Berliner Landesregierung: Zwei Jahre Rot-Rot-Grün: ein Zwischenzeugnis
Einige schwere Krisen musste die rot-rot-grüne Landesregierung schon bewältigen. Manche im Senat wuchsen daran, andere üben noch. Unser Zwischenzeugnis.
MICHAEL MÜLLER (SPD), Regierender Bürgermeister
Größte Erfolge: Mit der Abgeordnetenhauswahl 2016 wurde Regierungschef Müller im Amt bestätigt, das er Ende 2014 vom Parteifreund Klaus Wowereit per SPD-Mitgliederentscheid geerbt hatte. Trotz eines historisch schlechten Wahlergebnisses blieb seine SPD stärkste Partei und die große Koalition wurde durch Rot-Rot-Grün ersetzt. Für Müller war diese Regierungsbildung und die Verteidigung des Roten Rathauses per se ein Erfolg.
Die Amtszeit als Bundesratspräsident hat er genutzt, um mit der Idee des solidarischen Grundeinkommens eine bundesweite Debatte anzustoßen. Der Hauptstadtfinanzierungsvertrag und die Ansiedlung des Siemens-Wissenschaftscampus in Berlin stehen ebenfalls auf der Habenseite.
Größte Niederlagen: Der Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel war ein schwerer Schock. Ansonsten rumpelt Rot-Rot-Grün unter Müller auch im zweiten Regierungsjahr über holperige Wege – mit großen Baustellen an jeder Ecke.
Perspektive: Die SPD wird wohl nicht mit Müller in den nächsten Wahlkampf gehen. Vielleicht wechselt er in den Bundestag. za
STEFFEN KRACH (SPD), Staatssekretär für Wissenschaft
Größte Erfolge: Krach hat für den Wissenschaftssenator Müller schon viele Probleme abgeräumt. So verhinderte er mit seinen Moderationen, dass die Gründung der islamischen Theologie an der HU im Streit platzte. Die Fusion des Deutschen Herzzentrums mit der Charité steuerte er ebenfalls durch schweres Wasser zum Gelingen. Und ohne ihn würde der endlose Tarifstreit der Unis mit den studentischen Beschäftigten wohl noch andauern. Krachs größter Erfolg sind die Hochschulverträge für die Jahre 2018 bis 2022, die er in Rekordzeit verhandelte.
Größte Niederlagen: Keine zu erkennen.
Perspektive: Krach wurde im Frühjahr als neuer Chef der Senatskanzlei gehandelt. Doch Müller brauchte ihn für die Wissenschaft. Die weitere politische Karriere dieses Polittalents kann nur durch die Schwäche der SPD erschwert werden. akü
ANDREAS GEISEL (SPD), Senator für Inneres und Sport
Größte Erfolge: Er hat den angeschlagenen Ruf des Senats in der Polizei verbessern können. Es half, dass Geisel mehr Geld zur Verfügung hat als sein CDU-Vorgänger Frank Henkel. Als am Alexanderplatz die Zahl der Gewalttaten zunahm, ließ Geisel eine Polizeiwache eröffnen und die „Ermittlungsgruppe Alex“ aufstellen.
Die Zahl der Taten ging zurück. Zudem gab es mehr Einsätze gegen Kriminelle deutsch-arabischer Clans. Für die Feuerwehr hat Geisel mehr Geld locker gemacht. Durchgegriffen hat er beim Personal, die Führungsposten bei Verfassungsschutz, Polizei und Polizeiakademie wurden inzwischen ausgetauscht.
Größte Niederlagen: Geisel hat noch immer mit den Folgen des Terroranschlags vom Breitscheidplatz zu kämpfen. Teile der Beamtenschaft hat er enttäuscht, als er im Mai 2017 Strafanzeigen gegen LKA-Beamte wegen Aktenmanipulation verkündete. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Immer neue Pannen der Behörden werden publik. Auch die Schießstandaffäre ist trotz des Entschädigungsfonds nicht ausgestanden.
Perspektive: Geisel wird als möglicher Müller-Nachfolger gehandelt. Dafür schätzen ihn aber selbst SPD-Genossen als zu dünnhäutig ein. axf/hah
DIRK BEHRENDT (GRÜNE), Senator für Justiz und Verbraucherschutz
Größte Erfolge: Mit der Ernennung von Margarete Koppers zur Generalstaatsanwältin beendete Behrendt eine mehr als zweijährige Vakanz, auch wenn er sich mit seinem persönlichen Einsatz für Koppers Feinde gemacht hat. Der Ernennung ging ein langer Rechtsstreit voraus, auch die – durch Behrendt vorgenommene – Neubesetzung des Auswahlgremiums stand in der Kritik. Am Ende bescheinigten die Gerichte, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei.
Größte Niederlagen: Das ist der anhaltende Notstand an Gerichten und in Haftanstalten. Zwar werden die teilweise unhaltbaren Zustände immer mal wieder und meist durch Notsignale aus den Behörden selbst öffentlich thematisiert, wirklich gebessert hat sich seitdem aber nichts. Die Arbeitsbedingungen für viele Justizbeschäftigten sind desolat. Behrendt, der gerne große Ankündigungen macht, hat daran bislang wenig geändert.
Perspektive: Behrendt ist bis zum Ende der Legislatur gesetzt. Danach könnten auch andere Grüne in das Amt drängen. rk
MATTHIAS KOLLATZ (SPD), Senator für Finanzen
Die Haushaltsüberschüsse in Milliardenhöhe sind nicht das Verdienst des Finanzsenators, sondern eine Folge des Wirtschaftsbooms und der niedrigen Zinsen. Aber Kollatz hat die Gunst der Stunde genutzt, um finanzielle Rücklagen für Investitionen, die Stärkung der Landesunternehmen und den Ankauf von Grundstücken zu schaffen und gleichzeitig die Schuldentilgung nicht aus dem Auge zu verlieren – trotz der allmählich ausufernden Ausgabenpolitik der rot-rot-grünen Koalition.
Größte Niederlagen: Die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bevölkerungszählung (Zensus 2011) ging verloren. Das ist eine Niederlage, die Berlin auch mit Blick auf den nächsten Zensus teuer zu stehen kommen kann. Und gegen den Nachtragshaushalt für 2018/19, mit dem die Koalition 1,2 Milliarden Euro zusätzlich ausgibt, hat sich der Finanzsenator letztlich erfolglos gewehrt.
Perspektive: Es würde niemanden wundern, wenn Kollatz nach der Wahl 2021 in den politischen Ruhestand geht. za
RAMONA POP (GRÜNE), Senatorin für Wirtschaft und Energie
Größte Erfolge: Pop kommt in der Wirtschaft gut an. Seit ihrem Amtsantritt wurden 50 000 neue Arbeitsplätze geschaffen, die Wachstumsrate lag 2017 mit 3,1 Prozent deutlich höher als der Bundesdurchschnitt. Pop ist Aufsichtsratsvorsitzende von BVG und BSR. Beide Betriebe werden ihre Flotte so weit wie möglich auf E-Autos umstellen. Und die BSR reinigt inzwischen 47 Parks zur Zufriedenheit der Besucher.
Größte Niederlagen: Berlin ist zwar deutsche Start-up-Hauptstadt und 70 000 Arbeitsplätze wurden durch die Digitalisierung geschaffen. Aber es fehlt immer noch die Digitalagentur, die klassische und neue Unternehmen zusammenbringt. Wirtschaft und Wissenschaft machen regelmäßig deutlich, dass diese Plattform notwendig ist, um digitale Geschäftsmodelle weiterzuentwickeln.
Perspektive: Pop wird wohl 2021 Spitzenkandidatin der Grünen. Der Chefsessel im Roten Rathaus könnte für sie Realität werden, wenn die Grünen so stark bleiben. sib
KATRIN LOMPSCHER (LINKE), Senatorin für Stadtentwicklung
Größte Erfolge: Ihre mieterfreundliche Politik kann man fast schon linkspopulistisch nennen. Lompscher hat beispielsweise ein Hochhausprojekt der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Mitte auf der Fischerinsel gestoppt – wegen der Proteste von Anwohnern. Sie hat bei allen Landesunternehmen den Spielraum für Mieterhöhungen verringert, lässt jede zweite frei werdende Wohnung an Haushalte mit geringen Einkünften vermieten und arbeitet an einem neuen Modell der „Partizipation“ bei der Planung neuer Quartiere.
Größte Niederlagen: Bei der Umsetzung gut gemeinter Ideen in die Praxis kam es zu spektakulären Fehlleistungen: Bei der Vorstellung der Baupläne für den Blankenburger Süden hatte sich die Zahl der Wohnungen über Nacht verdoppelt, was zum Aufstand der Anwohner führte. Trotz der Zurückhaltung von Landesfirmen steigen die Mieten weiterhin drastisch und die eigenen Ziele zur Schaffung des dringend benötigten neuen Wohnraums verfehlte der Senat wiederholt. Zumal es sich Lompscher mit der privaten Baubranche verscherzt hat.
Perspektive: Dass Lompscher trotz der Pleiten im Amt bleibt, verdankt sie vor allem der Stärke ihrer Partei, was den regierenden Sozialdemokraten Müller daran hindert, an ihr ein Exempel zu statuieren. ball
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ELKE BREITENBACH (LINKE), Senatorin für Arbeit und Soziales
Größte Erfolge: Breitenbach hat, wenn auch durch sinkende Flüchtlingszahlen begünstigt, das Chaos rund um das ehemalige Landesamt für Gesundheit und Ordnung beseitigt. Die Notunterkünfte in Turnhallen sind leergezogen und Flüchtlinge in geeigneteren Unterkünften untergebracht.
Größte Niederlagen: Die anhaltende Notlage bei der Unterbringung und Versorgung von Obdachlosen gerade im Winter ist ein ungelöstes Problem. Der jüngste Streit zwischen Breitenbach und BVG offenbarte Kommunikationsprobleme der Senatorin, die fast die tradierte Öffnung einzelner U-Bahnhöfe zur Übernachtung verhindert hätte. Erst in letzter Minute gab es einen Kompromiss, der Streit überlagerte ihren Erfolg bei der Verdoppelung der Schlafplätze in der Kältehilfe.
Perspektive: Breitenbach will über 2021 hinaus Senatorin bleiben. Bundespolitische Ziele sind nicht bekannt, auch wenn sie über Berlin hinaus Anerkennung genießt. rk
DILEK KOLAT (SPD), Senatorin für Gesundheit und Pflege
Größte Erfolge: Kolat hat Druck auf die niedergelassenen Ärzte aufgebaut, um die heillos überfüllten Rettungsstellen zu entlasten. Mit dem Aktionsprogramm für eine sichere und gute Geburt werden für 20 Millionen Euro Kreißsäle ausgebaut und die Hebammenschulen werden ihre Kapazitäten um fast zwei Drittel erhöhen. Berlin hat mit 36 Pflegestützpunkten bundesweit eine der besten Beratungsangebote.
Größte Niederlagen: Im Öffentlichen Gesundheitsdienst sind rund 500 Stellen unbesetzt. Das liegt an der schlechten Bezahlung der ÖGD-Ärzte. Außertarifliche Entgelterhöhungen konnte Kolat gegen den Hauptpersonalrat nicht durchsetzen.
Perspektive: Ob Kolat in einem künftigen Senat, an dem die SPD beteiligt ist, Senatorin bleibt, ist derzeit offen. sib
SANDRA SCHEERES (SPD), Senatorin für Bildung
Größte Erfolge: Ein Coup gelang Scheeres im November: Berlin ist das erste Bundesland, das Grundschullehrer genauso gut bezahlt wie die Kollegen an Oberschulen. Selbst Ex-DDR-Lehrer, die kein Abitur haben, wurden an die Besoldung angepasst.
Größte Niederlagen: Aber selbst die opulente Bezahlung ändert nichts daran, dass Scheeres den Kampf gegen den Lehrermangel verliert. Sie hat zu wenig Lehrer ausgebildet – ein Fehler, der durch die Berliner Nichtverbeamtung noch vergrößert wird.
Perspektive: Die Sozialdemokratin scheint mit einem unerschütterlichen Glauben an die eigene Kompetenz gesegnet zu sein. Wofür das noch reicht, wird man sehen. sve
KLAUS LEDERER (LINKE), Senator für Kultur
Größte Erfolge: Nach nur wenigen Monaten als Intendant der Volksbühne hat sich Chris Dercon im April 2018 davongemacht. Lederer war von Anfang an gegen ihn, auch öffentlich. Das hatte es in Berlin noch nicht gegeben: Ein Kultursenator stellt sich gegen den designierten Intendanten einer wichtigen Institution, der von seinem Vorgänger berufen wurde. Und dann gibt ihm Dercon auch noch recht, weil das Haus so schnell verödete.
Größte Niederlagen: Auch hier ist die Volksbühne im Spiel. Lederer muss die Intendanz neu besetzen. Die Erwartungen sind riesig – der Kreis möglicher Kandidaten ist klein. Man wird Lederer an dieser Entscheidung messen, denn er hat sich bei der Volksbühne weit aus dem Fenster gelehnt.
Perspektive: Der als beliebtester Politiker Berlins gelistete Lederer wird doch nicht Regierender Bürgermeister, wenn die Grünen so stark bleiben. Er kann aber R2G-Comic- Held im Tagesspiegel bleiben. R.S.
REGINE GÜNTHER (FÜR GRÜNE), Senatorin für Verkehr und Umweltschutz
Größte Erfolge: Wenn der Erfolg auf dem Papier beginnt, hat Günther zweierlei erreicht: Das Energie- und Klimaschutzprogramm regelt detailliert, wie der CO2-Ausstoß Berlins bis 2030 um 60 Prozent sinken soll, und mit dem Mobilitätsgesetz ist der Weg zum bedarfsgerechten Umbau der Verkehrssysteme zumindest juristisch frei. Nur wird das Geld für den Klimaschutz nicht abgerufen, und auf den Straßen kommt von der Verkehrswende bisher fast nichts an.
Größte Niederlage: Wenn Günther ihren erkrankten Verkehrsstaatssekretär Kirchner gegen dessen Willen in den Ruhestand versetzt, wäre das für die Verwaltungsspitze ein Verlust an Kompetenz, der schwer zu ersetzen sein wird.
Perspektive: Noch immer scheint ihr die Wucht der unmittelbaren Betroffenheit, die Lokalpolitik bei den Leuten erzeugen kann, nicht voll bewusst. Sie ist keine, die Herzen wärmt. Wenn sie punkten will, muss sie liefern, sonst dürfte für sie spätestens 2021 Schluss sein. obs
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Ulrich Zawatka-Gerlach, Anja Kühne, Alexander Fröhlich, Hannes Heine, Robert Kiesel, Sabine Beikler, Ralf Schönball, Susanne Vieth-Entus, Stefan Jacobs, Rüdiger Schaper