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Gekommen, um zu bleiben. Patras Bwansi will nicht sagen, aus welchem Land er kommt – es spielt für ihn keine Rolle.
© Kai-Uwe Heinrich

Flüchtlinge am Brandenburger Tor: Zuflucht bei der EU

Bei strömendem Regen suchen die Hungerstreikenden im Infozentrum der Europäischen Kommission Unterschlupf – und kommen dort ins Gespräch. Zumindest für die Camper auf dem Oranienplatz deutet Sozialsenator Czaja eine Lösung an.

Plötzlich war da dieses Zelt. Ein paar Äpfel, eine Lautsprecheranlage. Und ein gutes Dutzend Flüchtlinge. Mitten im Informationsbüro des Europäischen Parlaments Unter den Linden. Ein paar Mitarbeiter erinnern sich nur, dass alles ganz schnell ging, als das Infobüro „besetzt“ wurde. Reinhard Hönighaus, der Leiter der Pressestelle für die Vertretung der EU-Kommission, kam gleich dazu, genau wie die Polizei. „Erst mal werden sie geduldet“, sagt er. Niemand will eine Konfrontation riskieren. Bis zum Abend sollen sie aber wieder gehen. So lange stehen je zwei Polizisten im Eingang und beobachten.

Nach dem Sturm kommt die Ernüchterung. Patras Bwansi sitzt vor dem Zelt im Infobüro. Es sei Zeit für Revolution, steht darauf geschrieben. Doch davon kann hier keine Rede sein. Bwansi gehört zu den Flüchtlingen, die aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der EU, Deutschlands und überhaupt gegen Ungerechtigkeiten in der globalisierten Welt seit Mittwochabend vor dem Brandenburger Tor eigentlich in einen Hungerstreik getreten sind. Bwansi beißt in eine Banane. Der Rest, versichert ein Aktivist, macht weiter. Es gibt Wasser. „Die da sind verantwortlich“, sagt Bwansi und zeigt auf die Mitarbeiter des Infozentrums. Das stimmt natürlich so nicht. Aber sie sind eben Repräsentanten jener Institutionen, gegen die sich die Proteste richten. Sie machen daher das, wofür sie eingestellt wurden. Sie informieren.

Um den Empfangstresen hat sich eine ganze Traube von Flüchtlingen gebildet. Sie alle haben eine eigene Geschichte zu erzählen. Von Verwandten, die auf der Flucht umgekommen sind. Dass sie nicht arbeiten dürfen und für sich keine Perspektive sehen in den Asylbewerberheimen, in denen sie untergebracht sind. Bwansi nennt diese Heime „Lager“. Ein Kampfbegriff, den er von den deutschen Aktivisten gelernt hat, die die Flüchtlinge unterstützen. Während die EU-Mitarbeiter vorne mit den Flüchtlingen diskutieren, singen im hinteren Teil des Raumes die Aktivisten Lieder von Revolution und Verzweiflung, dass alle Menschen Brüder sind und es nur eine Welt gibt.

Draußen vor der Tür prangt an der Fassade ein schwarzes Transparent. „Die EU soll aufhören Flüchtlinge zu töten“, steht darauf mit weißer Farbe. In Rot sind Hände darauf zu sehen, es soll nach Blut aussehen. Der Regen verschmiert die Farbe, sie rinnt an der Fassade runter. Sachbeschädigung. Es ist der Moment, in dem auch der Ordnungsdienst eingreift. Die Aktivisten unterbrechen ihren Gesang, um mit Schwämmen die Spuren der Revolution von der Wand zu wischen.

Als sich das Europahaus allmählich wieder leert, ist die Wut von Bwansi und seinen Mitstreitern noch die gleiche. Reinhard Hönighaus hat es aber geschafft, sie in bürokratische Bahnen zu lenken. „Wir haben die Fragen aufgenommen und haben auch gesagt, dass wir uns wieder melden“, sagt er. Aber nicht mehr heute. In einer kurzen Mail sollen auch die Abgeordneten des EU-Parlaments informiert werden, dass es eine kleine Aktion gab, sagt ein Sprecher. Gut möglich, dass diese kleine Aktion erst der Anfang von einem größeren, fast unlösbaren Problem ist, dass sich noch über Tage und Wochen hinziehen könnte. Schon 2012 gab es einen ähnlichen Protest.

Am Morgen nach der ersten Nacht im Hungerstreik ist das Bild, das sich am Pariser Platz bietet, bedrückend und skurril zugleich. Vom Regen durchnässt liegen die Flüchtlinge auf Schaumstoffstreifen aneinandergedrängt. Einige haben Schlafsäcke. Daneben lassen sich Touristen mit einem Mann im Mickey-Mouse-Kostüm fotografieren. Immerhin, einige nehmen die Flyer mit. Auch die könnten Ärger machen. Ein Impressum, wie es das Presserecht vorsieht, ist nicht angegeben. Die Aktivisten wissen vom vergangenen Jahr, dass kleine Fehler verheerend sein können. Damals entbrannte ein Streit darüber, ob die Flüchtlinge Schlafsäcke benutzen dürfen. „Aus polizeilicher Sicht dürfen sie sich nicht häuslich niederlassen. Etwa ein Zelt aufstellen oder so etwas“, sagt ein Polizeisprecher. Bisher sei das aber nicht vorgekommen.

Ohnehin erinnert vieles an die Vorgänge im vergangenen Jahr. Auch die zögerlichen Reaktionen seitens der Politik und der Verwaltung. Erst einmal gucken, was passiert, scheint überall die Devise zu sein. Und die Zuständigkeit der anderen Stellen zu betonen. So verweist der Sprecher der Bundesintegrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) auf die Verantwortung des Berliner Senats. Auch der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), sieht erst einmal Sozialsenator Mario Czaja (CDU) in der Pflicht, sich um die Flüchtlinge zu kümmern. „Der Bezirk Mitte wird sich nicht noch einmal als Vermittler zur Verfügung stellen“, sagt Hanke. Das habe er aus dem vergangenen Jahr gelernt. „Damals kamen wir sogar in eine Situation, in der wir beschimpft wurden.“ Aber eines macht der Bezirksbürgermeister sehr deutlich: „Wir dulden kein Flüchtlingscamp am Brandenburger Tor.“ Genehmigt sei eine Demonstration, aber kein Camp. Sollten Zelte aufgebaut werden, dann werde die Polizei eingreifen. Und dazu brauche der Bezirk sie auch nicht extra aufzufordern: „Zelte widersprechen den Auflagen.“

Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) spielt den Ball zum Bund. Von Berlin gebe es – auch nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres – zukunftsweisende Vorschläge wie die Aufhebung der Residenzpflicht, besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und den Abbau von Sprachbarrieren durch Deutschkurse für Flüchtlinge. Senatssprecher Richard Meng sieht durchaus Möglichkeiten, dass sich auf Bundesebene etwas tut: „Frau Merkel wird keinen Koalitionspartner – ob SPD oder Grüne – finden, wenn sie bei der Blockade einer fortschrittlichen Flüchtlingspolitik bleibt und sich nicht bewegt.“

Zumindest für die Flüchtlinge vom Camp am Oranienplatz, deren Protest vor einem Jahr begann, rückt eine Lösung näher. Sozialsenator Czaja will am heutigen Freitag mit der Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne), reden und ihr ein Gebäude im Bezirk anbieten, wo sie die Menschen unterbringen könne. Wie das Ganze finanziert werde, müsse aber der Bezirk klären.

Eine Chronik der Ereignisse aus dem letzten Jahr finden Sie hier

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