Verwaltungsgerichtspräsidentin im Interview: „Wir hoffen, die Gerichte halten durch“
Wegen der Corona-Regeln ächzt die Justiz unter Klagen. Erna Viktoria Xalter, Präsidentin am Verwaltungsgericht, über die Arbeitsbelastung und Richter im Homeoffice.
Erna Viktoria Xalter ist seit 2006 Präsidentin des Verwaltungsgerichts. Ihre Kammer ist unter anderem zuständig für Parlament, Parteien und Informationsfreiheit.
Frau Xalter, Berlin erlässt ständig neue Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, dazu immer neue Änderungsverordnungen. Jede enthält Grundrechtsbeschränkungen. Die Bürger wehren sich dagegen. Wie wirkt sich das am Verwaltungsgericht aus?
Mit jeder neuen Verordnung gehen bei uns neue Eilanträge und Klagen ein, aktuell besonders aus der Gastronomie. Seit Inkrafttreten der 11. Infektionsschutzverordnung zu Anfang November sind etwa 100 Eilanträge dazugekommen, davon richten sich 77 gegen die Schließung der Gastronomie. Die anderen betreffen Fitnessstudios, Kulturschaffende, Tattoostudios, bei einigen geht es um Schulschließungen, oder es wehren sich Menschen dagegen, auf bestimmten Straßen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen zu müssen.
Wie viele Verfahren haben Sie insgesamt erledigt, seit der Lockdown begann?
Stand heute haben wir 387 Eingänge gehabt, erledigt haben wir 259. Es sind also noch rund 130 Sachen anhängig.
Haben sich die Schwerpunkte in dieser Zeit verschoben?
Die Schwerpunkte verändern sich mit den Maßnahmen, die in der jeweiligen Verordnung getroffen werden. Im Frühjahr hatten wir vor allem die Gottesdienste, die Abiturprüfungen und die großen Kaufhäuser.
Ist es auch eine Frage des Zeitpunktes, wie ein Verfahren ausgeht?
Ja, durchaus, denn es muss ja bei jeder Entscheidung die Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Wenn man sehr hohe Infektionszahlen hat, dann sind gravierendere Eingriffe und Freiheitsbeschränkungen gerechtfertigt als bei niedrigen Zahlen. Die Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein, um das Ziel zu erreichen, die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern oder zumindest einzudämmen.
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Sind Sie dem personell gewachsen? Sie haben ja auch noch eine große Menge an Asylklagen zu bewältigen.
Ja, wir sind dem gewachsen, mussten aber die Arbeit anders verteilen. Die 14. Kammer, die sonst allein für Infektionsschutzrecht zuständig ist, hat in diesem Rechtsgebiet in normalen Zeiten fast keine Eingänge, jetzt aber bekommt sie natürlich mehr als sie schaffen kann. Deswegen haben wir die Geschäftsverteilung geändert. Um Gaststätten kümmert sich jetzt die vierte Kammer, um Schulangelegenheiten die dritte, um Versammlungsrecht die erste Kammer.
Wie ist Ihre persönliche Meinung dazu, dass sich so viele Bürger wehren?
Wir sind ein Gericht und wir sind dazu da, Rechtsschutz zu gewähren, und deshalb ist es in Ordnung, dass die Menschen versuchen, ihre Anliegen vor Gericht klären zu lassen.
Berlin ist völlig unzureichend mit digitalen Möglichkeiten zur Heimarbeit ausgestattet. Wie arbeiten Ihre Leute?
Viele Richter arbeiten im Homeoffice, das geht aber nur eingeschränkt, denn anders als im ersten Lockdown haben wir vollen Sitzungsbetrieb. Wir haben noch keine elektronische Akte. Die Richter können die Papierakte mit nach Hause nehmen, dort lesen und ihre Voten und Urteile dort schreiben. Dafür benutzen sie einen besonders gesicherten Stick. Wir haben ja auch noch rund 20.000 andere Verfahren. Die anderen Kläger, im Baurecht, in den Schulsachen, im öffentlichen Dienstrecht, wollen ihre Klagen ja auch entschieden haben. Und auch Corona wirkt sich nicht nur im Infektionsschutzrecht aus.
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Sondern wo noch?
In meiner Kammer zum Beispiel im Informationsfreiheitsrecht, im Parlamentsrecht und im Bezirksverwaltungsrecht. Bürger und Journalisten begehren Zugang zu Informationen der Behörden oder Betroffene wenden sich gegen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Bundestag oder bei einer Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung.
Wie geht es weiter?
Wir hoffen sehr, dass wir gut durch den Winter kommen und dass die Gerichte durchhalten.
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