerpräsident Wüst sieht das anders. „Corona werden wir perspektivisch nur kontrollieren können, wenn weltweit bewährte Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsregeln und Hygienekonzepte weiter möglich sind - solange sie eben leider notwendig sind“, sagte er dem „Spiegel“.
Die Bundesregierung solle bereit sein, „die eigene Fehleinschätzung aus dem Beginn ihrer Arbeit zu korrigieren“, sagte der CDU-Politiker und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz mit Blick auf die Frist vom 19. März. „Corona wird nicht plötzlich verschwinden, weil es politisch gewünscht ist.“
Derzeit beliebt auf Tagesspiegel Plus:
- Ein sogenannter Ehrenmord?: Der Tod einer jungen Afghanin in Berlin – eine Rekonstruktion
- Lebensrettung auf Berliner U-Bahnhof: Im Gleis liegt ein Mann, gleich kommt der Zug!
- Misslungene Liebesprüfung: Darf man eine Schwangerschaft vortäuschen?
- Abrechnung mit dem Wechselmodell: „Der Papa wollte nicht hören, wie schlecht es der Mama geht“
Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) spricht sich dem „Spiegel“ zufolge in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine Verlängerung bestimmter Eindämmungsmaßnahmen aus. Ramelow verlange, dass „die künftig in den Ländern wirksamen Pandemiemaßnahmen durch bundesrechtliche Regelungen widerspruchsfrei abzusichern sind“, zitierte das Magazin aus dem Schreiben.
Grundlage für Eindämmungsmaßnahmen der Länder wie etwa die Maskenpflicht ist ein Passus im Infektionsschutzgesetz. Die Regelung gilt nach jetzigem Stand nur noch bis zum 19. März. Sie kann einmalig durch Beschluss des Deutschen Bundestages um drei Monate verlängert werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte am Donnerstag, es sei klar, dass es auch die Diskussion über Lockerungen geben müsse. Zugleich warnte er, dass man „nicht zu schnell lockern“ solle.
Gesundheitsminister Lauterbach: „Wir haben nach wie vor steigende Fallzahlen“
Lauterbach betonte am Rande eines EU-Treffens im französischen Grenoble: „Wir haben nach wie vor steigende Fallzahlen, so wie wir sie noch nie gehabt haben.“ Wenn man nun so stark lockere, dass die Fallzahlen deutlich steigen, verlängere man unnötig die Pandemie. Dies sei weder gut für die Wirtschaft, noch für die Gesundheit.
Es sei Wunschdenken zu glauben, man könnte Inzidenzen steigen lassen, aber es gebe keine zusätzlichen Toten. „Dafür haben wir einfach nicht die Impfquote. Und die ist auch nicht über Nacht gekommen.“ Im Blick stehen vor allem viele Ungeimpfte bei besonders gefährdeten Älteren.
[Der tägliche Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leser:innen informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]
Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg laut Robert Koch-Institut (RKI) weiter auf den Höchstwert von 1465,4 - nach 1450,8 gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag und 1283,2 vor einer Woche. Die Gesundheitsämter meldeten 247.862 neue Fälle an einem Tag, registriert wurden zudem 238 weitere Todesfälle binnen 24 Stunden.
Welche Öffnungsschritte er für möglich hält, sagte Lauterbach vorerst nicht. Zuletzt hatte er Lockerungen „deutlich vor Ostern“ in Aussicht gestellt. Der Minister warnte zugleich erneut vor Öffnungen wie in Israel. Dann könne man in Deutschland auf 400 bis 500 Tote am Tag kommen.
Grundlage dafür sei ein RKI-Modell, mit dem man Inzidenzen unterstellen kann. „Diese unterschiedlichen Inzidenzen führen dann also zu entsprechenden Sterbezahlen pro Tag.“ Zugleich könne man die Zahlen aus Israel hochrechnen. „Wenn wir jetzt beispielsweise Inzidenzen hätten von 3500 oder 4000 oder noch höher, dann würde natürlich die Zahl der Sterbefälle entsprechend ansteigen.“
Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß sprach in der „Bild“-Zeitung davon, dass Lauterbach, „zum Angstminister“ werde. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU) hielt Lauterbach in der „Welt“ vor, die Begründung für Schutzmaßnahmen auszutauschen. Im Kern könne es nur darum gehen, das Gesundheitssystem vor einer Überlastung zu schützen. In der Pandemie gab es in Deutschland laut RKI Anfang 2021 schon mehrere Tage mit mehr als 1000 registrierten Toten pro Tag, aber bei damals erst langsam beginnenden Impfungen.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck plädierte ebenfalls für Lockerungen. „Man muss sich generell die Frage stellen, ob man an den G-Regeln festhalten will“, sagte er merkur.de (Mittwochabend). Man müsse vorsichtig zur Normalität zurück. Da dürfe es aus seiner Sicht keinen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften mehr geben.
Streit um Umsetzung der Impfpflicht in der Pflege
Auch im Konflikt um die Umsetzung der Impfpflicht für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen verschärft sich der Ton weiter. Das Bundesverfassungsgericht will an diesem Freitag eine Entscheidung über einen Eilantrag gegen das Gesetz bekannt geben.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) attackierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), nachdem dieser die Teil-Impfflicht in Bayern ausgesetzt hatte. „Im Rechtsstaat gelten Gesetze. Wenn sich die Regierenden selbst aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten und an welche nicht, ist die Tyrannei nicht mehr fern“, twitterte Buschmann am Mittwochabend.
CSU-Generalsekretär Markus Blume konterte: „Der Dilettantismus der Ampel-Parteien schadet der Demokratie.“ Es sei Aufgabe des Justizministers, bestehende Rechtsunsicherheiten zu klären, statt auf Twitter vom eigenen Versagen abzulenken.
Söder hatte am Montag angekündigt, den Vollzug der ab Mitte März greifenden Impfpflicht auszusetzen. Sie sei in der jetzigen Form nicht umsetzbar, der Bund müsse nachbessern. Söder hatte zunächst von „großzügigsten Übergangsregelungen“ gesprochen, was „de facto zunächst einmal auf ein Aussetzen des Vollzugs“ hinauslaufe. „Für wie viele Monate, wird man dann sehen.“
Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte im Bayerischen Rundfunk, Bayern halte die Impfpflicht nach wie vor für eine gute Idee. Die Einführung werde sich aber um ein „paar Wochen“ verschieben, weil viele Fragen offen seien.
Das Bundesverfassungsgericht will am Freitag seine Entscheidung über einen Eilantrag gegen das Gesetz zur Teil-Impfpflicht bekannt geben. Es könnte sein, dass die Bestimmungen vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft gesetzt werden. Zuletzt waren 74 Verfassungsbeschwerden von 300 Klägerinnen und Klägern eingegangen.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sieht die aktuelle Debatte als schlechtes Vorzeichen für die mögliche allgemeine Impfpflicht. Wie die Meinungsbildung dazu im Bundestag laufe, wage er nicht abschließend zu beantworten. „Fest steht aber eines: Wenn es nicht gelingt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht vernünftig auf den Weg zu bringen, dann sehe ich für eine allgemeine Impfpflicht kaum mehr Chancen“, sagte Haseloff der Deutschen Presse-Agentur. (dpa)