Braunkohle-Ausstieg: Woidke: „Wir schalten nicht nur Kraftwerke ab“
Dietmar Woidke über den Kompromiss beim Kohleausstieg, den Vorbehalt der Versorgungssicherheit, die Ängste der Menschen und die Zukunft der Lausitz.
Herr Woidke, reicht der Kompromiss der Kohlekommission aus, um den Leuten in der Lausitz die Sorgen vor dem Kohleausstieg zu nehmen?
Einen Kompromiss zu beschließen heißt ja immer, aufeinander zuzugehen. In diesem Fall wurde versucht, einen Ausgleich zu finden: einerseits müssen wir die energiepolitische Herausforderung angehen, dass wir ab 2022 aus der Atomenergie aussteigen und gleichzeitig, wegen Klimaschutz, aber auch allgemeiner Umweltbelastung und Landschaftszerstörung, schrittweise aus der Kohle aussteigen. Und andererseits geht es darum, zu klären, was die Bundesregierung und die Länder tun können, um die Strukturentwicklung in den betroffenen Regionen gut voranzutreiben.
Eine so politische Entscheidung wie der Kohleausstieg auf Bundesebene muss Strukturentscheidungen der Bundesebene nach sich ziehen. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Kommission dem gefolgt ist, was wir Ministerpräsidenten schon seit Monaten und Jahren gefordert haben. Wenn die Vorschläge jetzt umgesetzt werden, kann der Kohleausstieg fair gelingen. Dabei ist mir – auch als gebürtigem Lausitzer – natürlich bewusst, dass das für die betroffenen Unternehmen und deren auch zu Recht stolzen Beschäftigten ein Einschnitt wird. Aber das war seit Langem absehbar.
Die Ministerpräsidenten der betroffenen Kohleländer haben die Arbeit der Kommission genau beobachtet, am Ende schrieben Sie sogar Brandbriefe an die Kanzlerin. Was war Ihnen besonders wichtig?
Neben der Zusage für Strukturhilfen über einen längeren Zeitraum in Milliardenhöhe war uns wichtig, dass wir ein Sofortprogramm in Höhe von 150 Millionen Euro bekommen. Das ist bereits beschlossen. Zweitens ist es jetzt wichtig, dass ein Maßnahmengesetz konkret festschreibt, wie der Strukturwandel umgesetzt wird: Dazu gehören der Ausbau von Bahnstrecken, Forschung und Wissenschaft zum Beispiel in die dringend notwendige Speichertechnologie, aber auch gute Förderkonditionen für Unternehmen, die sich jetzt neu ansiedeln.
Drittens müssen wir insgesamt bestrebt sein, das Image der Regionen zu heben und sie attraktiv zu gestalten für die Zeit nach der Braunkohle. Kultur ist dabei für mich ein ganz wichtiger Pfeiler. Die RAG-Stiftung zur Bewältigung des Steinkohleausstiegs im Ruhrgebiet hat beispielsweise die Ruhrtriennale unterstützt. Sie ist über Deutschlands Grenzen hinweg bekannt.
Sie haben vor einigen Monaten gewarnt, ein schneller Kohleausstieg könne die AfD stärken. Ist die Gefahr jetzt vom Tisch?
Die Sorgen der Menschen in der Lausitz und anderen Regionen sind absolut berechtigt: Viele haben einen Arbeitsplatz in der Braunkohlewirtschaft, mit dem sie gut Geld verdienen. Eingebrannt hat sich bei ihnen auch, dass es Strukturbrüche gab. Die sozialen und ökonomischen Verwerfungen können politische Verwerfungen nach sich ziehen. Da besteht die Gefahr, dass Populisten profitieren, weil sie sagen: ,Wir sorgen dafür, dass alles so bleibt wie es ist‘.
Diese einfachen Lösungen in einer zunehmend komplexen Welt verfangen leider bei vielen, gerade wenn das Vertrauen in die Politik gestört ist. Wenn die Vorschläge der Kohlekommission per Gesetz des Deutschen Bundestages politische Realität werden, es also ein ganz konkretes Maßnahmengesetz gibt, das Zeitläufe und Finanzierungsstränge festlegt, wird Politik Vertrauen zurückgewinnen.
Der Pfad aus der Braunkohle im Zeitraum 2023 bis 2030 ist im Abschlussbericht der Kohlekommission nicht sehr konkret beschrieben. War Ihnen das ein Anliegen?
Die Aufgabe der Kommission bestand darin, Deutschland im Bereich der Energiewirtschaft dahin zu bringen, dass die Klimaziele 2030 eingehalten werden. Im Abschlussbericht steht konkret, welche Restmengen an Kohle 2030 am Markt bestehen, damit die Klimaziele eingehalten werden. Wichtig ist aber auch eine regelmäßige Überprüfung im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, und diese wurde zum Glück auch verankert. Wenn sie gewährleistet ist, kann es mit dem Kohleausstieg schneller gehen. Sollte die Versorgungssicherheit allerdings vor dem Kollaps stehen oder der Strompreis durch die Decke gehen, wird es länger dauern.
Zehn Millionen Tonnen Einsparung an Emissionen sollen 2025 über ein Innovationsprojekt erfolgen – das betrifft das Kraftwerk Jänschwalde. Was ist geplant?
Auf der Bundesebene ist bereits entschieden worden, dass sich das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in der Lausitz ansiedeln soll. Es plant ein Projekt, mit dem das Kraftwerk Jänschwalde mit einer völlig neuen Technologie ausgestattet werden soll, die es möglich machen kann, die Emissionen des Kraftwerks deutlich zu senken. Wir sind bestrebt, dass diese Technologie möglichst schnell eingesetzt werden kann.
Am Donnerstag treffen Sie und Ihre Amtskollegen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt sich wieder mit Kanzlerin Angela Merkel. Was werden Sie besprechen?
Es geht jetzt darum, dass die Inhalte politisch zügig umgesetzt werden. Bis April sollen Eckpunkte für das Maßnahmengesetz vorliegen Das Tempo ist angesichts des komplexen Themas hoch. Aber es ist notwendig, jetzt schnell zu handeln, um den Menschen zu zeigen: Wir schalten nicht nur Kraftwerke ab, sondern bringen ganz viel Neues in die Regionen.
Dietmar Woidke, 57, ist nach Ämtern als Minister in verschiedenen Ressorts und als Fraktionschef seit 2013 Ministerpräsident und Landesvorsitzender der SPD in Brandenburg.