Verwaltungsgericht rüffelt Berliner Bezirksamt: Fußgängerzone in Friedrichshainer Krautstraße rechtswidrig
Grünen-Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann machte in Friedrichshain aus einer Straße eine Fußgängerzone. Nun setzt das Verwaltungsgericht ein Stoppzeichen.
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat eine Straße einfach für den Fahrzeugverkehr gesperrt und zur Fußgängerzone gemacht, ohne die dafür per Gesetz vorgeschriebenen Verfahren durchgeführt zu haben. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin in einem Eil-Beschluss festgestellt und das Bezirksamt verpflichtet, die Fußgängerzone in der Krautstraße vorerst rückgängig zu machen.
Die in der Straßenverkehrsordnung festgelegten Voraussetzungen für das Kennzeichnen einer Fußgängerzone lägen nicht vor, befand das Verwaltungsgericht in seiner am Dienstag veröffentlichten Entscheidung. Es fehle bislang an einer vorausgehenden städteplanerischen Entscheidung. Das entsprechende Verfahren nach dem Berliner Straßengesetz werde derzeit erst vorbereitet.
Demnach hat die zuständige Abteilung unter Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zwingend vorgeschriebene Verfahrensschritte nicht eingehalten, stattdessen setzte das Bezirksamt allein den politischen Mehrheitswillen der Bezirksverordneten für eine Verkehrswende mit aller Macht auch gegen die Anwohner durch, ohne sich an rechtliche Vorgaben zu halten.
[Schon 250.000 Abos: Suchen Sie sich Ihren Bezirksnewsletter vom Tagesspiegel aus! Für jeden Berliner Bezirk und kostenlos jetzt hier: leute.tagesspiegel.de]
Geklagt haben ein Unternehmen, das ein Haus in der Straße vermietet, und dessen Geschäftsführer, der in dem Gebäude auch wohnt. Die Bezirksverordneten hatten im Mai 2020 die Umgestaltung von vier Fußgängerzonen bestätigt, darunter auch die Krautstraße. Das Bezirksamt hatte die Bezirksverordneten dann im Oktober 2020 darüber informiert, dass „der Umsetzungsprozess“ in diesem Jahr gestartet wird – „mit dem Ziel einer schnellstmöglichen Ausweisung“ und Umwidmung der Straße als Fußgängerzone.
Bezirksamt will Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegen
Mitte Dezember 2020 hatte die Straßenverkehrsbehörde des Bezirksamts die Kennzeichnung einer Fußgängerzone sowie ein absolutes Haltverbot angeordnet. Die Teileinziehung der Straße sei in Bearbeitung, hieß es. Am 23. April 2021 wurden die angeordneten Verkehrszeichen für die Fußgängerzone und das Verkehrszeichen für ein Durchfahrtsverbot für Fahrzeuge aller Art, Poller und Absperrungen errichtet. Dagegen haben das Unternehmen und der Geschäftsführer einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht eingelegt.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Die Verwaltungsrichter gaben dem Antrag nun statt. Zunächst müsse das Verfahren zur straßenrechtlichen Teileinziehung der Krautstraße nach dem Berliner Straßengesetz durchgeführt werden, entschieden die Richter. Wegen der rechtswidrigen Aufstellung müsse das Bezirksamt die Verkehrszeichen und Poller eine Wochen nach Rechtskraft des Gerichtsbeschlusses abbauen.
Das Bezirksamt will nun Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) einlegen, wie es am Dienstag erklärte. Es ist durchaus möglich, dass das Bezirksamt bis dahin das vorgeschriebene Verfahren zur Einrichtung der Fußgängerzone abgeschlossen hat und dann Recht bekommt.
Ähnlich war es bei der zunächst willkürlichen Einrichtung von Pop-up-Radwegen durch die Grünen-geführte Senatsverkehrsverwaltung gelaufen. Erst als eine zunächst erfolgreiche Klage gegen die Radwege in der zweiten Instanz verhandelt wurde, reichte die Verkehrsverwaltung die nötigen Verfahren und Nachweise nach.
Klar ist aber auch, dass die Behörden verpflichtet sind, solche Verfahren zunächst abzuschließen, bevor sie die Straße dem Autoverkehr entziehen. Daran hat sich das Bezirksamt nicht gehalten.
Monika Herrmann begründet Vorpreschen mit veralteten Gesetzen
Bezirksbürgermeisterin Herrmann hatte kürzlich in einem Tagesspiegel-Interview ihren Stil bei solchen und ähnlichen Verkehrsprojekten erklärt. Sie „versuche, einen Aufschlag zu machen. Es ist nicht schicksalsergeben, dass etwas nicht geht“, sagte sie. Und: „Man braucht den Mut, Grenzen auszuloten, wenn man die Welt verändern will.“ Das Verwaltungsgericht erinnerte das Bezirksamt nun daran, dass dennoch verfahrensrechtliche Schritte einzuhalten sind.
Und auch jetzt bleibt Herrmann dabei und verteidigt ihr Vorgehen. „Diese Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts zeigt einmal mehr, wie schwer es in dieser Stadt ist, selbst kleine Flächen umzuverteilen und mehr Platz für Kinder, Verkehrssicherheit und Freizeitbedarfe zu schaffen“, sagte sie.
[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]
„Sichere Verkehrswege und Spielflächen werden in der dicht besiedelten Innenstadt dringend gebraucht werden", erklärte die Bezirksbürgermeisterin. „Leider stoßen wir bei der Umsetzung des Mobilitätsgesetzes und der Schaffung sicherer Infrastruktur immer wieder an Grenzen, weil die Gesetze veraltet sind und deswegen Gerichte entscheiden müssen.“
Als Bezirksamt „setzen wir uns“ weiter für Flächengerechtigkeit und Verkehrssicherheit für jene ein, die nicht im Auto unterwegs seien. Daher werde das Bezirksamt „selbstverständlich vom Rechtsmittel der Beschwerde Gebrauch machen“, sagte Herrmann.
Das Bezirksamt erklärte auch, warum es entgegen der Rechtslage und nicht abgeschlossener Verfahren vorgeprescht ist. „Das Verfahren zur Teilentwidmung des Straßenabschnitts für den Kfz-Verkehr wurde parallel zur verkehrsrechtlichen Anordnung angestoßen", heißt es in der Mitteilung der Behörde.
Im April hat das Bezirksamt einfach Fakten geschaffen
„Da das Verfahren zur verkehrsrechtlichen Anordnung schneller abgeschlossen werden konnte, wurde im Anschluss daran mit der Umgestaltung des Straßenabschnitts begonnen“, erklärte das Bezirksamt. Die Verwaltungsrichter dagegen sehen darin einen Verstoß. Die verkehrsrechtliche Anordnung sei nach den Gesetzen erst möglich, wenn das Entwidmungsverfahren abgeschlossen sei.
Konkret geht es um einen Teilabschnitt der Straße – etwa 50 Meter zwischen Kleine Markusstraße und der Hauszufahrt Lange Straße. Links und rechts der Mini-Zone befinden sich zwei Spielplätze, die durch die Zone verbunden und „die Verkehrssicherheit insbesondere für die jüngsten Verkehrsteilnehmenden zwischen den beiden Spielplätzen erhöht werden“ soll. So stand es in einem von Bezirksbürgermeisterin Herrmann unterzeichneten Info-Schreiben an die Anwohner Ende 2020. Weitere Gründe: Flächengerechtigkeit und Klimabewusstsein.
[290.000 Leute, 1 Newsletter: Den Tagesspiegel-Newsletter für Friedrichshain-Kreuzberg gibt's hier – voller Debatten, Ideen, Tipps und Terminen: leute.tagesspiegel.de]
Dann schuf das Bezirksamt im April und Mai Fakten: Außer für Rettungs- und Versorgungsfahrzeuge ist das Durchfahren, Halten und Parken in der Zone nicht mehr erlaubt. Bereits Ende 2020 gab es Anwohner-Proteste, die Linksfraktion der Bezirksverordneten warf dem Bezirksamt im April vor, Anwohner nicht beteiligt zu haben.
Die Linke forderte, die Umwidmung auszusetzen und rückgängig zu machen, „bis im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens eine abschließende verkehrspolitische / verkehrliche Lösung gefunden wird.“ Der Antrag der Fraktion wurde allerdings am 10. Juni vom Verkehrsausschuss und am 17. Juni vom Bezirksparlament abgelehnt.
Das Problem erklärt Ulrike Juda (Linke) folgendermaßen: „Um die Teilsperrung zu umfahren, fahren jetzt die Autos vermehrt durch die Einbahnstraße Kleine Markusstraße und damit direkt an den Ein- und Ausgängen der Spielplätze vorbei, was jetzt die Situation für die Kids zunehmend gefährlicher macht“. Die Bürgerbeteiligung „zur langfristigen Ausgestaltung“ der Fußgängerzone Krautstraße und der anliegenden Spielplätze sei noch nicht abgeschlossen, sagte Monika Herrmann jüngst.
Anwohner halten Fußgängerzone für „abstrusen Einfall“
Schon Ende 2020 regten sich in der Nachbarschaft erste Proteste gegen das Vorhaben. Der Mieterbeirat der angrenzenden Wohngebäude Lange Straße nannte die Absicht zur Sperrung der etwa 50 Meter als „abstrusen Einfall“ und „Machtmissbrauch“. Die Anwohner seien vorher nicht gefragt und erst durch den Aushang „von dem Beschluss der BVV zur Umwidmung und Teilsperrung der Krautstraße in Kenntnis gesetzt“ worden, sagt Wolfgang Ewald vom Mieterbeirat.
In einem ausführlichen Papier legte der Mieterbeirat im Februar 2021 Argumente gegen die Fußgängerzone vor. Demnach seien keine Verkehrsunfälle mit Kindern in der Krautstraße bekannt, außerdem müsse durch die Sperrung der gesamte Verkehr von der Holzmarktstraße Richtung Singerstraße durch die Lange Straße geführt werden. Eine Verkehrsberuhigung begrüße man, zum Beispiel mit Maßnahmen wie Tempo 10. Doch die Sperrung bedeute eine Verschlechterung des Wohnumfeldes.
Im März 2021 habe eine vom Mieterbeirat eingeforderte Begehung stattgefunden – gemeinsam mit der WBM, dem Grünflächenamt, Anwohnern und der Bezirksbürgermeisterin. „Dort wurde uns mitgeteilt, dass der Termin zur Sperrung eigentlich der 01.01.2021 war und man sich in Verzug befinde. Der BVV-Beschluss ist bindend und unwiderruflich umzusetzen“, berichtet Ewald. Bei einer Flugblattaktion mit Unterschriftensammlung gegen die Fußgängerzone hätten über 300 Menschen unterschrieben.