Geheimdossier „Opalgrün“: Wusste der Verfassungsschutz von geplantem Anschlag in Berlin?
Der Amri-Untersuchungsausschuss befasst sich am Freitag mit zwei Vertrauten des Breitscheidplatz-Attentäters. Wie genau kannte der Geheimdienst Amris Kontakte?
Unter großer Geheimhaltung tagt der Amri-Untersuchungsausschuss an diesem Freitag ausnahmsweise in der Berliner Innenverwaltung und nicht im Abgeordnetenhaus. Dort ist der Geheimschutzraum zu klein, um den pandemiebedingten Abstand wahren zu können.
Der Ausschuss wird unter anderem zwei V-Mann-Führer und eine leitende Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes anhören. Nach Tagesspiegel-Informationen gibt es in der Abteilung Verfassungsschutz der Innenverwaltung einen geheimen Vorgang unter dem Titel „Opalgrün“. Es soll dabei auch um einen geplanten Anschlag in Berlin während des Fastenmonats Ramadan 2016 gehen.
Im Januar wurde der Islamist Magomed-Ali C. aus dem Umfeld von Amri wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Deutschland und wegen eines Explosionsverbrechens zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Er soll gemeinsam mit dem in Frankreich inhaftierten Islamisten Clement B. unter anderem das Gesundbrunnen-Center als mögliches Anschlagsziel ausgekundschaftet haben.
Das Trio hatte einige Monate lang engen Kontakt und tauschte sich auch über die Beschaffung von Waffen aus. Magomed Ali-C. besuchte wie Amri regelmäßig die inzwischen verbotene Fussilet-Moschee.
Dass der Vorgang „Opalgrün“ beim Berliner Verfassungsschutz mit dem geplanten Anschlag zu tun hat, ist nicht ausgeschlossen. Zu operativen Vorgängen äußere man sich nicht, sagte ein Sprecher. Der Ausschuss will am Freitag von den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes erfahren, wie nah die Behörde an radikal-islamistischen Moscheen und der Fussilet-Moschee dran war – und welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz über Amri hatte. Ein damaliger V-Mann im Umfeld des Terroristen hatte im August im NRW-Untersuchungsausschuss in Düsseldorf ausgesagt, die Behörden mehrfach vor Amri gewarnt zu haben.
Opposition beklagt „Spielchen“ bei der Aktenlieferung
Zur Vorbereitung der Zeugenvernehmung hatte der Berliner Untersuchungsausschuss bereits im September 2019 beim Verfassungsschutz Unterlagen beantragt, darunter die vollständigen Treffberichte zu dort geführten Vertrauenspersonen, Fallpersonen, Informanten, Gewährspersonen und anderen Informationen mit Bezügen zu Amri und seinen Kontakten. Anfang Juli konnten die Ausschussmitglieder in der Innenverwaltung Einsicht in einzelne Berichte nehmen. Doch erst Anfang dieser Woche seien die Akten im Geheimschutzraum des Abgeordnetenhauses gelandet, kritisierte Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux. „Wir hatten keine Zeit, Akten ausführlich zu lesen.“
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Lux versteht nicht, warum der Aktentransport vom Sitz der Innenbehörde in der Klosterstraße in das 2,7 Kilometer entfernte Abgeordnetenhaus zwei Monate dauerte. Früher habe man gesagt, der Verfassungsschutz führe ein Eigenleben. „Mit Blick auf die Aktenlieferung muss ich fragen, ob er überhaupt ein Leben führt“, sagte Lux. Auch Linken-Innenpolitiker Niklas Schrader ärgert sich über das „Spielchen“ der Behörde. „Es gibt immer wieder Verzögerungen. Es ist ein zähes Hin und Her.“
Hatte Amri bei seiner Flucht Helfer aus dem Clan-Milieu?
Die Innenverwaltung erklärte auf Anfrage, es habe eine erste Teillieferung von Treffberichten am 14. Januar, eine zweite am 10. Juni gegeben. Um dem Ausschuss „noch weiter entgegenzukommen“, so ein Sprecher, habe Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) eine umfängliche Einsichtnahme in Treffberichte angeboten. Einige Fraktionen hätten dies im Juni und Juli wahrgenommen. Eine dritte Teillieferung erfolgte am 4. September.
Der Ausschuss hat die Beweisaufnahme noch nicht abgeschlossen. Er will sich auch mit Aussagen eines V-Manns des Verfassungsschutzes in Mecklenburg-Vorpommern befassen. Nach Recherchen des WDR hatte sich 2019 ein früherer Mitarbeiter der Schweriner Verfassungsschutzbehörde an die Bundesanwaltschaft gewandt und ausgesagt, ein V-Mann habe Anfang 2017 Angaben zu Amri und möglichen Komplizen gemacht. Diese Informationen seien aber nicht weitergeleitet worden, da sein Vorgesetzter ihm das untersagt habe. Im Oktober will der Untersuchungsausschuss des Bundestags den Ex-Mitarbeiter anhören.
Dabei geht es um die Frage, ob Amri nach dem Anschlag am 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz, bei dem er zwölf Menschen ermordete, Helfer aus arabischen Clan-Kreisen bei der Flucht hatte – zumal er als Drogendealer Kontakte ins Milieu hatte.