Architektur in Berlin-Marzahn: "Wir können uns von der DDR-Bauweise eine Platte abschneiden"
Der Architekt Martin Maleschka erforscht das baukünstlerische Erbe der DDR. Ein Gespräch über Wohnungsbau und verlorene Kunst in Großsiedlungen wie Marzahn.
Herr Maleschka, im Berliner Nordosten reihen sich auf vielen Quadratkilometern ein Plattenbau an den nächsten. Würde man die Berliner fragen, würden wohl viele am liebsten die Abrissbirne bestellen. Sie nicht, woher kommt Ihre Liebe für die Platte?
Ich bin selbst in einer Platte aufgewachsen, sie ist meine Heimat, sozusagen. Eine verlorene Heimat allerdings: 2004 wurde das Gebäude in meiner Heimatstadt Eisenhüttenstadt abgebrochen und nun suche ich diese verlorene Architektur bis heute in anderen Städten.
Und was die Abrissbirne angeht, wäre ich mir gar nicht so sicher – denn Wohnraum ist heutzutage eine Mangelware. Zudem wurden mittlerweile fast alle Neubauten in diesem Vierteln modernisiert und der Baumbestand hat nun das üppige Grün erreicht, was sich die Planer damals vorgestellte hatten. Das Leben in Marzahn ist heute also gar nicht so unattraktiv.
Wie sind die Platten gealtert? Taugen die Grundrisse und Produktionstechniken als Blaupause, um die Wohnungskrise in Städten wie Berlin zu lösen?
Unbedingt. Wer sich auf den Baustellen umschaut, wird feststellen, dass Betonteile wieder vorgefertigt montiert werden. Und das nicht nur im Wohnungsbau, sondern auch bei Bildungseinrichtungen oder im Industriebau. Was die Grundrisse betrifft, so kann heute schon im Bestand einiges variiert und auch nachgebessert werden.
Die Baubranche steht auch heute wieder unter gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Druck – ganz ähnlich wie zu DDR-Zeiten. Wir können uns deshalb von der damaligen Bauweise eine Platte abschneiden.
Sie haben sich vor allem mit der Kunst am Bau beschäftigt, welchen Stellenwert nahm die beim Bau von Großsiedlungen wie in Marzahn und Hellersdorf ein?
Einen hohen! Bei diesen beiden Großwohnsiedlungen gibt es allerdings Unterschiede in der Quantität und auch an der Qualität. Bei meinen Feldforschungen über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass vor allem Marzahn baukünstlerisch reich ausgestattet ist.
Die Gewichtung liegt dort nicht allein wegen der beiden Wandmosaiken Walter Womackas in der Marzahner Promenade. Auch in Gaststätten, Kindergärten, Schulen, Sporthallen und in öffentlichen Einrichtungen haben Künstler und Künstlerinnen deutliche Spuren hinterlassen.
Schade ist es dennoch um die vielen Wandmalereien an etlichen Schulgiebeln und Kindergarteneingängen in Marzahn. Zum Teil sind sie witterungsbedingt von selbst ausgeblichen, zum Teil aber auch durch rücksichtsloses Dämmen und Modernisieren abhanden gekommen.
Wie viel Freiraum hatten die Künstler bei der Gestaltung?
Das war von vielen Faktoren abhängig: Welche Stadt, welches Gebäude mit welcher Nutzung, welches Honorar wurde vereinbart? Wie gut konnten sich die Künstler verkaufen, wie hoch war ihr eigener Stellenwert? Auch persönliche Beziehungen spielten immer eine Rolle.
Ich habe einige Protokolle von Bildentwürfen gelesen, bei denen ganz klar gesagt wurde, was alles nachzubessern sei. Bei einem Großteil der gefertigten Vorentwürfe haben mir die Künstler bestätigt, dass es kaum Einwände gab. Einige Künstler haben aber auch geheime Bildbotschaften versteckt ins Bild setzen können.
Die Architektur als Protestform?
Genau. Nehmen wir etwa die Wandmalerei „Wilhelm Pieck spricht zu den Studenten“ an der Technischen Universität Dresden: Bei dieser über 100 Quadratmetergroßen Kaseinmalerei haben sich die beiden Künstler Alfred Hesse und Erich Gerlach im Bild selbst verewigt. Anders allerdings als alle anderen Figuren im Bild, blicken sie nicht in die Richtung des SED-Vorsitzenden Piecks, sondern aus dem Bild heraus. Das lässt schon große Interpretationsfreiheit zu.
Der Berliner Friedrichstadtpalast zeigt die Gestaltungsmöglichkeiten des Plattenbaus, viele zählen ihn gar zu den Ikonen der DDR-Postmoderne? Zu Recht?
Definitiv, ja! Auf den ersten Blick mag der Friedrichstadtpalast klein wirken, doch das täuscht. Er weist insgesamt knapp 200.000 Kubikmeter umbauten Raum auf, der durch und durch durchdacht ist. Der Palast ist nicht nur baulich ein herausragendes Beispiel, sondern auch baukünstlerisch. Gerade in dieser Zeit - Anfang der Achtzigerjahre - bewies der Friedrichstadtpalast, was mit der „Platte“ über Standardtypen wie "WBS70" oder "P2" noch so alles gefertigt werden konnte. Schon von außen sind die einzelnen Platten des Prachtbaus reich verziert worden. Im oberen Bereich ornamental geschwungen und im unteren Bereich umsäumen vier der einst geplanten zwölf Reliefplatten den Bau. Baukünstlerisch erschließt sich der Palast so richtig aber erst von innen. Denn durch das Einbetten von verschieden farbigen Bruchglasstücken in die Betonplatten bekommt der Innenraum sein einzigartiges Charisma.
Inwiefern Unterschied sich das Verständnis von Kunst am Bau in der DDR von dem in der Bundesrepublik?
Der große Unterschied lag darin, dass sich die DDR als neuer, eigenständiger Staat verstand, der sich dann wiederum den Mitteln der Kunst bediente um die Ideologie einer neuen Gesellschaft ausdrücken beziehungsweise dem Nachdruck zu verleihen. Was man nicht vergessen sollte ist, Kunst im öffentlichen Raum wurde gewissermaßen in die Stadtlandschaft eingepflegt, ohne die Bewohner und Bürger je gefragt zu haben.
Martin Maleschka hat an der BTU Cottbus-Senftenberg Architektur studiert und fotografiert seit Jahren das baukünstlerische Erbe der DDR. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Baubezogene Kunst. DDR. Kunst im öffentlichen Raum 1950-1990“. Maleschka stellt das Buch am Dienstag, 5. März bei einem öffentlichen Gespräch vor: Besucherzentrum des DDR Museum, Sankt Wolfgang-Str. 2, 10178 Berlin, Beginn: 19 Uhr.
Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de