Umfrage unter Bewohnern des Berliner Bezirks: Zwei Drittel der Friedrichshain-Kreuzberger wollen keine parkenden Autos
Die Bereitschaft zur Verkehrswende ist in Friedrichshain-Kreuzberg besonders groß. Das ist nun sogar per Studie belegt.
Das Highlight der Veranstaltung kommt kurz vor Schluss: Während rund ein Dutzend Journalisten und eine Handvoll Anlieger den Ausführungen der Bezirksbürgermeisterin lauschen, räumt ein Paketlieferant die rot-weiße Bake beiseite, mit der das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg an diesem Donnerstag die südlichen 50 Meter der Schönleinstraße am Hohenstaufenplatz hat absperren lassen.
Als der Paketbote sich mit seinem Lieferwagen an der Menschentraube auf der gesperrten Fahrbahn vorbeigedrängelt hat und am anderen Ende gerade die zweite Sperre wegschleppen will, springt Monika Herrmann von dem Bordstein, der ihr bis eben als Podium für diesen improvisierten Pressetermin gedient hat. Mit einem empörten Kann-ja-wohl-nicht- wahr-sein-Lachen nimmt sie dem Fahrer die Bake aus der Hand und stellt sie wieder an den alten Platz, sodass er rückwärts wieder raus muss. Straßenamtsleiter Felix Weisbrich schaut seiner Chefin vergnügt zu.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei der Straßenverkehrsordnung, die die Grüne kurz zuvor als „das am meisten missachtete Gesetz in Deutschland“ bezeichnet und daraus die Forderung abgeleitet hatte: „Es muss wehtun, sich illegal zu verhalten.“
Darauf gekommen war sie wegen der Frage, wie man die Ladezonen etwa für Handwerkerautos und Post vor Falschparkern schützen könnte. Denn eine Befragung von mehr als 1000 Anwohnerinnen und Anwohnern ergab ein überraschend deutliches Votum dafür, privaten Autoverkehr rigoros aus den Kiezen von Friedrichshain und Kreuzberg zurückzudrängen und die Straßen nicht länger als Abstellfläche für Privateigentum zu nutzen.
Die Umfrage zur Zukunft der Straßen im Bezirk hat das Infas-Institut im Auftrag des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) unter Bewohnern beider Bezirksteile gemacht. „Eine wissenschaftliche Untersuchung“, wie der Verkehrsforscher Andreas Knie vom WZB betont, keine Gefälligkeitsstudie im Auftrag des Bezirksamtes. Von 6000 verschickten Fragebögen seien reichlich 1000 ausgefüllt zurückgeschickt worden; zu ähnlichen Teilen aus beiden Bezirkshälften – und mit ähnlichen Ergebnissen.
„Noch in keiner Ecke Deutschlands erlebt“
Als herausragende Erkenntnisse nennt der auf Verkehrsforschung spezialisierte Soziologie-Professor Knie, dass mehr als 90 Prozent der Teilnehmenden die Pop-Up-Aktivitäten des Bezirksamtes – Poller, Diagonalsperren, provisorische Radwege – begrüßten. „Außerdem gibt es eine erstaunliche Mehrheit von zwei Dritteln, die wollen, dass in Kiezen wie diesem hier überhaupt keine Autos mehr parken dürfen.“ Rund die Hälfte habe sich sogar für Fahrverbote ausgesprochen.
Eine solche Bereitschaft zur Veränderung habe das Wissenschaftszentrum „noch in keiner Ecke Deutschlands erlebt“, sagt Knie. Dabei hätten selbst hier mehr als 40 Prozent der Haushalte ein Auto – „aber nur 14 Prozent fahren täglich damit, das heißt, die Dinger stehen einfach herum“, sagt Knie.
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Auf den 50 gesperrten Metern am Hohenstaufenplatz steht gerade nichts herum, wenn man von zwei zaghaft über den Fahrbahnrand ragenden Stühlen eines Cafés absieht und natürlich von den Stehtischen, an denen an diesem Tag weitere Passanten befragt werden sollen. „Wir haben ja eine große Vorliebe für sogenannte Reallabore“, sagt Monika Herrmann.
Ihr Straßenamtsleiter Weisbrich, der bei der Umsetzung der von Rot-Rot-Grün beschlossenen Verkehrswende alle anderen Bezirke weit hinter sich gelassen hat, bezeichnet solche probehalber autofreien Straßenabschnitte als idealen Ort, um mit allen Betroffenen unter realistischen Bedingungen ins Gespräch zu kommen. Das war der Sinn der Aktion am Donnerstag, nächste Woche ist Ähnliches am Görlitzer Ufer geplant – von Donnerstag bis Montagfrüh.
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Die von Infas Befragten waren mindestens 16 und im Mittel 42 Jahre alt. Knapp die Hälfte hat eine Migrationsgeschichte, rund 36 Prozent wählen nach eigener Auskunft grün, 21 Prozent gar nicht. Die Befragung ersetze nicht die Beteiligung, wenn es konkret darum gehe, den öffentlichen Raum in den Kiezen anders zu verteilen, versichert Herrmann – und lädt einen schimpfenden Handwerker, der sich zum Publikum gesellt hat, ein, dann mitzumachen, damit er seine Ladezone bekomme. Es sei ärgerlich, dass der Teil des Mobilitätsgesetzes zum Wirtschaftsverkehr „gerade von der SPD versenkt worden ist“, sagt die Bürgermeisterin. „Wenn wir die Verkehrswende als Bullerbü diffamieren, wird es schwierig.“
Auch sie glaube nicht an die autofreie Stadt, sagt Herrmann, und den oft gehörten Vorwurf des grünen Innenstadt-Lobbyismus auf Kosten der Außenbezirke dreht sie kurzerhand um: Die Linie der Giffey-SPD sei „selektive Politik für die Außenstadt“. Sie sei selbst in Rudow aufgewachsen, sagt Herrmann. „Da fuhr der letzte Bus um 20 Uhr, ich weiß also, wovon ich rede.“ Ihr Dienst-E-Bike, das neben ihr am Bordstein parkt, war damals noch gar nicht erfunden.