Zehn Jahre nach "Ehrenmord" in Berlin: Zwei Brüder von Hatun Sürücü in der Türkei angeklagt
Zehn Jahre nach dem "Ehrenmord" geht die Türkei gegen zwei Brüder von Hatun Sürücü vor. Die Anklage lautet auf Mord.
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Mehr als zehn Jahre nach dem Mord an Hatun Sürücü hat die Türkei zwei ihrer Brüder nach Behördenangaben in der Türkei wegen Mordes angeklagt. Es war ein Mord, der ganz Deutschland erschüttete: Am 7. Februar 2005 wurde die damals 23-jährige Hatun Sürücü, Mutter des sechsjährigen Can, an einer Bushaltestelle in Tempelhof mit drei Kopfschüssen getötet, weil ihr moderner Lebensstil von ihrer kurdisch-türkischen Familie als schandhaft abgelehnt wurde. Nun hat die türkische Justiz gegen zwei Brüder des Opfers Anklage wegen Mordes erhoben. Dies bestätigte die Sprecherin von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), Claudia Engfeld, auf Nachfrage. Zunächst hatte das die "Bild am Sonntag" berichtet. Berlins Justizbehörden seien vom Bundesamt für Justiz über den Schritt der türkischen Behörden informiert worden, sagte Engfeld.
"Man kann sich durch Flucht nicht entziehen"
„Das ist eine sehr gute Nachricht und zeigt, dass man sich durch Flucht nicht der Justiz entziehen kann“, teilte Berlins Justizsenator mit. Nach Tagesspiegel-Informationen geht die jetzige Anklageerhebung vor dem Schwurgericht in Istanbul auf einen Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und damit verbundene Gesprächen hinter den Kulissen sowie das Insitieren von Heilmann zurück. Die Delegation der Bundesregierung war vor zwei Jahren in der Türkei, um nach der Tötung des jungen Jonny K. auf die Regierung einzuwirken, gegen den dorthin geflüchteten Onur U. intensiv zu ermitteln. Er hatte sich über die Justiz öffentlich lächerlich gemacht. Die Berliner Behörden gewährten 2013 in beiden Fällen Akteneinsicht. Das Berliner Landgericht hatte nur den jüngeren Bruder Ayhan wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er war im Juli 2014 nach Verbüßung seiner Strafe in die Türkei abgeschoben worden und soll heute einen Imbissstand in Istanbul betreiben.
In Deutschland mangels Beweisen freigesprochen
Die jetzt angeklagten Brüder waren 2006 in einem ersten Prozess in Berlin aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Der Bundesgerichtshof hatte die Freisprüche 2007 aufgehoben. Zu einem neuen Verfahren kam es wegen ihrer Flucht nicht mehr. Die türkische Seite hatte 2013 ein eigenes Strafverfahren gegen die beiden Männer eingeleitet. Die Türkei liefert ihre Staatsbürger nicht aus.
Der Hauptverdächtige im Fall Jonny K., Onur U., hatte sich dann in Deutschland gestellt – wohl vor dem Hintergrund, dass Haftbedingungen in Deutschland im Vergleich zur Türkei milder sind. Verurteilt wurden er und andere wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Ob sich nun auch die Sürücü-Brüder stellen oder ob sie in Haft sind, blieb am Sonntag unklar. Auch, wann ein Prozess beginnt.
"Ein wichtiges Signal"
Viele Vertreter des gesellschaftlichen Lebens werteten die Mordanklage als Erfolg. Den Experten Hakan Tas von der Linken erreichte der Tagesspiegel in Istanbul, dort hatten auch gerade Medien den Fall aufgegriffen. Schon Anfang März habe der Generalstaatsanwalt das bekannt gegeben, vor dem Schwurgericht sei Anklage wegen Mordes "zum Nachteil eines Familienmitgliedes" erhoben worden. Und zwar gegen Alpaslan und Mutlu Sürücü. "Die Anklage ist ein wichtiges Signal dafür, dass man nicht in Deutschland Straftaten begehen und sich dann in die Türkei absetzen kann", sagte Tas. Er nimmt auch regelmäßig an den Gedenkfeiern am Todestag am Gedenkstein in Tempelhof teil. Es soll auch eine nach ihr benannte Brücke geben, ein Preis existiert schon.
Der „Ehrenmord“ hatte vor zehn Jahren eine politischen Debatte über Integration und einen besseren Schutz für Frauen sowie das Frauenbild im modernen muslimischen Glauben ausgelöst. Bei einer Verurteilung in Istanbul müssten die Sürücü-Brüder mit Haftstrafen bis zu lebenslänglich rechnen. In den vergangenen Jahren hatte die Türkei das Vorgehen gegen „Ehrenverbrechen“ verschärft. Im Zuge der EU-Reformen schaffte sie etwa traditionelle Strafnachlässe für „Ehrenverbrechen“ ab. Täter sollen nicht mehr auf minderjährige Familienmitglieder zurückgreifen können, weil diese geringere Strafen zu erwarten haben. Nach Einschätzung von türkischen Soziologen werden Täter in ihren Dörfern noch heute oft nicht als Mörder verdammt, sondern als aufrechter „Ehrenmann“ angesehen. (mit epd/KNA/dpa)
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