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Immer montags bis freitags erscheint die Kolumne "Die Wahlkampfbeobachter".
© Cicero/Daxer

Die Wahlkampfbeobachter (5): Die Veggie Days der anderen Parteien

Beim „Veggie Day“ hat der Boulevard aus einer uralten grünen Forderung einen Skandal gebastelt. Das könnte man dutzendfach wiederholen: Auch in anderen Programmen findet sich allerlei Taugliches. Wir haben es einmal ausprobiert.

Eigentlich sollen Nachrichten Neuigkeiten vermitteln. Zum Beispiel, dass draußen jetzt Wahlplakate hängen oder welche neuen Details es in der NSA-Affäre gibt. Manchmal aber schleicht sich auch Uraltes unter die Top-News. Vor einer Woche etwa vermeldete die Bild-Zeitung, dass die Grünen uns „das Fleisch verbieten“ wollen. Dabei war die Nachricht des „Veggie-Days“ so abgestanden wie stundenlang im Gastrobehälter köchelndes Gemüse: Die grüne Forderung eines fleischfreien Tages ist drei Jahre alt; im April fand sie Eingang ins Wahlprogramm. Wie also konnte die harmlose Veggie-Day-News gerade jetzt hochgehen?

Es war ein geschicktes Ping-Pong zwischen Boulevard und politischem Gegner – mit mehreren Spielzügen. Erstens: der Zeitpunkt. Während Wahlhelfer die ersten Plakate  an Litfaßsäulen und Straßenlaternen anbrachten, suchten die Strategen in den Parteizentralen nach einem für sie günstigen Auftaktthema. Die Bild-Zeitung lieferte dieses. Der Veggie-Day fügte sich, zweitens, auch bei den Nachrichtenagenturen in den Rahmen des politischen Tagesthemas „Wahlkampfauftakt“. So griffen die Dienste gierig zu. Dritte Spielregel für das perfekte Skandal-Süppchen: Nachladen. Die Bild-Zeitung drehte die Geschichte weiter, indem sie Oppositionspolitikern eine Bühne bot. Bundesregierung und FDP warfen den Grünen prompt Bevormundung der Bürger vor. Astreine Wahlkampfrhetorik: Im FDP-Programm taucht der Begriff „Bevormundung“ in verschiedenen Flexionen sechsmal, bei CDU und CSU fünfmal auf.

Als ein FDP-Politiker den Veggie Day dann auch noch mit einem Nazi-Vergleich bedachte, konnten auch überregionale Zeitungen, Radio und Fernsehen das Thema nicht mehr ignorieren. Ein Skandal über eine Nicht-Nachricht war geboren.

Dabei ist nicht nur das grüne Wahlprogramm ein Buffet für skandalhungrige Medienmacher. Nein, auch bei den anderen Parteien lassen sich Phrasen und Forderungen prima in Boulevard-Zeilen übersetzen. Wir haben mal nachgeschaut – und gleich die passenden Überschriften gebastelt:

Denglisch-Irrsinn! Union verpfuscht unserer Sprache!

Im Wahlprogramm der Union findet sich das Bekenntnis zur Pflege der deutschen Sprache. Die Partei wolle „daher auf unnötige Anleihen zum Beispiel aus der englischen Sprache verzichten sowie auf verständliche Texte achten“. Was natürlich nicht für management speaking gilt, denn das ist ja so important für unsere booming economy, dass die CDU gleich von der Kampagne „German Mittelstand“ spricht oder Gründungsberatung von den „Business Angels“ empfiehlt.

Übrigens zeigt sich auch die SPD erfinderisch: Aus dem „Leibwächter“ wird dort der „Doorman“ – das Wort „Bodyguard“ war den Programmschreibern offenbar zu simpel…

Studenten bald in Gammel-Buden? Union will Akademiker in leere Wohnungen zwingen

CDU und CSU wollen studentischen Wohnraum in Hochschulstädten schaffen. Dafür sollen auch „ungenutzte Räumlichkeiten zu Studentenunterkünften“ umgewandelt werden. Von Sanierung keine Rede. Wer einmal in Leipzig, Chemnitz oder manchen Städten im Ruhrgebiet unterwegs war, ahnt, wie heruntergekommen manch leer stehende Gebäude aussehen.

Bald auch EU-Panzer an Diktatoren? Merkel sieht deutsche Rüstung als Vorbild in Europa

Die Bundesregierung hat sich mit dem Export von Panzern nach Saudi-Arabien wiederholt Kritik eingehandelt. Die Union bleibt stur: Sie will „hochwertige Arbeitsplätze“ in der deutschen wehrtechnischen Industrie sichern und setzt sich „für eine Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU ein“. Dass die laxen deutschen Richtlinien an etwaige strengere Richtlinien im EU-Ausland angepasst werden sollen, steht dort nicht.

Vorschläge für FDP und Linke

Die SPD fordert in ihrem Programm die Einrichtung eines Energieministeriums und eines dort dauerhaft angesiedelten Deutschen Energie-Rates. Außerdem soll es einen Bundestagsausschuss „Energie“ sowie einen „Masterplan Energiewende“ geben. Immerhin: Bei letzterem handelt es sich um einen jährlichen und keinen Fünf-Jahres-Plan.

SPD fordert Laptop für jeden Schüler: Verblödet unsere Jugend?

Zu viele Computer und Smartphones machen Kinder krank, hatte der Gehirnforscher Manfred Spitzer gewarnt. Trotzdem will die SPD davon mehr an Schulen – und die gute alte Kreidetafel verbannen. Im Wahlprogramm heißt es zum Thema Medienkompetenz: „Notwendig sind hierzu die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit einem mobilen Computer und die Schaffung eines digitalen Lernumfeldes und digitalen Klassenzimmers."

Für eher linke Medien böte sich zum FDP-Wahlprogramm diese Schlagzeile an:

Nur noch Bürgergeld: FDP will Bedürftigen alle Leistungen wegnehmen

Nach dem Willen der FDP sollen alle bisherigen Sozialleistungen durch ein liberales Bürgergeld ersetzt werden. Der neue Pauschalbetrag soll das Arbeitslosengeld II einschließlich der Leistungen für Wohnen und Heizung, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Sozialhilfe (ohne Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen) sowie den Kinderzuschlag und das Wohngeld zusammenfassen, heißt es im Wahlprogramm. Wie hoch dieser neue Satz sein soll, wird nirgendwo erwähnt.

Und eher konservative, neoliberale Medien könnten diese Überschrift basteln:

Eingriff in die Unternehmerfreiheit: Liberale will Bahn zu Erstattungen zwingen

Es ist ein Wahlgeschenk an die Bürger, das den Grundprinzipien der Freien Demokraten widerspricht. Die FDP will die Deutsche Bahn bei zu großer Unpünktlichkeit zu Entschädigungsleistungen verpflichten. Bei Verspätungen ab 30 Minuten sollen die Fahrgäste 25 Prozent des Reisepreises erstattet bekommen, ab 60 Minuten sollen es 50 Prozent sein. Die Liberalen lehnen staatliche Eingriffe in die soziale Marktwirtschaft an mehreren Stellen in ihrem Wahlprogramm dezidiert ab.

Zurück zur DDR? Linke will Sozialismus einführen

Die mehrfache Umbenennung der Linken, von der ein Teil einmal „Partei des Demokratischen Sozialismus“ hieß, ist offenbar nichts als Etikettenschwindel. In ihrem Wahlprogramm fordert die Linke eine andere Staatsform. „Wir wollen einen demokratischen – freiheitlichen, ökologischen, lustvollen – Sozialismus gestalten“, heißt es dort.

PS: Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hat aus dem Veggie-Day-Skandal das Beste für sich und ihre Partei rausgeholt. Sie twitterte ihr Lieblingsrezept: eine Gemüsepfanne.

PPS: Cicero Online hat sich der Berichterstattung über das vermeintliche Fleischverbot enthalten. Stattdessen wiesen wir unsere Leser bei Facebook und auf der Startseite darauf hin, dass wir bereits im März über den Veggie Day berichtet hatten. Dieser fünf Monate alte Archivtext klickte sich unter die Top drei des Tages.

Petra Sorge

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