zum Hauptinhalt
Eva Sternheim-Peters las am 23. Juni 2015 im Tagesspiegel-Salon aus ihrem Buch "Habe ich denn alleine gejubelt? Eine Jugend im Nationalsozialismus". Hier die gesamte Lesung samt Diskussion im Video.
© Hendrik Lehmann

„Habe ich denn allein gejubelt?“: Zeitzeugin Eva Sternheim-Peters diskutierte über ihre Begeisterung in der Nazi-Zeit

Eva Sternheim-Peters (90) las aus ihrem Buch „Habe ich denn allein gejubelt?“ Erst ein Tagesspiegel-Artikel hatte das Buch, das die Stimmung während der NS-Zeit beschreibt, bekannt gemacht. Für viele Besucher der Lesung im Verlagsgebäude war es ein Versuch, ihre Eltern zu verstehen.

Im Oktober wagt sie einen letzten Anlauf: Noch einmal schreibt die 90-Jährige allen großen Zeitungen und Verlagen und wirbt für ihr Werk – schon über 25 Jahre ist es alt und noch immer fast völlig unbekannt. Ein Buch, das die Fragen beantworten will, die nach dem Krieg so viele Kinder ihren Eltern stellten – oder auch nicht, weil sie sich dazu nicht trauten: Warum habt ihr den Nationalsozialismus geduldet oder euch sogar dafür begeistert? Wie konnte euch etwas so Schreckliches nur so sehr faszinieren? Sich allein auf Erklärungsversuche wie „kollektive Psychose“ und Mitläufertum zu beschränken, davon hält Sternheim-Peters nicht viel. „Ich habe lange gewartet, aber keiner meiner Zeitgenossen hat so ein Buch geschrieben wie ich“, sagt sie. Darum wurde sie aktiv.

Einzig der Tagesspiegel antwortete Eva Sternheim-Peters. Nachdem ein Artikel über ihr Buch „Habe ich denn allein gejubelt?“ erschienen war, meldeten sich hunderte Leser bei ihr. Sie berichten von ihren eigenen Erlebnissen, davon, wie sie selbst die NS-Zeit empfunden haben oder ihre Eltern bis heute nicht verstehen können. Noch am selben Abend sind die hundert Exemplare, die sie schon seit Jahren unter ihrem Bett gehortet hat, verkauft. Im Oktober legt der Europa Verlag ihr Buch sogar neu auf. Das große Interesse, eine späte Genugtuung.

"Der Freiheit gehört unser Leben": Die Lieder blieben ihr bis heute im Ohr

Im Tagesspiegel-Salon las Sternheim-Peters am 23. Juni aus ihrem Buch und kam mit Zuhörern ins Gespräch über das Verstehen und das Nachempfinden einer Zeit, die die Deutschen bis heute schwer bewegt. „So viele klagen, dass ihre Eltern gestorben sind, bevor sie die Antworten bekommen haben, die sie von ihnen wollten“, sagt sie. Im Buch schildert sie darum ihren damaligen Enthusiasmus für die NSDAP. Dabei verwebt sie ihr persönliches Erleben als Zeitzeugin mit historischen Einordnungen. Sie berichtet von den vormals arbeitslosen Männern, die tagsüber auf den Straßen lungerten und plötzlich wieder Arbeit hatten. Vom britischen Premierministers David Lloyd George, der nach einer Deutschlandreise 1936 begeistert von einem verwandelten und glücklicheren Deutschland redet. „Das war genau die Stimmung damals“, sagt sie. Immer wieder stimmt sie Lieder aus ihrer Zeit beim Bund Deutscher Mädel an, die ihr bis heute nicht aus den Ohren gehen: „Der Freiheit gehört unser Leben, lasst die Fahnen im Wind, einer stehet dem anderen daneben, aufgeboten wir sind.“

Tagesspiegel.de-Chefredakteur Markus Hesselmann moderierte das Gespräch mit den Gästen im Verlagsgebäude und Eva Sternheim-Peters.
Tagesspiegel.de-Chefredakteur Markus Hesselmann moderierte das Gespräch mit den Gästen im Verlagsgebäude und Eva Sternheim-Peters.
© Tsp

Auch die Zuhörer erzählen von ihren Erfahrungen. Ein Mann etwa berichtet von seinen damals bitterarmen Eltern, denen die Nazis neue Zuversicht gegeben hätten. Ob sie sich die Frage der Mitschuld gestellt hat, will dann ein Zuhörer wissen. Das sei schwer zu beantworten, sagt Sternheim-Peters und schweigt. Da ruft ein Gast: „Was hätten Sie als Einzelne denn auch dagegen machen können?“ Ein anderer meldet sich zu Wort und sagt, wie abhängig man doch immer von Informationen sei. „Wir sollten darum vorsichtig sein, Frau Sternheim nach der Schuld zu fragen“, sagt er und erntet Applaus. An diesem Abend wollen die Zuhörer nicht anklagen, sondern den einstigen Gefühlen ihrer Eltern endlich auf die Schliche kommen.

Viele Besucher stellten der Autorin Fragen oder erzählten von ihren eigenen Erfahrungen.
Viele Besucher stellten der Autorin Fragen oder erzählten von ihren eigenen Erfahrungen.
© Tsp

Kein Schicksal: Kontroverse am Schluss

So sagt dann auch ein Gast nach der Veranstaltung: „Nachdem ich den Artikel im Tagesspiegel und das Buch gelesen habe, konnte ich meine Eltern besser verstehen.“ In dem Buch habe er Passagen markiert, zu denen er seinen Vater noch befragen wolle. Eine andere Zuhörerin ist nur zwei Jahre jünger als die Autorin und sagt, sie komme aus einem ähnlichen Milieu und habe sich darum in vielen Dingen wieder erkannt, obgleich man in ihrer Familie weniger enthusiastisch dabei war.

Am Ende wird es doch noch kontrovers: Ein Mann steht auf und sagt, was in Deutschland während der NS-Zeit passiert ist, sei Schicksal; der Einzelne hätte nichts dagegen tun können. Daraufhin gibt es großen Widerspruch und Buhrufe unter den Gästen. Denn dies ist weder die Botschaft des Buches noch des Abends.

Nach der Lesung um 22 Uhr hatte die 90-Jährige sogar noch genügend Kraft übrig, um ihre Bücher zu signieren.
Nach der Lesung um 22 Uhr hatte die 90-Jährige sogar noch genügend Kraft übrig, um ihre Bücher zu signieren.
© Tsp

Henrik Pomeranz

Zur Startseite