Neue Firmenzentrale in Berlin: Zalando baut die Stadt in der Stadt
Wer aufgenommen wird, soll hier nicht nur arbeiten, sondern sich wohlfühlen, leben. Ein Einblick in ein Zalandos Vorzeigeprojekt, das manchen nicht geheuer ist.
- Maris Hubschmid
- Sonja Álvarez
Diese Stadt folgt ihren eigenen Regeln und sie kennt klare Kriterien für die Einbürgerung. Wenn du bei Zalando arbeitest, musst du „mutig“ sein!, wirft der Beamer an die Wand: „Brave!“ „You have to jump into the cold water“, erklärt die Moderatorin. Aber gleichzeitig ein Nerd, „geeky“: „Wir wollen, dass du alle Entscheidungen auf Basis von Daten triffst!“ „Egoless“ sollst du sein, dich dem Team unterordnen, vor allem aber: „Customer obsessed“. Vom Kunden besessen, von dessen Wünschen und Bedürfnissen.
Wer es in die Stadt schafft, wird von Küchen mit langen Esstischen empfangen, von „Living Rooms“ und Duschen, Ruheräumen und Umkleidekabinen, weitläufigen Dachterrassen. Dazu ein Fitnessbereich, eine eigene Poststation, eine Kita, eine Fressmeile, ein Sportplatz – und Bürofläche. Ein Ökosystem, so vollständig, dass sich kaum Gründe aufdrängen, es zu verlassen. Haustiere dürfen mitgebracht werden.
Gegenüber der Eastside-Gallery in Friedrichshain an der Spree, fußläufig der vergleichsweise gesichtslosen, blassgelben Bürogebäude in der Tamara-Danz-Straße, von denen die Geschäfte bisher gesteuert werden, lässt der Onlinemodehändler Zalando derzeit eine neue Zentrale erschaffen. Ein markanter Siebengeschosser mit doppel-X-förmigem Grundriss. Ende des Jahres ist Rohbau-Übergabe. Wenn er bezogen wird, komplettiert er die immer zahlreicher gewordenen von Zalando genutzten Bürohäuser im Umfeld zu einer Stadt in der Stadt. Zehn Millionen Euro gibt das Unternehmen, das Mieter ist, für den Endausbau aus. Ein Ort für tausende Bewohner, für mehr als 5000 der dann insgesamt 6000 Zalando-Mitarbeiter in Berlin, bloß ohne Rentner, Kranke, Arbeitslose.
Ein aufregender, dynamischer Ort, schwärmen sie hier. 60 Frauen und Männer treten an diesem Septembermontag ihren Job bei Zalando an. Draußen lockt einer der letzten heißen Sommertage, drinnen – in den Bürobauten an der Tamara-Danz-Straße –, hinter heruntergefahrenen Jalousien ziehen die Frauen ihre Schals enger um ihre Schultern wegen der Klimaanlage. „Ihr seid aber wenige heute“, wundert sich der „Senior Vice President Digital Experience“, einer von vier Topmanagern an diesem „Onboarding“-Tag, der Neueinsteiger auf Zalando einschwören soll. Zwei Mal im Monat finden solche Tage statt, zur Monatsmitte, und die ist jetzt, sind es sonst bis zu 80, zum Monatsbeginn 100 bis 120 neue Gesichter. Kein anderes Unternehmen in Berlin stellt so viel ein. Allein in diesem Jahr sollen 2000 Mitarbeiter dazukommen. In einer Stadt, die an Industrie arm ist, ist Zalando neben dem öffentlichen Dienst einer der bedeutendsten Arbeitgeber.
Die Stadt schmückt sich gerne mit Zalando. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller setzte den symbolischen ersten Spatenstich für die neue Zentrale persönlich und verweist regelmäßig auf Zalando als Erfolgsbeispiel dafür, wie aus „arm, aber sexy“ mächtig und sexy werden kann.
Mächtig ist Zalando auch insofern, als es Berlin verändert. Weil es als Magnet wirkt auf andere Unternehmungswillige, sich kleine Firmen im Dunstkreis des Pioniers ansiedeln, in der Hoffnung, etwas von dem Glanz möge auf sie abstrahlen. Zalando macht Berlin internationaler. Knapp die Hälfte der 60 Leute, die an diesem Montag neu dazustoßen, kommen aus Ländern außerhalb der EU. Indien, Brasilien, Argentinien, China, Neuseeland, Australien. Andere aus Spanien, der Türkei, Tschechien, Finnland, Großbritannien. Und Zalando macht Berlin jünger. Das Durchschnittsalter der Belegschaft liegt bei 32 Jahren. Bei Siemens sind es „über 40“, bei der Bahn 45,4 Jahre. Berlins Bevölkerung ist im Durchschnitt 42,7 Jahre alt.
Aber Zalando wäre umgekehrt nicht möglich ohne diese Stadt. In Videos, mit denen die Firma um neue Mitarbeiter wirbt, gibt es ein zentrales Argument: Du lebst in Berlin.
DIE NEWBIES
32 Zalando-Durchschnittsjahre alt ist zum Beispiel Nathalie Fältlöv, lange blondierte Haare, aus Malmö in Schweden. Dort hat sie für den Energiekonzern Eon gearbeitet. Dass Zalando sie kontaktiert hat: Für sie „the best moment ever. Alle wollen schließlich da arbeiten.“ Fältlövs Mutter kommt aus Polen, ihr Vater aus dem Iran. Fältlöv sagt: Sie habe schon lange dieses Gefühl gespürt, dass sie nach Berlin gehöre. Bei ihrem ersten Besuch war es „Liebe auf den ersten Blick.“ Also kam sie, erstmal ohne Job. Fand einen bei einem kleinen Reiseportal, eine helle Zweizimmerwohnung in Kreuzberg. Sie sagt, auch Mitte oder Prenzlauer Berg wären okay gewesen, aber Kreuzberg habe am wenigsten Ähnlichkeit mit Schweden, „wo alles so super sauber und ordentlich, perfekt und langweilig“ sei.
Sie berichtet davon auf Englisch. Bei Zalando sprechen alle Englisch. Fältlöv schwärmt von Bars und Musikszene in Berlin, von Restaurants, die man sich leisten kann. Sie sei lieber „stressed out“ als „bored“. Giere nach beruflichen Herausforderungen. Sie will „an sich selber wachsen“ und „von Leuten lernen, die es draufhaben“.
Fältlöv wird von Berlin aus fortan die Öffentlichkeitsarbeit in Skandinavien betreuen. Vom Skandal der Arbeitsbedingungen in Zalando-Logistikzentren hat sie nie gehört. „Hier habe ich die Bluecard bekommen“, sagt ein 26-jähriger Inder strahlend, eine Aufenthaltsgenehmigung für die Europäische Union. Noch wohnt er in einem Zalando-Apartment in Mitte, wo er aber nur einen Monat bleiben kann. Beim Kennenlernspiel am Nachmittag sollen alle aufstehen, die auf Wohnungssuche sind. „Tut euch zusammen“, rät die Moderatorin. Es gäbe zahlreiche Zalando-WGs.
DIE OLDIES
In diesen Wochen feiert Zalando sein zehnjähriges Bestehen mit reihenweise Veranstaltungen. Wie lange seid ihr schon dabei, werden zwei Ankommende gefragt, die für den „Oldie meets Newbie“-Lunch ausgelost wurden, bei dem Erfahrenere mit Neuen ins Gespräch kommen sollen. „One year“, sagen beide und bekommen einen hellblauen Punkt aufs Hemd geklebt. Es dauert zehn Minuten, ehe sie realisieren: Er kennzeichnet sie als Oldies.
Die Fluktuation sei hoch, räumt das Unternehmen ein, 2017 lag sie bei 25 Prozent. Durchschnittlich bleiben Mitarbeiter 2,6 Jahre. „Du merkst schnell, ob du hier reinpasst oder nicht“, sagt eine 37-Jährige, kurze Haare, schwarze Strickmütze, runde Brille. „Die ersten Wochen sind für viele chaotisch, die gewöhnt sind, dass man sie an die Hand nimmt, ihnen Aufgaben gibt.“ Hier kaue keiner einem was vor. Sie selber war früher in einer Werbe-„Kreativagentur“ beschäftigt, aber so kreativ gearbeitet wie hier habe sie vorher nie. „Du hast quasi einen großen Legokasten vor dir. Du nimmst dir die Projekte, die Steine, mit denen du bauen willst, und probierst.“ Ihr Job? „Senior Digital Communications Manager Employer Branding“, sie bespielt die Social-Media-Kanäle, über die sich Zalando als Arbeitgeber präsentiert. Ob sie auf Zalando stolz sei? Das wäre zu viel gesagt. „Jeder würde doch was anderes machen, wenn er die Miete nicht zahlen müsste.“
DIE AUSSTEIGERIN
Julia Verhoeven, die eigentlich anders heißt, hat von 2013 bis 2014 bei Zalando gearbeitet, Produktbeschreibungen ins Niederländische übersetzt. Wenn sie fünf Minuten nach neun kam, sei das negativ kommentiert worden, erzählt sie am Telefon. Erinnert sich an Langeweile, Tage, an denen sie stundenlang Youtube-Videos angesehen habe. Wenn sie sich nach Aufgaben erkundigte, hieß es spöttisch, Arbeit finde sich immer, sie müsse sie nur suchen. Der Teamleiterin fiel auf, dass Verhoeven sich „zu häufig vom Arbeitsplatz entfernte“, Tee kochte oder zur Toilette ging. „Die Stimmung war mies. Ich habe aber gesehen, dass andere Teams viel mehr Spaß hatten. Zugleich wusste ich von anderen, bei denen es genauso blöd lief.“
Julia Verhoeven geht davon aus, dass das Klima heute, vier Jahre später, ein anderes ist, aber sie weiß es nicht, weil alle, die sie damals kennenlernte, inzwischen auch gekündigt haben. „Für viele ist es eine Durchgangsstation. Vor allem für Leute, die neu in der Stadt sind.“ Die landen schnell bei Zalando. „Und sehen sich dann in Ruhe nach was um, das besser für sie passt.“
DER PERSONALCHEF
Im Empfangsbereich in der Tamara-Danz-Straße sitzt ein hoch aufgeschossener dunkelhaariger Mann in blauem T-Shirt und pistazienfarbenen Shorts auf einem Sofa vor einem Regal mit Stilettos. In Riga geboren, wuchs er in Berlin auf, erzählt er. Sein Vater handelte mit Antiquitäten. Boris Ewenstein hat für die Unternehmensberatung McKinsey in Berlin und Johannesburg gearbeitet, davor in London, als Moderator bei MTV. Er spricht fünf Sprachen und hat einen Doktor in Soziologie. Einmal kurz betrieb er einen Club in den U-Bahn-Bögen an der Oberbaumbrücke.
Seit einem Jahr ist er bei Zalando, mit 41 verantwortlich für die Belange tausender Mitarbeiter. Er ist „Senior Vice President People & Organisation“, Personalleiter. Hört man ihm zu, scheint ihm das alles irgendwie passiert zu sein, angefangen beim MTV-Casting, wo sie ihn „komplett überraschend“ haben wollten. „Ich wollte dann stärker inhaltlich arbeiten.“ Ewenstein sagt, er habe Bock darauf gehabt, nach Berlin zurückzukehren. Über Projekte kam er mit Zalando in Kontakt. „Ich war immer öfter hier und irgendwann fragten sie, ob ich nicht gleich bleiben wolle.“ Jetzt verbringt er hier etwa zwölf Stunden am Tag.
Was er in zehn Jahren machen wird? Wer wisse das schon? Boris Ewenstein spricht davon, wie dynamisch hier alles ist, jeder Tag anders, neu, offen, zwanglos. Die Frage nach seiner Shorts irritiert ihn, das sei doch nicht bemerkenswert, es sei ja warm draußen. Hier komme eben jeder, wie er sich wohlfühlt. Ganz Berlin.
Warum hat man gerade ihn geholt? Es gäbe da, sagt er, gewisse „Start-up-Sünden“, die er beseitigt. Zum Beispiel keine Konsistenz bei der Bezahlung, jeder wurde zu anderen Konditionen eingestellt. 2017 haben sie ein Leistungssystem eingeführt, wonach nicht mehr die Vorgesetzten allein entscheiden, ob jemand mehr verdient, befördert werden sollte, sondern auch Kollegen, die regelmäßig zur Performance anderer befragt werden. Wie engagiert, verlässlich, aber auch teamfähig ist jemand? Bringt er die Arbeit voran? Ist er bereit, Bestehendes in Frage zu stellen und Strukturen auch gegenüber Vorgesetzten zu hinterfragen? Wo liegen seine Stärken? Die Summe aus fünf bis acht Bewertungen wird berücksichtigt, um der Gefahr vorzubeugen, dass Einzelne andere schlechtmachen.
Viele hier, sagt er, seien sehr jung befördert worden. Aber jetzt sind sie die Chefs von anderen und keiner hat sie auf diese Rolle vorbereitet. Also will er dieses Jahr die Führungsfähigkeit von mehr als 500 Managern stärken. „Gute Führung bewirkt viel mehr als alle Benefits, Freigetränke, Firmenwagen.“ Schließlich gibt es auch in der schönen neuen Arbeitswelt das Frauenproblem. Ziemlich genau die Hälfte der Beschäftigten sind Frauen, aber in den Top-50-Positionen sind davon bisher nur wenige angekommen.
Eine der Herausforderungen für dieses Unternehmen, das mit lauter Studenten anfing, wird es sein, die tausenden von Mitarbeitern zu integrieren, die Eltern werden. Es wird auf seine Familientauglichkeit geprüft. „Jeder, der Kinder hat, strugglet irgendwie, die Bälle in der Luft zu halten“, sagt Ewenstein, selber Vater dreier Kinder. Also versuchen sie jetzt, mehr Rücksicht zu nehmen, mit Teilzeit-Programmen, flexiblen Arbeitszeiten oder schlicht dem Verschieben von Meetings. Eigenen Kindergärten „rund um BTD.“
So sagen sie hier, das steht für Berlin, Tamara-Danz-Straße. „BMO“ meint den Standort Mollstraße, „BPB“ den am Postbahnhof und so weiter.
DER IMMOBILIENCHEF
Raimund Paetzmann sieht dann fast wieder aus wie ein Arbeitnehmer aus der alten, vertrauten Arbeitswelt, mit Karohemd und langer Hose, einzig die Sneakers auffällig blau. Er ist 52 und wurde vom luxemburgischen Europasitz des Weltmarktführers Amazon abgeworben. Paetzmann hat den Schlüssel zur schönen neuen Zalando-Welt, als „Vice President Corporate Real Estate“ beaufsichtigt er Logistikcenter-Bauten und jetzt den Neubau in Berlin. Mit einem 100-köpfigen Team sorgt er auch dafür, dass die Stadt läuft, das Licht brennt, die Kühlschränke mit Club Mate gefüllt sind. Längst beschäftigt Zalando nicht nur eigene Headhunter, sondern auch Architekten.
„Wir haben gesehen: Zahlreiche unserer Schreibtische sind nur 50 Prozent der Zeit besetzt“, sagt Paetzmann. „Also gibt es im Neubau keine festen Arbeitsplätze mehr, sondern flexible Working Spaces.“ Nathalie Fältlöv zum Beispiel wird sich jeden Morgen einen neuen Schreibtisch suchen müssen. Künftig stünden Kommunikation und Wohlfühlen im Mittelpunkt. Wie das aussehen könnte, lässt sich bereits in einem jüngst bezogenen Bürogebäude um die Ecke in der Mühlenstraße erahnen: Da hängen Leute in niedrigen „Butterfly-Chairs“, die Füße auf große Sitzwürfel gelegt, mit Laptop auf dem Schoß. Da ist das „Badeschiff“, ein dem gleichnamigen Freibad am gegenüberliegenden Spreeufer nachempfundenes, über eine Leiter begehbares Holzkonstrukt mit Reeling und blauen Schaumstoffmatten anstelle von Wasser. Oder das „Tempelhofer Feld“, wo grasgrüne Sitzkissen zum Rumlümmeln einladen, Pflanzen aus der Wand wachsen. Es gibt auch Gärtner bei Zalando.
Wie heftig einstige, längst zu Giganten gewordene Start-ups das soziale Gefüge einer Stadt aus dem Gleichgewicht bringen können, ist da zu beobachten, wo der Tech-Boom seinen Anfang nahm: in den USA. In San Francisco zum Beispiel, wo Unternehmen wie Twitter, Uber und Airbnb ihren Sitz haben, und im benachbarten Silicon Valley sind die Immobilienpreise so gestiegen, dass sich viele nicht einmal mehr die Garage leisten können, in denen etliche der heutigen Konzerne ihren Anfang nahmen. In Mountain View leben Google-Mitarbeiter in alten Lieferwagen. In Seattle campieren Menschen aller Altersgruppen in Parks zwischen den Amazon-Türmen.
Zalando wird nicht nachgesagt, besonders üppige Gehälter zu zahlen. Aber allein schon durch die hohe Mitarbeiterfluktuation treiben Unternehmen wie Zalando den Mietspiegel in die Höhe. Der Großteil der Angestellten lebt in Kreuzberg, in Friedrichshain, an der Rummelsburger Bucht. „Wir haben über eigene Immobilien nachgedacht“, sagt Raimund Paetzmann. „Aber wir können nicht für 6000 Mitarbeiter Wohnungen bauen. 40 bis 100 bringen nichts.“ Nach welchen Kriterien sollten sie die dann vergeben? „Das wäre schwer aufzulösen.“
Der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, gilt als Investorenschreck. „Die mögen aus dem Start-up gekommen sein“, sagt er, „jetzt ist das Plattformkapitalismus, ein Konzern wie andere auch, in dem ganz viel Geld und viele Daten zusammenlaufen. Damit geht Verantwortung einher.“ Die sei dem Unternehmen aber durchaus bewusst. Er begrüßt, dass Zalando Verkaufsraum und Angebote für die Nachbarschaft im Erdgeschoss plant, die Dachterrasse für alle öffnen will. Die Kita soll auch Kinder, deren Eltern nicht bei Zalando arbeiten, aufnehmen. „Der Kontakt zu Zalando ist da.“ Positiv bewertet Schmidt auch die Mitarbeiterstruktur. „Die fahren nicht morgens ihr Auto in die Firmentiefgarage, sondern kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Sie bewegen sich im Quartier.“ Die Stimmung der Anwohner bezüglich Zalando beschreibt der Baustadtrat als „neutral“.
Das mag auch daran liegen, dass es kaum welche gibt. Eingerahmt werden die Zalando-Gebäude an der Spree von der Mercedes-Benz-Arena, dem Großhändler Metro, neuerdings der East Side Mall. Auf dem riesigen, einstigen Bahngelände entstehen gerade ein Kino, ein Bowlingzentrum, eine weitere Veranstaltungshalle und 30 Geschäfte.
Zunächst hatte das Unternehmen mit einer lange Zeit besetzten, schließlich geräumten und damit politisch kontaminierten Brache an der Kreuzberger Cuvrystraße geliebäugelt. Als es davon Abstand nahm, war auch der Bezirk erleichtert.
DIE GRÜNDER
David Schneider, Robert Gentz und Rubin Ritter, Vorstände von Zalando, sind heute alle Mitte 30. Schneider und Gentz gründeten Zalando 2008 in einer Wohngemeinschaft in der Torstraße in Mitte. „Damals musste man sich seinen Schreibtisch noch selber aufbauen“, heißt es beim Onboarding-Day. „So lucky you.“ Mit Kapital der Samwer-Brüder – Internet-Unternehmer ihrerseits und Gründer von Rocket Internet, einer Firma, die Internetfirmen gründet und groß macht – gingen die Studienfreunde eine wahnwitzige Wette ein: Schuhe im Internet zu verkaufen. Schuhe. Die muss man doch anprobieren, sagten die Leute. Das taten sie auch. Zalando und Retouren, das fiel in Medienberichten oft in einen Satz.
Das Unternehmen setzte alles auf schnelles Wachstum. 2014 ging es an die Börse, seit vier Jahren ist Zalando rentabel. Und heute in 17 europäischen Märkten aktiv. Seit Neuestem werden die drei Vorstände nach einem Modell vergütet, das ihnen 65 000 Euro festes Jahreseinkommen, aber je nach Unternehmensentwicklung bis zu 108 Millionen über Aktienoptionen bescheren kann. 2018 erwartet das Unternehmen mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz.
In einem wackligen Filmchen, das an die Wand projiziert wird, melden sich am Onboarding-Tag die Vorstände mit einer Botschaft zu Wort. Sprechen vom einzigartigen Team-Spirit. Sie ermuntern dazu, Fehler zu machen. Lieber falsche Entscheidungen zu treffen als keine.
„Done is better than perfect“, so kündeten es auch Poster in der Facebook-Zentrale, wird erzählt. Oder auch: „Get in over your head.“ Überfordere dich. Die Zalando-Chefs schließen ihr Video lieber mit dem Satz: „Und vergesst nicht, Spaß zu haben.“
Zalando, sagt der Ex-Amazoner Raimund Paetzmann, sei nochmal jünger und internationaler als Amazon. Zalando und Berlin hätten die Gemeinsamkeit, dass beide noch prägbar seien. „Hier kann man noch experimentieren.“ Erst ein Prozent des europäischen Onlinemode-Umsatzes, wird den Neuen vor Augen geführt, landet bei Zalando. „Make a customer, not a sale.“ Die profitabelste Kundin ist eine Schweizerin, die im vergangenen Jahr 59 Bestellungen getätigt und dabei 11 500 Euro ausgegeben hat. So geht es immer weiter. „Make the most of what you can.“ „Be the best version of you.“
Am Nachmittag, von drei bis fünf, stehen sie vor der Poststation im bisherigen Hauptgebäude Schlange – um Zalando-Pakete abzuholen. Als Mitarbeiter bekommen sie 40 Prozent auf fast das gesamte Sortiment, das längst nicht mehr nur Schuhe und Mode, sondern neuerdings auch Schönheitspflegeprodukte umfasst. Die Zalando-Mitarbeiter sind dankbare Abnehmer. Es ist der perfekte Kreislauf: Viel von dem Geld, das sie verdienen, bleibt im Unternehmen.
2016 hat Zalando die Berliner Modemesse Bread & Butter übernommen und komplett umgekrempelt. Machte aus der Fachmesse einen stationären Giga-Laden auf Zeit, wo Zalando „beobachtet, wie Marken auf Kunden wirken“. Wenn Zalando-Mitarbeiterinnen einen Leopardenmusterblazer zu schwarzem Tüllrock und weißen Turnschuhen tragen, wie diejenige, der Nathalie Fältlöv gerade hinterher sieht, gibt es eine gewisse Chance, dass andere in Berlin das bald auch tun.
Ist Zalando ein Seismograf der Berliner Gesellschaft? Oder ein Brennglas? Der Veganeranteil in Berlin ist erheblich höher als der in der deutschen Bevölkerung insgesamt, der bei Zalando nochmals. Beim „Oldie meets Newbie“-Lunch gibt es ausschließlich Salat und vegane Varianten. Auf allen Etagen stehen Körbe mit Bananen, Äpfeln, Birnen, Trauben, Pflaumen, Gurken. „Wir arbeiten daran, dass unsere Mitarbeiter gesünder essen, wir arbeiten daran, dass sie Sport treiben können“, sagt Boris Ewenstein. Einige schliefen zu wenig. Aber das lasse sich schlecht steuern.
Oliver Suchy wird hellhörig, wenn er so etwas hört. Der Experte für digitale Arbeitswelten beim Deutschen Gewerkschaftsbund beobachtet, dass sich derzeit „ein regelrechter Optimierungsmarkt“ etabliere. „Versucht wird, den gläsernen Mitarbeiter zu erschaffen.“ Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Unternehmensberatungen und Telekommunikationsunternehmen nutzen eine App der Münchner Firma Soma Analytics, die anhand von Stimme, Tastaturtippverhalten und Schlafrhythmus den Gesundheitszustand des Nutzers erfasst. Ein Algorithmus wertet die erfassten Daten aus und gibt sie an den Arbeitgeber weiter. Die Beschäftigten selbst könnten für Probleme am Arbeitsplatz und für ihre Arbeitsleistung verantwortlich gemacht werden, weil sie eben nicht genug schlafen oder zu ungesund leben.
„Reimagine things for the good of all“, überdenke Dinge zum Wohle aller, auch das ist ein Slogan, der den Neuen beim Onboarding entgegenschlägt. Man könnte auch sagen: Reimagine you.
. „Wäre ein globales Zalando denkbar?“, fragt einer. Und ein Allrounder, auf dessen Plattformen quasi alles verkauft wird, wie Amazon? Derzeit sei nichts geplant. „We try to make the most of what we can.“
Nicht alle können oder können so, wie sie wollen. Diejenigen, die gehen, sind oft Enttäuschte, Desillusionierte. Zalando sei nicht Fisch, nicht Fleisch, sagt ein Mitarbeiter. Bei Gehaltsgesprächen habe es oft geheißen, dass das Unternehmen nicht so viel zahlen könne, „weil es ja ein Start-up sei“, erinnert sich eine Ehemalige. Die Leichtigkeit des Start-ups, das damit verbundene Freiheitsgefühl sieht mancher schon lange verloren. Aber die Sicherheit und Verlässlichkeit eines Konzerns, die Berechenbarkeit, gibt es auch nicht.
Im Frühjahr entließ das Unternehmen rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, teilweise komplette Teams. „Wir waren schockiert, das hat keiner kommen sehen“, erzählt eine, die sich noch gut an die kurzfristig einberufene Besprechung erinnert, bei der zunächst schwammig angekündigt wurde, dass „viel passieren“ werde, anschließend die Mitarbeiter zu Auflösungsgesprächen gebeten wurden. Auch Leute, die vorher als besondere Talente für ein „Elevation-Programm“ ausgewählt worden seien, seien darunter gewesen. Und zahlreiche internationale Kollegen, die sich nun um Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sorgten.
Auf einer Art internen Job-Messe hätten sich Mitarbeiter über ausgeschriebene Positionen informieren können, heißt es bei Zalando. Die Betroffene sagt: „Man fühlt sich verarscht, wenn man rausgeschmissen wird und gesagt bekommt, dass man sich ja quasi auf den alten Job neu bewerben kann.“
Ein familiäres Arbeitsumfeld bedeutet im Zweifel auch, dass man sich von der Familie verstoßen fühlt.
„Wir hatten das Gefühl, bei etwas Neuem dabei zu sein. Das hat uns alle verbunden“, sagt eine weitere Ehemalige. „Von Freigetränken und Snacks lässt man sich am Anfang vielleicht schnell blenden, je länger man da ist, desto mehr hinterfragt man diese Blase, in die man eintaucht.“
Wie fanden sie ihren ersten Tag? „Überwältigend“, sagt Nathalie Fältlöv. „Überfordernd“, sagt eine Frau aus der letzten Reihe, die aus Costa Rica kommt. „Zu viel Inhalt.“
Werden die 60, die sich jetzt von ihren Klappstühlen erheben, bleiben und hier Wurzeln schlagen? Oder ziehen sie in zwei Jahren weiter, nach Tel Aviv, Singapur? Eine Frage beim Kennenlernspiel war auch, wer schon in mehr als vier Ländern gelebt habe. Fünfzehn Leute standen auf.