Berlin-Tempelhof - Gedenken an Hatun Sürücü: „Wir vermissen dich“
Tempelhof, ein Gedenkstein in der Oberlandstraße, vor zehn Jahren wurde hier Hatun Sürücü evon ihrem jüngsten Bruder erschossen. Was bewirkt Erinnerung? Ein Besuch am Tatort.
Für die einen ist es ein türkischer Name, den sie nur aus den Medien kennen. Die anderen haben noch ihr Lachen im Ohr. „Hatün Sürücü“, steht in Schreibschrift auf dem gelben Zettel am Gedenkstein vor Wohnblocks an der Oberlandstraße – und ein gezeichnetes Herz umschließt die Worte „Wir vermissen dich“.
Drei Schüsse in den Kopf
Dort, an der Bushaltestelle , hat am 7. Februar 2005 der kleine und jüngste von drei Brüdern, Ayhan, seine Schwester mit drei Kopfschüssen ermordet. Auch Alpaslan und Mutlu hatte ihre Schwester „Hure“ und „Schlampe“ genannt. Ihr Vater hatte das Kind nach der 8. Klasse vom Gymnasium abgemeldet, sie wurde mit 16 Jahren zur Ehe mit einem Cousin in Istanbul gezwungen, wurde schwanger. Doch sie überwarf sich auch mit seiner strenggläubiger Familie und kehrte allein nach Berlin zurück. Legte ihr Kopftuch ab, machte den Hauptschulabschluss nach, bezog eine eigene Wohnung und lernte Elektroinstallateurin. Und bat um Hilfe bei Polizei und Jugendamt.
Kolat: Alle Zwangsehen verfolgen
Sürücüs Sohn Can muss heute 16 Jahre alt sein, er wurde bei Pflegeeltern groß. Teenager sind auch die jungen Männer mit Migationshintergrund, die sich wie viele an diesem Jubiläumstag per Handy am Gedenkstein fotografieren lassen. Sie engagieren sich beim Präventionsprojekt „Heroes“. Einer sagt, er frage seine gleichaltrigen Gegenüber immer, ob sie denken, dass so sie wirklich gemocht werden, wenn sie die Freundin zu was zwingen. So etwas wirke. Diese Ehrenamtlichen haben Mut – und Mut besaß Hatun Sürücü, betont Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) in ihrer Rede. Den fordert sie auch von den islamischen Gemeinden, die frauenfeindliche Prediger nicht dulden dürften. Auch Zwangsehen, die nur in religiösen Zeremonien geschlossen werden, müssten endlich unters Strafgesetzbuch fallen, fordert Kolat.
Es werden mehr Fälle bekannt
Laut einer Umfrage des Berliner Arbeitskreises (AK) gegen Zwangsverheiratung stieg die Zahl sogar, um ein Viertel im Vergleich zu 2007, auf 460 Fälle in 2013. Das erkläre sich aber auch dadurch, dass immer mehr Frauen und Männer wagten, zu opponieren, sagte Hakan Tas von den Linken. Denn bei homosexuellen Männern und Frauen soll der Schein gewahrt werden, so die Erfahrung des der Lesben- und Schwulenverbandes LSVD. Der AK gegen Zwangsverheiratung fordert, eine repräsentative Einrichtung im Bezirk wie eine Schule, Kita oder Bibliothek nach Sürücü zu benennen. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) sagt, eine „Hatun-Sürücü-Brücke“ vom Tatort Oberlandstraße zum Tempelhofer Feld könnte man so oder so bauen.
Warum ging Integration schief?
Und die kurdischstämmige frauenpolitische Sprecherin der Linken, Evrim Sommer, zeichnet im Gespräch die teils misslungene Integrationspolitik Deutschlands im Zeitraffer nach: Menschen kamen, fühlten sich ausgeschlossen, flüchten sich in eigene Parallelwelten, idealisieren archaische patriarchale Werte. Was tun? Vielleicht würden Aufklärungskampagnen der türkischen oder arabischen Medien vom migrantischen Publikum ernst genommen.
Hilfe gibt es bei der BIG-Hotline (24h) unter Telefon 611 03 00. Beratungsstelle „Lana“, Terre des Femmes: 40 50 46 99 30