Frank Henkel über Michael Müller, Flüchtlinge, BER: "Wir brauchen einen Neuanfang für Berlin"
Berlins CDU-Chef Frank Henkel spricht im Tagesspiegel-Interview über Michael Müller als Nachfolger von Klaus Wowereit, über Flüchtlinge in Containerdörfern - und natürlich über den Pleiteflughafen BER
Herr Henkel, fehlt Ihnen denn der unbedingte Wille zur Macht?
Wie kommen Sie denn darauf? Mein Anspruch ist klar: Wenn die Partei es will, will ich als Spitzenkandidat 2016 mit der CDU stärkste politische Kraft in Berlin werden. Und ich will eine CDU-geführte Regierung mit mir als Regierendem Bürgermeister. Ich habe keinen Mangel an Machtinstinkt und reklamiere ganz klar den Führungsanspruch für die Berliner Union.
Klaus Wowereit kündigt seinen Rücktritt an, die SPD zerfällt in drei Lager, aber Sie nehmen das Wort Neuwahlen nicht mal in den Mund.
Einige politische Beobachter mögen sich nach mehr Drama sehnen. Ich hätte eine Neuwahl-Debatte jedoch als zynisch empfunden. Warum sollte die Politik kollektiv in Panik verfallen und Neuwahlen fordern, nur weil Wowereit abdankt? Sämtliche Parteien und Direktkandidaten, die 2011 gewählt worden sind, gehören nach wie vor dem Parlament an. Der Koalitionsvertrag, den ich übrigens mit Michael Müller als damaligem SPD-Parteichef unterzeichnet habe, ist nach wie vor gültig. Es kann immer Gründe geben, warum eine Koalition beendet werden muss. Aber man sollte eine Stadt nicht in einen Wahlkampf treiben, nur weil eine Partei mal gerade in Umfragen vorne ist. Wenn man so etwas tut, darf man sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden.
Wäre die SPD-Krise keine gute Gelegenheit gewesen, um die CDU zu profilieren?
Ich beziehe die Stärke der Union nicht aus der Schwäche der anderen.
Sie wollen sich also an die Macht schleichen ...
Ich schaue als Parteichef nicht dauernd darauf, welchen Vorteil ich mir verschaffen kann, wie ich Fouls austeile. Die CDU ist bislang mit der Strategie gut gefahren, dass die SPD ihre Machtkämpfe selbst austrägt.
Die CDU stand in den Umfragen bisher auch deshalb ganz gut da, weil Sie als bodenständige Alternative zu Talkshow-König Klaus Wowereit wahrgenommen wurden. Jetzt bekommen Sie es bei den Wahlen mit Michael Müller zu tun, der mindestens so normal wirkt wie Sie. Ein Angstgegner?
Erstens würde ich nicht unterschreiben, dass Müller und ich uns besonders ähnlich sind. Und zweitens habe ich keine Angst vor ihm. Es ist wie bei der Fußball-Nationalmannschaft: Wenn ich den Titel will, muss ich jeden Gegner schlagen. Wahlerfolge hängen außerdem nicht allein von Personen ab, wie Ihre Frage nahelegt.
Sondern?
Auch von erfolgreicher Regierungsarbeit. CDU und SPD müssen noch zwei Jahre miteinander arbeiten. Ich gehe fest davon aus, dass das mit Michael Müller gut funktioniert. Wir haben das Potenzial, uns menschlich zu verstehen und fair miteinander umzugehen. Müller ist ja auch nicht unsympathisch.
Vertrauen Sie ihm?
Ich habe ihn in der Vergangenheit als verlässlich kennengelernt.
Klaus Wowereit hat Sie des Öfteren gegen das Schienbein getreten. Erwarten Sie von Müller einen anderen Umgang in der großen Koalition?
(lacht) Meinen Sie, ob Müller anders tritt? Spaß beiseite. Natürlich erwarte ich einen neuen Regierungsstil. Michael Müller und ich kennen uns sehr lange. Ich war im Abgeordnetenhaus Oppositionsführer, Müller war Fraktionschef der größten Regierungsfraktion unter Rot-Rot. Ich halte ihn für absprachefähig und für kollegial. Wir werden im Dienst der Stadt gut zusammenarbeiten. Denn darum geht es.
"Wir erwarten Stabilität von der SPD"
Wäre es gut für die Stadt, wenn der Senat in großem Umfang umgebildet und wenn ein Finanzsenator mit großem Namen von außen geholt würde?
Michael Müller muss seinen eigenen Stil finden und sich von seinem Ziehvater Wowereit emanzipieren. Er tritt in große Fußstapfen. Müller wird inhaltlich und personell Akzente setzen müssen. Ich gehe auch davon aus, dass er sachlicher und moderierender sein wird als Wowereit. Es ist seine Entscheidung, wer Finanzsenator sein wird. Da würde ich mir von außen auch nicht reinreden lassen. Ich sehe in den Reihen der Berliner SPD allerdings niemanden, der sich zwingend aufdrängt. Deshalb erscheint mir eine Außenlösung denkbar.
Und die CDU-Senatoren bleiben alle im Amt?
In der CDU gibt es keinen Grund, Senatoren auszutauschen. Sie leisten alle gute Arbeit und garantieren Stabilität. Diese Stabilität erwarte ich auch von der SPD. Offensichtlich ist zwischen Müller, Parteichef Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh die Führungsfrage weiterhin nicht geklärt, denn es gibt weiterhin drei Machtzentren. Die ungeklärte Machtfrage in der SPD darf die Arbeit des Senats nicht beeinträchtigen. Es wäre gut, wenn Michael Müller als Regierender Bürgermeister das Führungsvakuum beenden würde.
Apropos Vakuum: Warum muss Berlin eigentlich auf die Wahl des neuen Regierenden Bürgermeisters bis zum 11. Dezember warten?
Für uns ist der Termin nicht in Stein gemeißelt, aber das ist Angelegenheit der SPD. Jeder Koalitionspartner ist für seine Ressorts und sein Personal verantwortlich. Der Regierende Bürgermeister hat sich auf den 11. Dezember festgelegt. Klaus Wowereit muss selbst wissen, wie lange er seinen Kronprinzen im Schatten stehen lassen will.
Was wollen Sie bis zur Wahl noch erreichen in der großen Koalition?
Wir brauchen einen Neuanfang für Berlin. Ich werde in den Verhandlungen mit der SPD auf einen konkreten Maßnahmenplan drängen. Die Früheinschulung muss noch in dieser Legislaturperiode wieder abgeschafft werden. Das Vergaberecht muss vereinfacht werden. Wir brauchen mehr Geld und Personal für die Sicherheit einer wachsenden Stadt, also bei Polizei und Feuerwehr. Auch beim BER müssen wir uns neu sortieren. Und für die Flüchtlinge brauchen wir Unterkünfte, eine vernünftige Gesundheitsversorgung und Schulen für die Kinder. Niemand konnte vor drei Jahren absehen, wie dramatisch sich die Weltlage entwickelt und dass wir in diesem Jahr 12 000 neue Flüchtlinge in Berlin erwarten.
Sind Containerdörfer und Traglufthallen angemessene Unterkünfte?
Wir versuchen alles, um Unterkünfte bereitzustellen, damit jeder ein Dach über dem Kopf hat. Wir haben gerade in den großen Städten wie Berlin, Hamburg oder München eine echte Herausforderung. Da wird uns der Bund stärker unterstützen müssen. Grundsätzlich sehe ich aber trotz der wachsenden Herausforderung eine große Bereitschaft der Deutschen, Flüchtlingen aus Krisenregionen zu helfen. Hier kommt auch die Politik ihrer Verantwortung nach. Zu dieser Verantwortung gehört aber auch, dass wir keine Vorzugsbehandlung Einzelner zugelassen haben, wie sie die Besetzer vom Oranienplatz eingefordert hatten. Es gibt im Asylrecht Regeln und Verfahren, und die gelten für alle.
Da Sie von einem Neuanfang im Berliner Senat sprechen: Warum macht sich die Koalition nicht ehrlich und gibt zu, dass der Flughafen BER erst nach der Wahl 2016 eröffnen wird – vielleicht sogar erst 2018?
Es ist Aufgabe der BER-Geschäftsführung, also von Hartmut Mehdorn, den Zeitpunkt der Eröffnung zu nennen. Wenn Mehdorn diesen kennt, wird er diese Erkenntnis mit dem BER-Aufsichtsrat teilen. Da bin ich mir sicher. Und dann wird sich die Politik auch ehrlich machen. Michael Müller hat bereits angekündigt, dass er wohl in den Aufsichtsrat gehen wird.
Als Vorsitzender?
Ob er das wird, darauf müssen sich die drei Gesellschafter verständigen. Das ist ja keine Berliner Wunschveranstaltung. Alle Aufsichtsratsmitglieder üben ihre Kontrollfunktion gewissenhaft aus. Die CDU ist sehr offen, externe Fachleute in das Gremium zu holen. Darüber müssen wir sprechen.
Erwarten Sie als BER-Aufsichtsratsmitglied, dass Mehdorn bei der Sitzung am 12. Dezember einen Zeitplan vorlegt?
Ich erwarte eine sehr aufschlussreiche Sitzung.
Was ist, wenn Hartmut Mehdorn den Zeitplan nicht vorlegt? Muss er dann gehen?
Ich erwarte im Dezember die Vorlage eines Zeit- und Kostenplanes. In diesem Großprojekt helfen weniger Rücktritte, dafür Fortschritte am Bau.
Das Gespräch führten Sabine Beikler, Stephan Haselberger und Robert Ide. Das Foto machte Doris Spiekermann-Klaas.