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Auf dem Pariser Platz protestieren erneut Flüchtlinge für ihre Rechte und sind in den Hungerstreik getreten.
© Thilo Rückeis

Flüchtlinge protestieren in Berlin-Mitte: Wieder Hungerstreik am Pariser Platz

Sie protestieren gegen Residenzpflicht und ihre drohende Abschiebung: Erneut haben sich Asylbewerber am Brandenburger Tor niedergelassen und sind in einen Hungerstreik getreten. Für die Flüchtlinge, die seit fast einem Jahr auf dem Kreuzberger Oranienplatz wohnen, gibt es indes immer noch keine Lösung.

Sie kommen aus Ländern wie Äthiopien, Afghanistan oder Ghana und sitzen auf Pflastersteinen vor dem Brandenburger Tor. Sie fordern, dass die Residenzpflicht abgeschafft, ihre drohende Abschiebung aufgehoben wird. Sie wollen sitzen bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt sind – und sie wollen so lange nichts essen: Auf dem Pariser Platz sind am Mittwochnachmittag Flüchtlinge in den Hungerstreik getreten – wie vor knapp einem Jahr, als an gleicher Stelle Flüchtlinge für die Ausweitung ihrer Rechte hungerten.

Sie sind zwischen 20 und 30, hauptsächlich Männer, sind dafür aus München nach Berlin gereist. Einer von ihnen ist Hamed Rouhbakash, 23 Jahre alt und seit gut 22 Monaten in Deutschland. Fragt man ihn zu seiner Person und Geschichte, seinen Träumen, antwortet er ausweichend: Es komme auf ihn nicht an. „Wir sind eine Gruppe, wir sind alle um unser Leben hierher geflüchtet. Und jetzt haben wir uns zusammengetan, weil wir dieselben Probleme haben.“ Das alles erzählt Rouhbakash auf Deutsch, wie er es sich selbst im Heim angeeignet hat. „Wir wollen doch nur ein ganz normales Leben: studieren, arbeiten, keine Residenzpflicht, richtige Papiere.“ Einen über 300 Kilometer langen Protestmarsch aus Würzburg und Bayreuth nach München hätten sie bereits hinter sich, erzählt er weiter. Nun seien sie nach Berlin gekommen und hoffen, in der Hauptstadt gehört zu werden: „Fragen Sie die Regierung, wie lang wir hier bleiben müssen, es hängt von ihnen ab“, sagt Rouhbakash. Er sei in Iran geboren, erzählt er zum Schluss noch und bittet, das wörtlich so aufzuschreiben. Ein „Iraner“ will er nicht sein – er hält nichts von Ländergrenzen.

„Nie wieder ins Lager zurück“

Diese Einstellung teilt er mit einem anderen jungen Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte und als Unterstützer hier ist. Er ist vielleicht 20 Jahre alt, hat einen wilden Lockenkopf, trägt Zahnspange. Und auch er sagt: „Geografisch gesehen komme ich aus Iran. Aber ich glaube nicht an Nationalitäten.“ Vor einem Jahr erst hat er selbst im Protest hier gesessen und tagelang gehungert, nach dem ersten großen Marsch der Flüchtlinge. Mittlerweile hat er für drei Jahre Asyl bekommen. Wagt er es jetzt, von einer Zukunft zu träumen? „Ich mache keine Pläne für mehr als fünf Tage. “ Seit Monaten reist er umher, schläft bei Freunden, unterstützt protestierende Flüchtlinge. Eine Form neuer Freiheit: nie wieder ins Lager zurück, sagt er und meint sein Asylheim.Zum Protestcamp am Oranienplatz halten die Hungerstreikenden lockeren Kontakt, erzählt der Unterstützer weiter. Manche Demonstranten kennt er noch aus dem letzten Jahr. „Aber es gibt unterschiedliche Ideen, wie man das Ziel erreicht. Die Probleme betreffen so viele tausend Menschen, da ist das ganz normal.“

Laut Polizei handele sich bei dem Protest auf dem Pariser Platz um eine Dauermahnwache ohne zeitliche Begrenzung. Dagegen sei nichts einzuwenden, so lange nicht wie im vergangenen Jahr Zelte aufgebaut werden, sagt ein Sprecher. Auch Schlafsäcke seien verboten, denn demonstrieren darf hier jeder, aber nicht campieren. Und schon gar keine Zeltstadt aufbauen. Auch nicht, wenn es wie am späten Mittwochabend kälter wird und zu regnen beginnt.

Nach dem Tragödie vor Lampedusa diese Woche, bei der mehr als 270 Menschen im Mittelmeer ihr Leben verloren, sind die Belange der Flüchtlinge wieder stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Am Oranienplatz wurde am Mittwoch sogar eine Pressekonferenz improvisiert. Vor dutzenden Kameras und Mikrofonen sitzt Bashir Zakariya. Der Nigerianer hat seine beiden Kinder verloren. Andere verloren Brüder und Ehepartner auf der Flucht in die Festung Europa. Er spricht über seine Wut. Nein, er schreit. „Wir wollen nicht sterben. Wir haben nichts, kein Haus, kein Geld, nichts“, ruft er.

Claudia Roth zeigt sich betroffen

Claudia Roth, Noch-Vorsitzende der Grünen, sitzt neben ihm, tätschelt seinen Rücken. Bemüht, in ihrem Gesicht Bedauern und Schmerz auszudrücken. Wie immer gelingt es ihr. Sie tut an diesem Tag, was sie am besten kann. Sie zeigt sich betroffen. Mehr kann sie nicht tun. Die Situation am Oranienplatz ist festgefahren. Zwar wird das Zeltlager der Flüchtlinge dort geduldet, doch wo sie im Winter hin sollen, ist noch völlig offen. Roth zeigt den Journalisten den Haufen mit Altkleiderspenden, die Fotografen drängen sich in ein Schlafzelt, in dem ein paar Matratzen ausliegen.

Taina Gärtner findet die Aktion trotz des Safari-Charakters gut. Seit drei Monaten lebt die Kreuzbergerin auch in dem Camp. Obwohl sie ein paar Straßen weiter eine Wohnung hat, teilt auch sie sich eine Matratze mit zwei anderen, auch sie spürt, dass die Kälte im Winter ein Leben in Zelten hier unmöglich machen wird. Sie hofft nur, dass jetzt bald eine Lösung kommt. Eine richtige Unterkunft für die Flüchtlinge. Innensenator Frank Henkel hat keine. Weil Berlin formal nicht zuständig ist. Viele der Flüchtlinge müssten eigentlich von italienischen Behörden betreut werden. Auch Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ist ratlos. Hofft, wie die Flüchtlinge. Eine Lösung hat auch sie nicht.

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