Berlins Wirtschaftssenatorin Pop: „Wir Grüne sind die Antipopulisten“
Die Grüne Ramona Pop ist seit 2016 Wirtschaftssenatorin in Berlin. Im Interview spricht sie über Wahlerfolge ihrer Partei und ihren Umgang mit der AfD.
Frau Pop, seit zwei Jahren regiert Rot-Rot-Grün in Berlin. Die Grünen hatten Angst, nicht auf Augenhöhe mitregieren zu dürfen. Sind Sie jetzt beruhigter?
Wir haben vieles angeschoben, was lange liegengeblieben ist. Ein großes Pensum haben wir noch vor uns. In Berlin gibt es keine großen Volksparteien mehr, sondern vier Parteien, die sich um die 20 Prozent bewegen. Rot-Rot-Grün regiert anders als ein großer und kleiner Koalitionspartner. Wir sind drei annähernd gleich große Partner, ziehen an einem Strang und haben einen schnellen, kommunikativen Regierungsstil auf Augenhöhe.
Warum sind die Grünen so beliebt, wie man nach den Wahlen in Bayern und Hessen sieht?
Wir reden nicht von einem Hype, wenn man sieht, was sich in Deutschland tut. Die Parteienlandschaft sortiert sich neu. Wir erleben eine neue Repolitisierung von Menschen zwischen gesellschaftsliberal und autoritär, europäisch und national. Wir Grüne sind die Antipopulisten. Wir bekommen gerade viel Zuspruch, weil wir nicht um uns kreisen, sondern Lösungen anbieten für Zukunftsthemen: Klimawandel, Digitalisierung, Mobilität.
Profitieren die Grünen davon, dass der Streit um Flüchtlingspolitik das Land polarisiert und die Partei nicht innerlich so zerrissen ist wie SPD und Union?
Wir Grüne haben bei den Fragen Menschenrechte, internationale Verantwortung und Europa eine klare Position, wir stehen für Humanität und eine offene Gesellschaft. Aber viele andere Themen bewegen die Menschen und diejenigen, die nur über Flüchtlingsfragen diskutieren, verkennen das. Wir haben einen Sommer hinter uns, nach dem keiner mehr den Klimawandel leugnen kann. Themen wie Arbeit und Digitalisierung, Bildung, steigende Mieten oder Mobilität bewegen die Menschen. Wie können wir in Berlin die Chancen der Zukunft nutzen, um sie zu gestalten? Das treibt uns an.
2017 hieß es, warum braucht man die Grünen noch? Was hat sich seitdem verändert?
Die Sondierungsgespräche im Bund haben gezeigt, dass wir die einzige Partei sind, die politische Verantwortung übernehmen will für eine konsequente Klimapolitik, humane Flüchtlingspolitik und nachhaltige Wirtschaft, auch in Fragen der Automobilindustrie. Wir haben uns nicht vom Acker gemacht, wie andere es getan haben. Wir waren bereit, Verantwortung zu übernehmen. Andere Parteien reden von Erneuerung, wir machen sie.
Bei uns hat eine neue Generation die politische Verantwortung im Bund und den Bundesländern übernommen: Als ich Ende der 90er Jahre bei den Grünen angefangen habe, Politik zu machen, hieß es, die Grünen seien eine Ein-Generationen-Partei. Jetzt sehe ich Robert Habeck, Tarek Al-Wazir oder mich. Politisch erleben wir eine neue Konfliktlinie zwischen einem gesellschaftspolitischen Liberalismus und einem erstarkenden Nationalismus. Wir Grüne verorten uns auf der Seite der gesellschaftlichen Liberalität und sind resolut pro-europäisch. Und diejenigen, die in Bayern oder Hessen versucht haben, uns als Linksableger zu bezeichnen, sollten sich die Ergebnisse anschauen. Wer in Bayern knapp 20 Prozent erhalten hat, hat tief in der Mitte der Gesellschaft Anhänger. Das sollte der CDU und auch der FDP zu denken geben.
Ihr Parteichef Habeck fordert, die Grünen müssten zur führenden Kraft der linken Mitte werden. Stimmen Sie ihm zu?
Ja. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse an. Die politische Mitte sortiert sich neu. Wie modern ist unsere Gesellschaft? Wir erleben einerseits einen Roll-back von dem, was gesellschaftspolitisch erreicht wurde. Der CDU-Kandidat Friedrich Merz zum Beispiel hat 1997 gegen den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt. Und er soll für die Erneuerung der Union stehen? Wir Grüne sind radikal pragmatisch und werden mehr und mehr zur Heimat für diejenigen, die Populismus ablehnen, eine moderne, liberale Gesellschaft befürworten, ihren Blick nach vorne richten und sich nicht die 50er Jahre zurück wünschen.
AfD-Fraktions- und Parteichef Pazderski fordert dazu auf, die Grünen anzugreifen. Er sagt, es seien keine eigenen Anstrengungen, weshalb die Grünen so stark seien. Es liege nur an der schlechten Arbeit der Großen Koalition. Was entgegnen Sie ihm?
Im Gegensatz zu den anderen Parteien und insbesondere zur AfD leben wir im Hier und Jetzt. Wir suchen nicht das vermeintlich Gute in der Vergangenheit, sondern erarbeiten Antworten auf Herausforderungen wie den Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und unser vereintes Europa. Die Wahlen und Umfragewerte bestätigen, dass wir mit unserem Mut zur Zukunft auf dem richtigen Weg sind.
Pazderski bezeichnet die Grünen als „Freiheitsfeinde“, „Minderheitenanwälte“ und Elitenprojekt für lautstarke Minderheiten.
Die AfD ist ein täglicher Angriff auf unsere liberale Demokratie und unsere offene Gesellschaft. In einem eigenen Gutachten wird die AfD als verfassungsfeindlich beschrieben. Das sagt alles zum Wesen der AfD.
Wie reagieren Sie als Grünen-Senatorin auf den angekündigten Angriff der AfD?
Wir Grüne verteidigen die Freiheit und Offenheit der Gesellschaft und die demokratischen Institutionen. Wir haben den Optimismus und Schwung für Veränderung, auch wenn es nicht leicht ist.
Haben die Grünen eine neue Rolle in einer Parteienlandschaft, in der die alten Volksparteien schwächer werden?
Wir sehen hier in Berlin unsere Verantwortung und Verpflichtung, auf Zukunftsthemen zu setzen und diese in Regierungspolitik umzusetzen.
Die Berliner Grünen liegen laut Civey vorne bei 20,1 Prozent. Es gab 2011 schon einmal einen Höhenflug, als Renate Künast Spitzenkandidatin war. Die Grünen landeten auf dem dritten Platz mit 17,6 Prozent hinter SPD und CDU Fürchten Sie sich vor dem nächsten Absturz?
Es ist ja nicht so, dass wir 2011 oder 2016 nicht erfolgreich gewesen wären, 17,6 Prozent sind ja kein Absturz. Alle Umfragen zeigen, dass es in Berlin vier Parteien rund um 20 Prozent gibt. Aber Umfrageergebnisse taugen nicht zum Berauschen. Für uns sind die guten Umfragen Ansporn und Verpflichtung, weiter eine gute Politik für die Stadt zu machen.
Gründe für die jüngsten Wahlerfolge der Grünen waren ihr Kurs der Eigenständigkeit und die Äquidistanz zur CDU und der SPD im Bund. Haben Sie damit gerechnet?
Uns geht es darum, grüne Politik pragmatisch umzusetzen – unabhängig von der Konstellation. Jede Regierung mit Grün ist besser als eine Regierung ohne uns. Schwarz-Grün in Hessen hat solide regiert und wurde wiedergewählt. Trotzdem ist Berlin nicht Hessen. Wir gehen in Berlin den rot-rot-grünen Weg.
Wäre Schwarz-Grün ein Modell für Berlin? CDU-Fraktionschef Dregger sagte, man solle nichts ausschließen.
Ich freue mich, dass die Opposition unsere Arbeit wertschätzt. Die Absicht, nicht in Ausschließeritis zu verfallen, teile ich. Aber das politische Angebot der Berliner CDU für eine Metropole wie Berlin ist doch recht übersichtlich.
Das Gespräch führte Sabine Beikler.