Nach Flugrouten-Urteil: „Wir haben nach geltendem Recht geplant“
Erleichterung im Berliner Südwesten, neue Arbeit für die Juristen. Nach dem Urteil gegen die geplante Wannsee-Flugroute ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Platzeck, Wowereit und Co. geraten nun aber noch stärker unter Druck.
Was heute gängige Praxis ist, hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) am Mittwoch für die ferne Zukunft untersagt: Das Überfliegen des Forschungsreaktors in Wannsee. Damit haben die Richter die für den neuen BER-Flughafen festgelegte Route über Wannsee gekippt, die die Piloten im Prinzip derzeit vom jetzigen Flughafen Schönefeld aus aber fliegen. Auf die bisherigen Routen wirke sich das Urteil vom Mittwoch nicht aus, sagte OVG-Sprecherin Christiane Scheerhorn. Die alten Genehmigungen gelten hier weiter. Allerdings ist der Verkehr heute erheblich geringer als der für den BER prognostizierte.
Flugzeuge starten immer gegen den Wind. Bläst er von Westen, was an etwa zwei Drittel der Tage eines Jahres der Fall ist, biegen die Piloten, die nach Norden oder Osten wollen, derzeit Richtung Berlin ab, wenn sie eine Höhe von 5000 Fuß (1,5 Kilometer) erreicht haben. So ergibt sich ein „Fächer“ von geflogenen Routen, der von Teltow bis Wannsee reicht. Theoretisch kann auch der Reaktor überflogen werden; die meisten Piloten biegen jedoch schon früher ab.
Sollte das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF), das die Routen festlegt, in Revision vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen, könnte nach Scheerhorns Angaben weiter wie heute geflogen werden, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Möglicherweise wären die Richter in Leipzig aber immer noch schneller als die Planer und Bauer am BER. Eine Entscheidung will das BAF erst treffen, wenn das Urteil schriftlich begründet ist.
Auf die anderen Routen wirkt sich das Urteil ebenfalls nicht aus. Die Richter haben ihren Spruch ausschließlich mit der Gefährdung des Reaktors durch die Absturzgefahr von Flugzeugen begründet. Und diesen gibt es nur in Wannsee.
Beim Argument der mitklagenden Deutschen Umwelthilfe, die Routenfestsetzung sei wegen einer unterlassenen Umweltverträglichkeitsprüfung rechtswidrig, sieht das Gericht weiteren Aufklärungsbedarf und hat das Verfahren deshalb abgetrennt. Mit der fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfung begründen auch die Gegner der Müggelseeroute ihre Klage. Die Bundesregierung hält im Gegensatz zu Umweltbehörden der EU in Brüssel ein solches Prüf-Verfahren, wie berichtet, für nicht erforderlich, weil die Untersuchungen bereits im Planfeststellungsverfahren für den Ausbau des Flughafens vorgenommen worden seien. Doch auch bei der Wannsee-Route war die Genehmigungsbehörde bis zur Entscheidung des Gerichts überzeugt, auf der sicheren Seite zu sein. „Wir haben nach geltendem Recht geplant“, sagte die Sprecherin der Deutschen Flugsicherung, Ute Otterbein. Und ihre Kollegin Kerstin Weber vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung ergänzte, im Vordergrund der Abwägungen habe der Lärmschutz für möglichst viele Anwohner gestanden. Das Absturzrisiko sei bereits im Planfeststellungsverfahren als gering eingestuft worden.
Dennoch gerät mit dem Urteil, den noch ausstehenden Prozessen am OVG und dem von der EU-drohenden Vertragsverletzungsverfahren das im Februar 2012 vom Bundesaufsichtsamt festgelegte Flugrouten-System von mehreren Seiten unter Druck. Auswirkungen auf die Inbetriebnahme des BER und den Flugbetrieb danach werde dies aber nicht haben, sagte Brandenburgs Verkehrsstaatssekretär Rainer Bretschneider. Er wechselt in Kürze als neuer BER-Sonderbeauftragter in die Staatskanzlei von Ministerpräsident und Aufsichtsratschef Matthias Platzeck. Der SPD-Politiker und sein Berliner Amtskollege Klaus Wowereit halten sich mit Bewertungen des Urteils zurück. Beide verweisen auf die für die Flugrouten zuständigen Bundesbehörden. Wowereit sagte: „ Wenn sich nach dem jetzigen Urteil Verbesserungen im Interesse der Menschen erreichen lassen, dann ist das positiv.“
Wegen der Flugrouten hatte es im Jahr 2011 in der Region massive Bevölkerungsproteste gegeben. Auslöser war, dass die von der Flugsicherung vorgelegten BER-Routen von denen im Planfeststellungsverfahren abwichen. Sie knickten ab – und waren nicht mehr gerade. Dies wurde damit begründet, dass so das Flugaufkommen auf den beiden parallelen BER-Pisten bewältigt werden kann. Vor der endgültigen Festlegung waren die Routen ein Jahr in der Fluglärmkommission – dort sitzen die betroffenen Anrainergemeinden und Berliner Bezirke – debattiert worden. Die Kommission, die lediglich Empfehlungen geben darf, hatte sich gegen die Wannsee-Route ausgesprochen. Allerdings nicht wegen des Reaktors, sondern um das dichtbesiedelte Stadtgebiet möglichst zu umgehen, sagte Chefin Kathrin Schneider. Das Urteil werde wie die EU-Bedenken wegen der Routen über geschützte Naturräume auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung stehen, voraussichtlich am 18.März.