Behindertenwerkstätten in der Corona-Krise: „Wir halten noch zwei Monate durch“
Die Krise trifft Behindertenwerkstätten hart, deren Mitarbeiter schutzbedürftig sind. Die Stephanus-Werkstätten sorgen sich um den Fortbestand der Jobs.
Die Trommeln der großen Waschmaschinen, die normalerweise stundenlang rotieren, stehen still. Die Stühle sind unbesetzt. Hinter der Theke steht niemand. Das „Café WaschBar“ in Schöneweide, auf dem Campus der Hochschule für Wirtschaft und Technik, ist geschlossen. Eines von hunderten Cafés in Berlin, eines der vielen Opfer der Corona-Krise.
Doch dieses Café, in dem vor allem Studenten lesen, reden oder auch nur ins schäumende Wasser starren, während ihre schmutzige Wäsche gereinigt wird, besitzt eine Besonderheit. Die meisten der 18 Mitarbeiter, im Service oder in der Küche, haben geistige oder körperliche Behinderungen. Das Café ist Teil der Stephanus-Werkstätten, einer Einrichtung, die insgesamt 850 Menschen Arbeitsplätze bietet.
Jetzt aber müssen sich die Werkstätten vor allem um sich selbst kümmern. Die Lage ist düster. Hans-Wolfgang Michael sagt: „Wenn sich die aktuelle Situation nicht verschlechtert, halten wir noch zwei Monate durch.“ Und wenn sich die Lage zuspitzt? „Dann“, sagt der Geschäftsbereichsleiter der Werkstätten, „wird es heftig.“
Die Coronakrise trifft zahllose Unternehmen und Betriebe, sie betrifft damit auch Behindertenwerkstätten. An acht Standorten in Berlin, verteilt auf Spandau, Pankow und Köpenick, produzieren die Stephanus-Werkstätten. Die dort Beschäftigten, darunter Autisten und Menschen mit Downsyndrom, installieren Schalter in Leuchtsysteme, bauen Betten oder verpacken Lebensmittel für Großkunden wie Siemens oder kleine Betriebe wie eine Kiezwerkstatt.
Doch zum Angebot gehört noch mehr: Landschaftsbau, Gartenarbeiten, Catering oder ein Café wie die „WaschBar“. Und bei Ikea sind die Stephanus-Mitarbeiter in der Fundgrube, Sammelbecken für reduzierte Möbel, tätig. Für ihre Betreuung sind 180 Mitarbeiter zuständig, vom Sozialarbeiter bis zum Gärtnermeister.
Der Jahresumsatz der Stephanus-Werkstätten liegt bei sechs bis sieben Millionen Euro – das gilt für normale Zeiten. „Aber jetzt“, sagt Michael, „ist der Umsatz um 50 Prozent zurückgegangen. Und die Probleme, die wir haben, die haben andere Behindertenwerkstätten im Prinzip auch.“
Es ist eine Serie von Problemen. Und ausgerechnet der Schutz von Menschen mit Behinderungen ist, wirtschaftlich gesehen, das Kernproblem. 800 der 850 Stephanus-Mitarbeiter mit Handicap dürfen die Werkstätten nicht mehr betreten. „Es ist unmöglich sicherzustellen, dass sie einen permanenten Sicherheitsabstand einhalten“, sagt Michael. „Das ist zum Beispiel Autisten in dieser Form nicht klarzumachen.“
Also bleiben die meisten jetzt in ihren Wohngruppen oder bei ihren Familien. 50 Menschen dürfen noch in die Werkhallen, einen Notbetrieb muss Michael aufrechterhalten, dazu ist er gesetzlich verpflichtet. „Bei 50 ist es noch möglich, die Abstände einzuhalten.“
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Aber Notbetrieb bedeutet auch nur Notlösung. Das Unternehmen hat feste Verträge, es muss pünktlich Produkte liefern, dieses Problem bleibt. „Die Lebensmittel, die wir verpacken, können ja nicht liegen bleiben, wenn sie angeliefert wurden“, sagt Michael. Und die Betten müssen pünktlich beim Kunden stehen. Nicht alle der 800 Menschen, die jetzt zu Hause bleiben müssen, arbeiten normalerweise in den Werkstätten. Aber die Lücken, die entstehen, sind groß genug, um die Produktion zu gefährden.
Also müssen die Betreuer ran. „Jeder von ihnen, der verfügbar ist, wird für die notwendigen Arbeiten eingesetzt“, sagt Michael. „Bei bestimmten Aufträgen können wir die Produktion nicht verringern, sonst verlieren wir den Kunden.“ Dafür herrscht in anderen Bereichen Stillstand: Ikea ist sowieso geschlossen, der Gärtnertrupp geht auch nicht mehr raus. Die Gastronomie hat Zwangspause.
Dummerweise sind aber nur 80 Prozent des Betreuungspersonals verfügbar. Der Rest ist krank oder fehlt wegen Sonderregelungen zu Coronazeiten. Und selbst von den 80 Prozent muss Michael noch einen Teil abziehen. Die Mitarbeiter mit Behinderungen müssen ja weiter betreut werden, egal, ob sie im Wohnheim sind oder in der eigenen Wohnung. Letztlich verfügt der Geschäftsleiter gerade mal über 110 bis 120 Personen, die derzeit Kundenwünsche und Aufträge erfüllen können.
Hauptsache, alle Mitarbeiter haben sofort wieder etwas zu tun, wenn sie an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. „Meine Angst ist, dass sie wieder da sind, und sie haben keine Aufträge“, sagt Hans-Wolfgang Michael. Wenn die Krise länger als zwei Monate dauert, wenn die Not-Produktion auf Dauer doch nicht reicht, dann befürchtet er, dass viele Kunden abspringen.
Unternehmensrücklagen reichen für Lohnfortzahlung
Gut, die Mitarbeiter, die Behinderungen haben, müssen keine Angst um ihren Lohn haben, sie verdienen im Schnitt rund 130 Euro im Monat, die Rücklagen des Unternehmens für diese Einkommen decken ein Jahr ab, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Aber es geht um die Folgeaufträge. Kundenakquise ist mühsam.
Und die Situation für Michael könnte sich kurzfristig verschärfen. Die Werkstätten sind eine Tochterfirma der gemeinnützigen Stephanus-Stiftung, die auch Altenheime betreibt. Es kann sein, dass Sozialarbeiter oder Pflegepersonal der Werkstätten plötzlich in Senioreneinrichtungen der Stiftung benötigt werden.
„Es täte uns in der Seele weh, wenn wir Leute abgeben müssten“, sagt Michael. „Die fehlen dann in der Produktion. Aber wir machen es natürlich.“ Nur hätte das Folgen: „Zwei Monate Krise“, sagt Michael, „würden wir dann nicht überstehen.“