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Im Hambacher Braukohletagebau muss die Förderung wahrscheinlich demnächst zurückgefahren werden.
© dpa/Christophe Gateau

Beschäftige im Tagebau: Warten auf den Masterplan für Braunkohle

Der Umstieg auf erneuerbare Energien bringt ganze Regionen in Zugzwang. Der für Bergbau verantwortlichen Gewerkschaft IG BCE fehlen konkrete Ansagen der Politik

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie (IG BCE) möchte für die rund 20.000 Beschäftigten in der Braunkohlewirtschaft ein so genanntes Anpassungsgeld (APG) zur Finanzierung eines vorzeitigen Renteneintritts. Je nachdem, ob der Renteneintritt mit 58 oder bereits mit 55 Jahren beginnt, veranschlagt die Gewerkschaft dafür fünf oder sieben Milliarden Euro, die vom Steuerzahler und von den Unternehmen aufzubringen wären.

„Je früher dieses Land die Kohleverstromung beenden will, desto teurer wird es“, sagte der IG BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am Montagabend in Hannover. Zum einen müssten die betroffenen Beschäftigten sozial abgesichert werden – eben mit dem APG, wie es auch im Steinkohlebergbau gezahlt wurde. Zum anderen müsste in den Regionen in neue Arbeitsplätze investiert werden.

Die Ministerpräsidenten der Kohleländer NRW, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben dazu detaillierte Vorstellungen, die am heutigen Dienstag auch bei einem Treffen mit den Vorsitzenden der so genannten Kohlekommission und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) diskutiert werden. Summen von bis zu 60 Milliarden Euro werden vor allem von den Politikern im Osten genannt, um den Wegfall von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung zu kompensieren.

Masterplan für den Strukturwandel

Allein in der Lausitz hängen 6000 überdurchschnittlich gut bezahlte Arbeitsplätze direkt an der Braunkohle. Voraussichtlich in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre dürfte der Abbau und die Verstromung der klimaschädlichen Braunkohle hierzulande enden. Wie Vassiliadis sagte, ist man sich in der Kohlekommission, der er angehört, weitgehend einig über Ausstiegskorridore und industriepolitische Strukturmaßnahmen.

Was noch fehlt, seien Zahlen: Konkrete Daten für den Ausstieg und die Kosten des Ausstiegs. „Die Politik wünscht sich eine Art Masterplan zum Strukturwandel in den Braunkohle-Revieren, lässt uns aber im Dunkeln darüber, was sie dafür eigentlich bezahlen will“, sagte der Gewerkschaftschef.

Die Rechnung für den politisch gewollten Ausstieg – einschließlich Eigentumsentschädigungen für die Unternehmen, werde jedenfalls hoch sein. Zumal es eine Kompensation für steigende Strompreise geben müsse. Wenn man die Kohle durch Gas ersetzte, könnte das die Kilowattstunde um bis zu zehn Cent verteuern, meinte Vassiliadis. In der energieintensiven Industrie würde der Preiseffekt „weitere Hunderttausend Jobs gefährden“.

Die Klimaziele würden übererfüllt

Die Gewerkschaften hätten deshalb „dem allgemeinen Ausstiegswahn ein Konzept der Vernunft gegenübergestellt“, das sich an Klimazielen orientiere aber auch den sozialen Strukturwandel, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit des Stroms mit in Betracht ziehe. Die Energiewirtschaft werde im Übrigen ihr Klimaziel bis 2020 (40 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990) erreichen und sogar übererfüllen. Wenn die Braunkohleförderung im Hambacher Tagebau zurückgefahren werden muss, wonach es derzeit aufgrund der Rechtsprechung aussieht, reduziere das den CO2-Ausstoß um 15 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.  

Der Ausbau erneuerbarer Energien sei ohne gleichzeitigen Ausbau von Leitungen und Speichern kaum noch möglich. Derzeit fehlten 6000 Kilometer Stromleitungen, 2018 seien 30 Kilometer gebaut worden. „Erst beim Ausbau liefern, dann abschalten“, plädierte Vassiliadis für eine Kohleverstromung bis Ende der 2030er Jahre.

Beim Auslaufen des Steinkohlebergbaus, kurz vor Weihnachten war die letzte Zeche geschlossen worden, habe man in den vergangenen Jahrzehnten keinen Kumpel ins Bergfreie fallen lassen. Ebenso sozialverträglich müssen nun der Ausstieg aus der Braunkohle organisiert und finanziert werden. „Damit wir weder britische noch französische Verhältnisse bekommen“, sagte der IG BCE-Vorsitzende zum Jahresauftakt in der Gewerkschaftszentrale in Hannover. Die nach IG Metall und Verdi drittgrößte deutsche Gewerkschaft zählt derzeit 633.000 Mitglieder, das sind rund 5000 weniger als vor einem Jahr.

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