Clubsterben in Berlin: „Wir sind Teil dieser rebellischen und unbequemen Stadt“
Der Sprecher der Berliner Clubcommission, Lutz Leichsenring, spricht darüber, Clubs zu geschützten Kulturorten zu machen. Aber sind sie das wirklich?
Selbst im Bundestag wurde darüber gesprochen, das Thema bewegt Menschen auch und gerade in Berlin: das Clubsterben. Jüngst konnte der Club „Griessmühle“ nur durch das Einschreiten vieler Politiker vor dem Aus bewahrt werden, konnte letztlich umziehen. Anderen Berliner Clubs droht weiterhin die Schließung.
Nach Angaben der Berliner Clubcommission, der Interessenvertretung der Hauptstadt-Clubs, ist ihr Rückgang schon jetzt signifikant. Lutz Leichsenring ist seit 10 Jahren ihr Sprecher, und seit 15 Jahren Mitglied der Clubcommission. Er kämpft seit Jahren für mehr Öffentlichkeit für eine Szene, die sich oft selbst nicht gern im Rampenlicht sieht.
Herr Leichsenring, wann waren Sie eigentlich das letzte Mal feiern?
Am letzten Wochenende, da war ich im Mensch Meier.
Wurden Sie schon einmal irgendwo nicht reingelassen?
Ich glaube, das ist bisher noch nicht passiert, aber das wäre auch kein Untergang. Aber ich gehe eher bewusst aus – und meistens wissen die Leute, wenn ich vorbeikomme.
Sie wollen die Politik davon überzeugen, dass Clubs Kulturräume sind – auf einer Stufe mit Theatern oder Konzertsälen. Clubs entscheiden aber selbst, wer reinkommt und wer nicht – in Theatern oder Konzerten kauft man sich eine Karte. Ist das nicht undemokratisch?
Ich würde mal behaupten, dass nicht jeder bei den Wagner-Festspielen reinkommt, der möchte, auch wenn er gerne ein Ticket hätte. Es gibt auch dort eine Selektion. Man möchte, dass sich die Leute, die sich dieser Kultur widmen, an bestimmte Regeln halten und auch zu dieser Szene passen. Ich möchte auch nicht in die Philharmonie gehen und neben mir kaut jemand Kaugummi. Gleiches gilt auch in Clubs. Man möchte in der Szene sein, die versteht, warum da Darkrooms sind, warum dort bestimmte Künstler auftreten – deshalb wird eine Auswahl getroffen.
Würden Sie sagen, dass Clubs zum Teil diskriminierend sind?
Na ja, es liegt in der Natur der Sache, dass ich mich erst einmal diskriminiert fühle, wenn ich abgewiesen werde. Der Grund, warum ich abgelehnt worden bin, darf aber nicht diskriminierend sein. Zumindest darf es nicht rassistisch sein. Das Ziel dieses Auswahlprozesses soll sein: Wir haben hier eine bestimmte Gruppe, die sich nach bestimmten Regeln verhält, vielleicht die gleiche Philosophie hat, die gleiche Liebe zur Musik, die gleiche sexuelle Präferenz. Und dann muss eben bei einer Schwulen-Party im Zweifelsfall die Frau draußen bleiben. Es ist Teil der Szene, dass es diese Auswahl gibt. Sonst würde Clubkultur auf Marktplätzen stattfinden.
Aber in einem Theater kaufe ich mir trotzdem einfach eine Karte und gehe rein. Können Sie Leute verstehen, die jetzt kritisieren, dass Sie Hilfe von der Politik haben wollen?
Nein, kann ich eigentlich nicht nachvollziehen. Die Clubs sind ja alle jedes Wochenende voll. Wenn man es vielleicht einmal nicht geschafft hat, in einen der angesagtesten Clubs zu kommen, dann muss man vielleicht erst mal bei den weniger angesagten Clubs sein Glück versuchen. Wenn ich in den Wedding oder nach Lichtenberg fahre, komme ich vielleicht ohne Anstehen rein und die freuen sich, dass sie mal ein neues Gesicht sehen. Es gibt ja keine direkte Förderung. Es geht erst einmal darum, überhaupt in der Stadt baurechtlich Platz zu bekommen. Und momentan sind da Vergnügungsstätten sehr eingeschränkt und kulturelle Anlagen nicht.
Warum sind Clubs Kulturorte?
Weil sie eben keine Vergnügungsstätten sind. Vergnügungsstätten sind baurechtlich Bordelle, Spielcasinos, Wettbüros, Tabledance-Bars oder Pornokinos. Und da sieht man schon, dass ein Club mit seiner Struktur, mit Bühne, mit Kuratierung, mit einem Programm, das über Monate hinweg geplant wird, viel mehr Ähnlichkeit hat mit einem Konzerthaus oder einem Theater. Es gibt natürlich auch Clubs, wo das Geldverdienen im Vordergrund steht. Das würden wir dann als Diskothek bezeichnen und nicht als Club.
Ist das nicht ein sehr weiter Kulturbegriff? Am Ende spielen doch auch Alkohol oder Drogen eine große Rolle.
Ich glaube, jeder hat sein eigenes Ausgehverhalten. Natürlich geht es vielen auch um den Exzess, und das ist Teil von Clubkultur. Der Rausch ist Teil des Erlebnisses. Aber ich habe auch Freunde, die stehen morgens um vier oder fünf auf, gehen ins Berghain, hören sich ein Set an, trinken eine Cola und sind dann wieder um neun am Frühstückstisch mit ihren Kindern. Auch das ist eine Art des Erlebnisses, ein Teil der Szene zu sein. Es geht nicht nur um Exzess.
[Sehen Sie hier Lutz Leichsenring in der ersten Folge des neuen Tagesspiegel-Youtube-Formats „Kontra“]
Sie sind mit der Politik im Gespräch, Clubs in Berlin ziehen Touristen an. Hat dieser Politik-Kontakt nicht auch eine Marketing-Dimension? Macht das nicht das subkulturelle Image kaputt?
Es ist nicht völlig unumstritten, dass wir mit Politikern aller demokratischen Parteien sprechen. Lösungen herbeiführen – das schafft man tatsächlich nur, wenn man in die Parlamente reinkommt. Und im Zweifelsfall muss man dann eben auch mit einem CDU-Politiker mal in einen Club gehen, damit dieser versteht, worum es geht.
Wir halten aber eine kritische Distanz zu Parteien und politischen Institutionen und sehen uns auch immer noch als Teil einer rebellischen und unbequemen Stadt. Aber im Jahr 2020 haben wir nicht mehr diesen Luxus, uns einfach in unsere Kokons zurückzuziehen. Die Stadt wird immer enger, die Stadt wird immer beliebter. Es gibt Gentrifizierung, es gibt soziale Konflikte. Clubs müssen viel politischer sein, als sie jetzt schon sind. Wir müssen uns auch für gesellschaftliche Fragen einsetzen und eben nicht zu reinen Feierorten verkommen.
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Kann man überhaupt vom Clubsterben reden? Es machen ständig neue Clubs auf, Berlin gilt als internationale Feiermetropole.
Unsere Zahlen zeigen, dass in den letzten zehn Jahren 100 Clubs schließen mussten. Ungefähr 70 haben wieder geöffnet. Das ist schon mal ein Drittel weniger. Aber man muss sich im einzelnen anschauen, welche Läden zugemacht haben und was dafür wieder aufgemacht hat. Ich glaube, dass man tatsächlich von Clubsterben sprechen kann, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Wenn wir jetzt nicht die richtigen Weichen stellen, dann werden wir sehr schnell sehr viel weniger Clubs haben. Aktuell ist Berlin beliebt. Es werden sehr viele Flächen, Gebäude verkauft, und zwar nicht zu einem normalen Marktpreis, sondern zu Spekulationspreisen.
Und Sie wollen gerne, dass Clubs auch solche Flächen bekommen. Was halten Sie von dem agent-of-Change-Prinzip, in dem sich Investoren und Eigentümer zu mehr Lärmschutz verpflichten? In London hat das ja anscheinend ganz gut funktioniert.
Das ist auf jeden Fall ein interessanter Ansatz in der Stadtentwicklung. Der Verursacher ist derjenige, der dann auch für seinen Lärmschutz sorgt. Wenn ich mit dem Neubau neben einen Club ziehe, muss ich passiven Lärmschutz betreiben und nicht den Club dazu verpflichten. Es gibt in Deutschland auch ein ähnliches Recht, das heißt Rücksichtsnahmegebot, das ist aber mehr auf Ausgleich ausgerichtet. Das heißt, dass beide Seiten ein Stück entgegenkommen müssen – und sich meistens der Finanzstärkere durchsetzt.
Sehen Sie denn keine Vorteile, wenn vielleicht ein paar Clubs in manchen Gegenden zumachen und weniger werden? Ruhe, weniger Dreck, friedlichere Nächte?
Es ist immer die Frage, was man eigentlich von einer Stadtgesellschaft erwartet. Meine Erwartungshaltung ist, dass sie lebendig ist, dass sie einen eigenen kreativen Puls hat, dass es nicht nur um Konsum geht. Für mich sind Kultur, Ausstellungen, Musik, Kunst ganz wichtige Aspekte. Dieses Lebhafte möchte ich eigentlich nicht missen.
Haben Sie Hoffnung, dass die vielfältige Clublandschaft in Berlin überleben kann?
Ja, weil ich glaube, dass Berlin in einer Sache sehr einzigartig ist: Die Menschen lassen sich nicht alles gefallen. Sie sind rebellisch, und sie gehen auf die Straße. Und das ist schon ein ganz großer Unterschied zu anderen Städten, in denen ich unterwegs bin. In London und New York, die mal sehr bekannt waren für ihr Nachtleben, ist eigentlich nicht mehr viel los. Und das liegt daran, dass man sich nicht dafür eingesetzt hat.
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