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Helfende Hände. Die Ärztinnen Laura Hatzler (li.) und Pia Skarabis-Querfeld untersuchen Flüchtlingskinder.
© privat

Gemeinsame Sache in Steglitz-Zehlendorf 2016: „Wir behandeln jeden Menschen, der in Not ist“

Ein Netzwerk aus ehrenamtlich tätigen Ärzten sichert derzeit in Berlin die medizinische Versorgung vieler Geflüchteter. Sie helfen unbürokratisch – und haben neue Ziele.

Im Containerdorf in Steglitz-Zehlendorf, Mittwochmorgen, kurz vor neun Uhr: Die Ärztin Barbara Grube eilt zum Arztzimmer. An der Tür kleben die Sprechzeiten, Dienstagnachmittag sind zwei Stunden nur für die Kinder reserviert, Mittwoch zwischen neun und zwölf ist Grube für alle da. Das Zimmer ist klein und länglich, durch zwei Fenster schaut man auf den Kinderspielplatz mit Klettergerüst. Alles im Arztzimmer ist gespendet, erzählt Grube, die weiße Kommode auf der linken Seite von ihrer Mutter, das noch ganz neue Ultraschallgerät von einer Praxis. Neben der blauen Krankenliege steht ein Schreibtisch, gegenüber ein paar schwarze Plastikstühle, in einem Regal sind Medikamente in Plastikboxen verstaut.

Grube gehört zur Initiative „Medizin hilft Flüchtlingen“, die 2014 aus dem ehrenamtlichen Engagement von Gemeindemitgliedern der Evangelischen Kirchengemeinde Dahlem hervorgegangen ist. Vergangenen Sommer leistete das Netzwerk aus Ärzten, Pflegern, Sprachmittlern und nichtmedizinischen Helfern über viele Wochen medizinische Sofortversorgung am Lageso, wo tausende Flüchtlinge tagelang auf ihre Registrierung warten mussten.

Danach begannen die Helfer, in Flüchtlingsunterkünften ehrenamtliche medizinische Versorgungszentren aufzubauen. Seit April dieses Jahres gibt es den Verein „Medizin hilft“. Der Name solle deutlich machen, dass der Verein nicht nur Geflüchteten helfen wolle, sondern allen Menschen, die keinen Zugang zu unserem Gesundheitssystem haben. „Wir behandeln jeden Menschen, der in Not ist“, sagt die Ärztin Pia Skarabis-Querfeld mit Nachdruck. „Es ist eine Frage der Humanität, einem schutzbedürftigen Menschen zu helfen.“

„Es ist immer was los in der Sprechstunde“

Deshalb wird es ab September in Zehlendorf ein Zentrum für ehrenamtliche medizinische Behandlung und Beratung geben, das „open.med Berlin“. Die Initiative finanziert sich aus Spenden und wird von der Evangelischen Kirche unterstützt, die auch die Räume für das Versorgungszentrum sehr günstig zur Verfügung stellt. Das neue Ambulanzprojekt wird daneben durch eine große Gemeinschaftsspende von elf Rotary Clubs aus vier Ländern ermöglicht, allein in Berlin haben sich sechs Clubs beteiligt.

Im Moment ist „Medizin hilft Flüchtlingen“ berlinweit an insgesamt fünf Standorten mit ehrenamtlichen Kinder- und Erwachsenensprechstunden tätig; 130 Ehrenamtliche sind im Netzwerk aktiv. Grube hält seit vergangenem Herbst regelmäßig Sprechstunden ab. An diesem Mittwoch kommt um kurz nach neun Uhr die erste Patientin, eine junge Frau aus Eritrea. Die junge Frau braucht zwei Impfungen. Während Grube sie einmal in jeden Oberarm pikst, kommt die Übersetzerin Annisa Mohammed ins Zimmer. Sie kommt aus Äthiopien, und wenn man sie fragt, wie viele Sprachen sie spricht, lacht sie nur. „Viele“, sagt sie und schiebt hinterher: „Sieben, ungefähr.“ Sie hilft nicht nur Grube beim Übersetzen, sondern auch bei der Kinderbetreuung. „Es ist immer was los in der Sprechstunde“, sagt sie, und tatsächlich füllt sich die kleine Bank, die vor dem Arztzimmer steht: ein junger Mann mit Krücken, einer im Rollstuhl, eine ältere Frau mit langem Rock. „Viele haben Infekte, Fieber und Halsschmerzen“, erzählt Grube.

„Wir schließen erst, wenn wir nicht mehr gebraucht werden“

Auch Skarabis-Querfeld hat gerade den letzten Patienten des Tages hinter sich gebracht. Die herzliche, charismatische Frau spricht bedacht und lächelt ein breites Lächeln, wenn sie über „Medizin hilft Flüchtlingen“ redet. „Immer, wenn man denkt, man ist kurz vor dem Zusammenbrechen, kommt doch wieder Hilfe“, sagt sie. Skarabis-Querfeld versorgte früher selbst auch viele Geflüchtete medizinisch, jetzt kümmert sie sich um die Koordination der Ehrenamtlichen, Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising des Vereins. Dazu führt sie ihre eigene Praxis. Auch nach Gründung des „Open.med Berlins“ sollen die Standorte in den Heimen nicht aufgegeben werden. „Wir schließen erst, wenn wir nicht mehr gebraucht werden.“

Grube wird im Moment auf jeden Fall gebraucht: Ein junger Mann mit Krücken möchte einen Schwerbehindertenausweis, er wurde vor fünf Jahren in Syrien von einer Bombe getroffen, erzählt er in gebrochenem Englisch. Ein anderer im Rollstuhl kann vor Rückenschmerzen nicht schlafen, er bräuchte dringend Physiotherapie, außerdem einen elektrischen Rollstuhl. Grube hat ihn bereits beantragt, doch die Versicherung verlangt eine Begründung, der Fragebogen, den die Ärztin dafür ausfüllen muss, ist noch nicht bei ihr angekommen. Annisa Mohammed springt oft zum Übersetzen ein, einmal kommt ein junger Mann dazu: „Ich kann es“, sagt er, als niemand richtig weiß, was „Physiotherapie“ auf Arabisch heißt. Immer wieder läuft Grube aus dem Raum, um draußen schnell etwas mit einem Patienten zu besprechen.

Wenn sich Skarabis-Querfeld an ihr Engagement vor einem Jahr erinnert, sagt sie: „Ich kann gar nicht glauben, dass ich immer noch so aktiv dabei bin.“ Sie sei erleichtert, dass sich vieles zum Guten gewendet habe. Gemeinsam mit der AOK habe die Initiative auch eine App entwickelt, die Ärzten und Geflüchteten helfen soll, sich besser zu verständigen. Pläne hat sie viele: „Medizin hilft“ kooperiert künftig auch mit „Ärzte der Welt“, die im neu geplanten ehrenamtlichen Medizin-Zentrum auch hauptamtliches Personal finanzieren wollen.

Im September steht der Umzug in die Räume an, in die „open.med Berlin“ einziehen wird. Am 9. und 10. September wird sich die Initiative an der „Gemeinsamen Sache“ des Tagesspiegels beteiligen. Das Team kann Hilfe beim Einrichten der Räume gebrauchen – jeder Helfer ist herzlich eingeladen.

Mehr Informationen unter: www.medizin-hilft-fluechtlingen.de

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