Berlin-Brandenburg: Zu Gast auf dem Schlafplatz der Kraniche
Der Anblick von Kranichen soll Glücksgefühle auslösen: Im 700-Seelendorf Linum kann das jeder mal ausprobieren.
Kraniche sind klug. Oder besser gesagt: Sie haben einen Instinkt für schwierige Wetterlagen. Bei zu starkem Gegenwind oder gar Sturm unterbrechen sie ihren Flug, sagt die Biologin Kristina Hühn von der Naturschutzstation im Vogelschutzgebiet Rhin-Havelluch, wo sich auch der Kranichschlafplatz Linum befindet.
Bis Mitte November legen hier noch zehntausende Kraniche und Wildgänse einen Zwischenstopp auf dem Flug in ihre Winterqartiere im Süden ein. Während des Orkans in der vergangenen Woche seien die meisten Großvögel am Boden geblieben sagt Kristina Hühn, sprich: in den Feldern, wo sie vor dem Weiterflug ausreichend Nahrung finden. Deshalb habe „Xavier“ unter den Kranichen und Gänsen kaum Opfer gefordert.
Ein virtueller Gastgeber
Bei Linum, das zur Gemeinde Fehrbellin gehört, befindet sich einer der größten Kranichrastplätze auf der westeuropäischen Zugroute, sagt Kristina Hühn. Hier kann man sie nicht nur bei der Nahrungssuche auf den Feldern, sondern auch am Abend bewundern, wenn in der Dämmerung Zehntausende mit den typischen Trompetenschreien zu ihren Schlafplätzen fliegen.
Das heißt, eigentlich fliegen sie zu den sogenannten Vorsammelflächen, die eigentlichen Schlafplätze in den flachen Teichen und von Wasser bedeckten Wiesen suchen die vorsichtigen Tiere erst in völliger Dunkelheit auf. Der majestätische Flug zu den Sammelplätzen löst bei vielen Beobachtern freudige Gefühle aus – das hat Kristina Hühn immer wieder beobachtet. Nicht umsonst gelten sie in China und einigen anderen Ländern als Vögel des Glücks.
„Wenn es um Kraniche geht, geht es auch um Menschen“, sagt Kristina Hühn, die deshalb zur Beziehung von Tourismus, Landwirtschaft und Kranichen promoviert und gemeinsam mit Gleichgesinnten die Website Kraniche in Linum entwickelt hat. „Wir wollten alles bündeln, was hier im Ort zu diesem Thema angeboten wird“, sagt sie: „Und wir haben Lino entwickelt, einen virtuellen Kranich, der Besuchern alles Wichtige erzählt. Man braucht dazu nur ein Smartphone, mit dem man sich jederzeit in das lokale Wlan-Netz von Lino einklinken kann.“
Safari-Feeling in Brandenburg
Information ist wichtig, denn in dem 700-Einwohnerdorf Linum kann man nicht nur Kraniche beobachten, es gibt auch Vorträge, Exkursionen, Ausstellungen und sogar Kunst um den Kranich. Gaststätten, Cafés und Hofläden haben sich auf die vielen Besucher eingestellt, nur der öffentliche Nahverkehr noch nicht.
Denn während man mit dem Auto von Berlin aus nur etwa eine Stunde bis Linum braucht, fahren vor allem am Wochenende nur wenige Busse. Man muss also mit der Regionalbahn bis Kremmen und von dort mit dem Fahrrad oder Taxi noch etwa zwölf Kilometer zurücklegen.
Das Auto empfiehlt sich auch noch aus einem anderen Grund: Tagsüber lassen sich die auf den Feldern fressenden Tiere aus dem Fahrzeug heraus besser beobachten. Aber bitte in gebührender Entfernung, sagt Kristina Hühn: „Wir müssen leider immer wieder feststellen, dass sich Besucher nicht an den empfohlenen Abstand halten und die scheuen Tiere damit stören.“
Selbst auf dem nahe gelegenen kleinen Flugplatz Fehrbellin nimmt man deshalb Rücksicht: „Unsere Nutzer dürfen über dem Vogelschutzgebiet eine Höhe von 2000 Fuß nicht unterschreiten“, sagt ein Flugplatz-Mitarbeiter.
Sie sind spät dran
Ein Fernglas und Rücksicht sind für die Kranich-Beobachtung also ein Muss – das fordert auch der Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg. Dessen Sprecherin Heidrun Schöning sagt, dass die Kraniche in diesem Jahr verhältnismäßig spät nach Linum kamen. Bei einer ersten Zählung am 3. Oktober kam man auf etwa 50 000 Tiere, derzeit seien es rund 37 500.
Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre würden es in den kommenden Tagen wieder mehr, sagt Heidrun Schöning: „Am Anfang kommen die Kraniche, die inzwischen in Brandenburg brüten und dann erst die Tiere aus Skandinavien. Wir haben den diesjährigen Höhepunkt noch nicht erreicht.“
Der regenreiche Sommers habe zur Folge, dass manche landwirtschaftlichen Flächen lange nass waren und noch nicht abgeerntet seien, sagt Schöning: „Der Kranich aber braucht abgeerntete Felder.“
Vor allem Maisfelder gebe es Linum inzwischen zur Genüge – aber auch anderswo, wo man laut Nabu jetzt ebenfalls Kraniche beobachten kann. Auch die Bergbaufolgelandschaften in der Niederlausitz sind in den vergangenen Jahren zu wichtigen Rast- und sogar Brutgebieten für Kraniche geworden – beispielsweise im Nabu-Naturparadies Grünhaus zwischen Finsterwalde und Lauchhammer.
Wer mit etwas weniger Kranichen zufrieden ist, dafür das Naturschauspiel aber in Ruhe genießen will, für den sind solche Orte sicher günstiger, sagt Kristina Hühn: „Hier in Linum muss man sich den Anblick meist mit vielen anderen Beobachtern teilen. Dafür sieht man dann aber auch viele Tausende Vögel des Glücks.“
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