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„Südeuropäer mögen Blumenprints, in Nordeuropa ist Schwarz sehr beliebt“: In Modefragen ist Europa sehr unterschiedlich, sagt Gentz.
© Thilo Rückeis

Zalando-Chef Gentz im Interview: "Die Retourquoten sind uns egal"

Zalando-Geschäftsführer Robert Gentz spricht mit dem Tagesspiegel über die Shoppingvorlieben seiner Kunden und warum man in Schweden nicht mit dem Postboten werben darf.

Von Maris Hubschmid

Herr Gentz, Zalando hat im vergangenen Jahr erstmals Gewinn erwirtschaftet. Was passiert 2015?

Wir bauen unser Geschäft aus, nicht zuletzt im europäischen Ausland. Wir erweitern unser Sortiment in den Bereichen Randgrößen, also extragroße und -kleine Größen, bei Kindermode und Sportbekleidung. Vor allem aber investieren wir in Technologie. Das alles zahlt sich über die kommenden Jahre hinweg erst richtig aus, aber ein bisschen was wird schon jetzt sichtbar.

Zum Beispiel?

Project Z by Zalando, der persönliche Fashion-Kurator. Kunden machen unseren Stylisten Angaben zu Geschmack, Maßen und Budget und bekommen dann auf sie zugeschnittene Kleidungskombinationen von uns geschickt. Oder Apps, die auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet sind.

Schon mehr als die Hälfte aller Zugriffe auf Ihre Seite erfolgt von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets aus. Stellt Sie das vor Herausforderungen?

Das ist erst mal super, weil wir so eine ganz andere Rolle im Leben unserer Kunden spielen können. In unserem Shop haben wir jetzt eine Hochnutzungsphase zwischen acht und neun Uhr, wenn die Leute in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit sind. Tatsächlich haben Menschen in Europa aber die Dimension der Veränderung, die Mobile bewirkt, noch gar nicht verstanden.

Ist das in anderen Ländern anders?

In China shoppt der Großteil der Kunden bereits über Sofortnachrichtendienste. Eine Frau hat dort eine Bag-Lady, die für sie Handtaschen aussucht und ihre Vorschläge aufs Handy schickt. Gekauft wird direkt über den Chat. Und innerhalb von zwei Stunden wird das Produkt geliefert.

"San Fracisco ist inspirierend für uns"

Kürzlich haben Sie gesagt, Sie arbeiten an einer Lieferung binnen 30 Minuten.

Das ist noch Zukunftsmusik. Von unserem Lager in Brieselang in manche Berliner Bezirk zu liefern, wäre kein Problem, andernorts wird das schwieriger. Die komplexere Variante ist aber die Zusammenarbeit mit Läden. Die Idee ist: Wenn wir ein Produkt nicht auf Lager haben, finden wir heraus, welcher Shop im Umfeld es hat, und bringen es von dort zum Kunden. In den USA werden herkömmliche Geschäfte bereits zu zusätzlichen Verteilzentren ausgestaltet.

Sie kommen just aus San Francisco zurück.

Ich habe Unternehmer getroffen. Die Bay Area ist einer der Innovations-Hotspots der Welt, der Einblick in diesen Markt ist enorm wichtig und inspirierend für uns.

Was bietet das Silicon Valley, was Berlin nicht hat?

Berlin gehört ebenfalls zu den großen Technologiestandorten, wir sind ja auch nicht zufällig hierhergezogen. Speziell im E-Commerce-Bereich entwickeln sich andere Regionen der Welt aber wesentlich schneller. Allein wegen der Größe. China hat 1,3 Milliarden Einwohner. In allen US-Bundesstaaten spricht man Englisch, zahlt in Dollar und kennt UPS. Europa ist dagegen eine Ansammlung von Nationen, von denen die meisten kleiner als Florida sind. In den 15 Ländern, in denen wir agieren, haben wir mit elf Sprachen, sieben Währungen, Zollprozessen und unterschiedlichsten Mentalitäten zu tun.

Wie äußern sich die?

Südeuropäer mögen Blumenprints in knalligen Farben, in Nordeuropa ist die Farbe Schwarz sehr beliebt. Deutsche bezahlen am liebsten per Rechnung, Franzosen per Scheck, Italiener bar beim Zusteller. Schweden haben dagegen gar keinen Zusteller, da werden größere Sendungen bei Poststationen abgeholt. Aus unserem Schrei-vor-Glück-Werbespot mussten wir deshalb den Paketboten rausschneiden. Die Menschen haben gesagt: Wie beängstigend ist das denn, wenn da plötzlich ein Fremder mit einem Paket an der Tür klingelt?!

"Schicke Läden gibt es auch nicht umsonst"

Wie hoch ist in anderen Ländern die Rücksendequote?

Die ist nirgendwo so hoch wie in Deutschland. Das hängt mit dem Kataloggeschäft der 80er und 90er Jahre zusammen. Die Menschen haben gelernt, Dinge zurückzuschicken. Aber ehrlich: Die Retourquoten sind uns egal.

Kostenloser Versand und Rückversand – das bedeutet bei einer Retourquote von 50 Prozent aber doch immense Verpackungs-, Porto- und Logistikkosten für Sie!

Schicke Läden in Innenstadtlagen und Personal, das Pullover aus Umkleidekabinen einsammelt, faltet und zurücklegt gibt es auch nicht umsonst. Wir können 300 Millionen Euro für Marketing ausgeben und verdienen immer noch 80 Millionen. Die Wahrheit ist: Kunden, die viel zurückschicken, sind die rentableren. Wir haben das untersucht: Wer viel retourniert, ist loyaler, kauft wieder. Wenn man einen Blazer bestellt, ist die Chance, dass er genau passt, recht gering. Uns ist es lieber, jemand schickt ein Teil, mit dem er nicht zufrieden ist, zurück, als dass er beim nächsten Mal wieder im Laden einkauft.

Ihr Konkurrent Amazon hat Kunden, die zu viel retourniert haben, schon mal das Konto gesperrt.

Wir nicht. Solche Extremfälle sind auch die Ausnahme. Wir haben Kunden, die wirklich über die Maßen viel retourniert haben, versuchsweise mal den Retourenschein nicht mehr beigelegt. Die mussten ihn stattdessen selber ausdrucken. In der Folge sind die Retouren zurückgegangen, aber die Bestellungen auch. So haben wir herausgefunden, dass diese Variante hemmt. Lange war Deutschland das einzige Land, in dem der Retourschein im Paket geliefert wurde, das ändern wir aber nach und nach.

Über harte Arbeit im Logistikzentrum und millionenschwere Fördergelder

Nach der Party. Im Oktober 2014 ging Zalando in Frankfurt an die Börse. Dort ist das Unternehmen derzeit rund sechs Milliarden Euro wert.
Nach der Party. Im Oktober 2014 ging Zalando in Frankfurt an die Börse. Dort ist das Unternehmen derzeit rund sechs Milliarden Euro wert.
© dpa

Was würden Günter Wallraff und sein Team heute vorfinden, wenn sie sich in eines Ihrer Logistikzentren einschleichen?

Jobs in der Logistik sind harte Arbeit. Aber alle verdienen über dem Mindestlohn. An vielen Standorten haben wir sehr viel Gutes geschaffen: In unserem Zentrum in Erfurt wurden etwa 1000 Menschen eingestellt, die vorher langzeitarbeitslos waren. In Brandenburg 500. Es hat sich aber einiges verbessert. Heute verantworten wir die Logistik selbst und wir kontrollieren unsere Partner stärker, das war etwas, das wir erst lernen mussten.

Was haben Sie sonst noch gelernt?

Alles. Wir sind vor sechseinhalb Jahren mitten in die Finanzkrise hinein gestartet. Damals hat uns jeder Investor gesagt: Kommt mit dem Geld zurecht, es gibt nicht mehr. Wir saßen in einem ganz kleinen Büro in der Torstraße und haben vor allem viel Energie darauf verwendet, keinen Cent auszugeben. Wir haben nur ganz vorsichtiges Marketing betrieben, den Kundenservice selbst gemanagt, Pakete eigenhändig zur Post gebracht. Das war Fluch und Segen zugleich: So haben wir uns sehr tief mit den Details auseinandergesetzt.

Im Februar 2010 haben Sie drei Millionen Euro Umsatz gemacht, im Mai schon 30.

Das war die anstrengendste und heikelste Phase. Plötzlich brannte es an allen Ecken! Wir haben eine ganze Reihe von Dingen unterschätzt: die Komplexität der Logistik, die des Einkaufs. Und es dauerte, ehe wir gemerkt haben, dass es beim E-Commerce vor allem um Technik geht. Zalando ist inzwischen das größte Technologieunternehmen in Berlin, wir suchen händeringend Software-Ingenieure und -Entwickler. Wenn man jetzt darüber nachdächte, Zalando aufzubauen, würde man es von Anfang an als Plattform aufziehen. Unser größter Konkurrent ist Facebook.

"Man kann diskutieren, ob Fördergelder richtig sind"

Wie behalten Sie im Blick, was sich in Berlins Gründerszene tut?

Das Entscheidende ist das persönliche Netzwerk. Nach fast sieben Jahren in Berlin kenne ich mich hier sehr gut aus. Wir haben mehrere tausend Mitarbeiter, die super vernetzt sind. Natürlich versuchen wir, die größten Talente zu uns zu holen.

Kürzlich haben Oppositionspolitiker kritisiert, dass Zalando seit 2010 mehr als zehn Millionen Euro Fördergelder erhalten hat.

Man kann jetzt die Diskussion führen, ob solche Fördergelder richtig sind oder falsch. Fakt ist: Uns standen Fördergelder zur Verfügung und die haben wir legal genutzt. Deswegen kann man uns keinen Vorwurf machen. Wenn man sich die vielen Arbeitsplätze anguckt, die wir geschaffen haben, kann das Geld allerdings nicht so falsch investiert sein.

"Wir werden kein Amazon"

Insgesamt sind in Berlin 3500 Menschen bei Zalando beschäftigt, in der neuen Zentrale in Friedrichshain über 1000. Sie sind 31 Jahre alt. Worauf achten Sie als Chef?

Wir bemühen uns, nicht zu viele Ansagen zu machen oder Regeln aufzustellen. Uns ist wichtig, dass Innovationen von den Mitarbeitern entwickelt werden. Wir brauchen Leute, die Dinge hinterfragen und sich am Puls der Zeit bewegen. Gerade in einer schnelllebigen Welt wie dem Onlinehandel muss ein Unternehmen anpassungsfähig bleiben. Unser oberstes Gebot ist: Treat every day as the first day.

Erst waren Sie ein Schuhhändler, jetzt ein Modeunternehmen ...

Ja, weil die Nachfrage da war. Lange haben wir uns aus gutem Grund auf Deutschland konzentriert, dann das Modell im holländischen Markt versucht, und als das gut lief, auf andere übertragen. Jetzt entdecken wir, wie viel mächtiger wir als internationaler Anbieter sind – Marken wie Topshop aus Großbritannien und Gap aus den USA konnten wir nur gewinnen, weil wir ihnen den kompletten europäischen Markt eröffnen.

... ist Zalando übermorgen ein Allrounder wie Amazon?

Nein. Der Modemarkt ist der größte Einzelhandelsmarkt weltweit. Auch der mit den höchsten Margen. Darauf konzentrieren wir uns.

Das Gespräch führte Maris Hubschmid

DER GRÜNDER

Robert Gentz (31) ist einer von drei Geschäftsführern von Zalando. Er studierte BWL in Karlsruhe und sammelte Erfahrungen bei der Boston Consulting Group, Morgan Stanley und Daimler Chrysler. Ein erstes Unternehmen scheiterte: Unibicate, ein soziales Netzwerk für Mexiko. 2008 starteten Gentz und sein Studienkollege David Schneider mit Kapital der drei Samwer-Brüder Zalando in Berlin.

DAS UNTERNEHMEN

Vom Online-Schuhhändler hat sich Zalando zum größten Modeversand Europas entwickelt. Das Unternehmen beschäftigt heute mehr als 7000 Mitarbeiter. Nach einem Umsatzplus von 26 Prozent auf 2,21 Milliarden Euro verdiente Zalando im vergangenen Jahr 83 Millionen Euro, unter dem Strich 47,1 Millionen. 2013 hatte das Unternehmen noch 114 Millionen Euro Verlust gemacht. Vorstände sind Robert Gentz, David Schneider und Rubin Ritter.

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