zum Hauptinhalt
Doppelpass: Das ist das Ziel der Briten, die noch vor dem Brexit deutsche Staatsbürger werden wollen. Seit dem Volksentscheid sind die Zahlen der Einbürgerungsanträge bei Berliner Ämtern stark angestiegen. Foto: John Macdougall/AFP
© AFP

Berlin nach dem Brexit: Zahl der britischen Einbürgerungsanträge steigt

Nach dem Brexit wollen immer mehr Briten in Berlin Deutsche werden. Bis der Brexit vollzogen ist, werden sie sich nicht zwischen den beiden Nationalitäten entscheiden müssen.

Camilla Leathem sitzt in einem Café in der Nähe ihrer Neuköllner Wohnung und lächelt zufrieden. Noch eine Woche bis sie bei ihrer Einbürgerungszeremonie im Neuköllner Bezirksamt diese Worte sagen darf: „Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte“. Dann bekommt die 31-jährige promovierte Germanistin aus Bridport in der Grafschaft Dorset eine Einbürgerungsurkunde überreicht und kann wie jeder andere deutsche Staatsbürger in Berlin ewig auf einen Termin beim Bürgeramt warten, um einen Personalausweis zu beantragen.

„Ich freue mich jetzt schon auf meine erste Persokontrolle“, sagt sie und berichtet von ihrem Einbürgerungsprozess. Der sei völlig unkompliziert verlaufen: Vorgespräch, Einbürgerungstest, Unterlagen einreichen. Etwa sechs Monate nachdem sie den Antrag gestellt hatte, pünktlich zu Weihnachten, kam dann der Bescheid. Die Einbürgerung ist bewilligt, Anfang Februar soll sie eine Deutsche werden.

Etwa doppelt so viele britische Einbürgerungsanträge nach dem Brexit

Leathem, die im Wissenschaftsmanagement an der FU arbeitet, ist eine von vier Briten, die 2016 vor dem Brexit-Votum im Juni ihren Antrag auf Einbürgerung in Neukölln gestellt haben. Danach stieg die Zahl derer, die deutsche Staatsbürger werden wollten laut dem Bezirksamt deutlich an – in der zweiten Jahreshälfte wurden 24 weitere Anträge von Briten gestellt.

Diesen Trend gibt es auch in anderen Bezirken. Insgesamt leben in Berlin 14 314 Menschen aus Großbritannien. In Friedrichshain-Kreuzberg und in Pankow wurden im zweiten Halbjahr 2016 etwa doppelt so viele Einbürgerungsanträge von Briten gestellt wie im ersten Halbjahr. In Mitte stieg die Zahl der Einbürgerungsanträge 2016 gegenüber dem Vorjahr von sieben auf 60, in Charlottenburg-Wilmersdorf und von zehn auf 77 Anträge. Die Bezirke konnten keine genaueren Angaben zu den Unterschieden im ersten und zweiten Halbjahr 2016 machen. Der Großteil der Anträge kam allerdings in allen Bezirken nach dem Volksentscheid.

Doppelte Staatsbürgerschaft ist wohl der wichtigste Grund

In der Regel können Ausländer, die acht Jahre in Deutschland leben, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Eine Einbürgerung ist auch nach sechs Jahren möglich, wenn „besondere Integrationsleistungen“ nachgewiesen werden können – wie etwa sehr gute Deutschkenntnisse oder ehrenamtliches Engagement. Auf diesem Weg konnte auch Camilla Leathem ihren Einbürgerungsprozess beschleunigen. Ein Studienjahr an der Uni Hannover wurde ihr zusätzlich zu ihren fünf Jahren in Berlin angerechnet. Dass sie sich bereits jetzt für die Einbürgerung entschied, hat aber einen anderen Grund.

Solange Großbritannien noch zur EU gehört, gilt auch für Briten weiterhin eine Ausnahmeregelung zur doppelten Staatsangehörigkeit. Laut dem Staatsangehörigkeitsgesetz müssen EU-Bürger und Schweizer ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit nicht aufgeben, wenn sie in Deutschland eingebürgert werden. Diese Regelung fällt für Briten nach dem Austritt aus der EU möglicherweise weg. Insbesondere wenn Großbritannien, wie im 12-Punkte-Plan von Theresa May angekündigt, die Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern einschränkt, könnte die Europäische Union das Privileg der doppelten Staatsbürgerschaft dem Land nicht weiter gewähren.

Schärferer Nationalismus in Großbritannien?

Das bereitet auch dem in Moabit lebenden britischen Journalist und Theaterregisseur Mark Espiner Sorgen. Vor sieben Jahren kam der heute 48-Jährige mit seiner deutschen Freundin nach Berlin – und will hier auch nicht mehr weg. Vor vier Wochen haben die beiden nun geheiratet. Eine Entscheidung, die durch den bevorstehenden Brexit beschleunigt wurde. Noch habe er die deutsche Staatsbürgerschaft nicht beantragt, aber seine Heirat sei ein erster Schritt in diese Richtung, sagt Espiner. „Durch mein Leben in Berlin und meine deutsche Tochter fühle ich mich nicht nur britisch, sondern vor allem auch europäisch“, sagt er. Im vergangenen halben Jahr seien ihm angesichts der politischen Entwicklungen in Großbritannien mehrfach die Tränen gekommen. Trotzdem habe er eine tiefe Verbindung zu seiner Heimat. Er will sich nicht zwischen der britischen und der deutschen Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.

Anders sieht das der 23-jährige Kit Holden aus Worcester, der seit drei Jahren in Kreuzberg lebt. Wie Mark Espiner arbeitet er als Journalist in der deutschen Hauptstadt. Sobald wie möglich möchte er sich hier einbürgern lassen. „Falls das mit dem Doppelpass dann nicht mehr geht, ist das für mich gar keine Frage, dann werde ich Deutscher“, sagt er. Schon seit einer Weile fühle er sich in Großbritannien als Fremder im eigenen Land. Seiner Ansicht nach habe sich der Patriotismus und der Nationalismus der Briten vor allem seit der Londoner Olympiade und dem 60-jährigen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. im Jahr 2012 verschärft. „Die britische Politik geht in eine Richtung, mit der ich nichts zu tun haben möchte.“

Es trifft vor allem die junge Generation

Für Camilla Leathem geht es bei der Einbürgerung auch um ihre persönliche Identität, die durch den Brexit beeinflusst werde. „Deutschland hat mein Leben stark geprägt. Mit dem Votum für den EU-Austritt sagt mein Land, dass es meine Lebensentscheidungen und meinen Lebensstil nicht mehr unterstützen möchte“, sagt die 31-Jährige. Die Einschränkung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit betreffe vor allem die jüngere Generation. Der Gedanke, dass ihre Nichten und Neffen möglicherweise nicht mehr die gleichen Möglichkeiten haben werden, ohne Einschränkung in anderen EU-Ländern zu leben und zu arbeiten, stimme sie traurig. Sie möchte dauerhaft in Berlin bleiben und ist froh noch zu den Berliner Briten zu gehören, die beide Pässe behalten dürfen. Eines vermisst Camilla Leathem aber doch: den britischen Humor.

Jennifer Cadd

Zur Startseite