Flüchtlingspolitik in Berlin: Wieder lange Schlangen vorm Lageso
Auch am Montag warteten wieder hunderte Flüchtlinge vorm Lageso in Berlin-Moabit. Sozialsenator Czaja (CDU) geht für 2015 bundesweit von bis zu 700.000 Asylbewerbern aus. Berlins Regierender Müller (SPD) will am Dienstag ein neues Konzept vorlegen.
In Berlin stehen an diesem Montag erneut hunderte Flüchtlinge in Warteschlangen. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit will die Wartenden nun gleich in Notunterkünften unterzubringen – und die Asylanträge erst danach von eigens in die Heime entsandten Lageso-Mitarbeitern aufnehmen. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) sagte dem Tagesspiegel, er rechne mit deutlich mehr Flüchtlingen als prognostiziert wurden.
„Bereits heute ist absehbar, dass so viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden, wie seit Jahrzehnten nicht“, sagte Czaja. Womöglich kämen mehr als je in der Geschichte der Bundesrepublik gekommen seien. Zur Zeit der Jugoslawien-Kriege wurden auf dem Höhepunkt 1992 rund 440.000 Asylanträge gestellt. Senator Czaja geht für 2015 bundesweit von bis zu 700.000 neuen Asylbewerbern aus. In Berlin sind 2015 bislang fast 16.000 Flüchtlinge angekommen. Weil allein im Juli 4000 Männer, Frauen und Kinder kamen, wird bis Jahresende mit 35 000 neuen Asylanträgen gerechnet.
Michael Müller stellt neues Konzept vor
Am heutigen Montag werden sich die Staatssekretäre des Berliner Senats treffen, Czaja wird mit dem Regierenden Bürgermeister sprechen, am Dienstag will Michael Müller (SPD) das neue Flüchtlingskonzept vorstellen. Daran sollen sechs der acht Senatsverwaltungen beteiligt sein. Bis zuletzt hatte es Streit gegeben, vor allem Mitarbeiter des ausgedünnten Lageso fühlten sich von der Landesregierung im Stich gelassen.
„Ich begrüße, dass der Regierende Bürgermeister uns mit noch mehr Nachdruck unterstützt“, sagte Czaja. „Der dramatische Zustrom von Flüchtlingen muss von allen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden.“ Es gehe nur gemeinsam. „Ich bin froh, dass dies nun in Berlin zunehmend erkannt wird.“ Anders seien Unterbringung, soziale und schulische Versorgung sowie die Integration nicht zu meistern.
Lageso-Mitarbeiter: Aufnahme von Asylsuchenden nicht für Wahlkampf geeignet
Die Piraten hatten angesichts Hunderter, in der Hitze vor dem Lageso wartender Flüchtlinge, von einer „humanitären Krise“ gesprochen. Czaja hatte noch am Samstagabend die neue Notunterkunft in Karlshorst besucht, in der die Familien untergebracht werden, die vergangene Woche vor dem Lageso campten. Lageso-Personalvertreter hatten dem Tagesspiegel geschrieben: „Die sensible Frage der Behandlung in der Aufnahme von asylsuchenden Zuwanderern eignet sich nicht für den offenbar begonnenen Wahlkampf in Berlin.“ Schon gar nicht vor dem Hintergrund von Zwölf-Stunden-Tagen der Mitarbeiter.
Linken-Fraktionschef, Udo Wolf, sagte: Der Senat habe drei Jahre lang versäumt, Personal und Räume aufzustocken. Am Dienstag müsse „statt Flickschusterei tatsächlich Neues“ kommen. Nach Debatten in der SPD-CDU-Koalition hatte Czaja erwirken können, dass das Lageso in diesen Monaten insgesamt bis zu 100 neue Mitarbeiter bekommen wird – intern wird dies als zu wenig eingeschätzt. Wolf warnte aber auch vor „permanenter Krisenstimmung“, stattdessen müsse nach dem aktuellen Krisenmanagement massiv in Umbauten investiert werden: „Das Land hat ja noch Liegenschaften, die nun genutzt werden müssen.“
Präsident der Handwerkskammer: Betriebe wollen Flüchtlinge
Der Präsident der Handwerkskammer Berlin, Stephan Schwarz, forderte Erleichterungen bei der Integration. „Die Rechtslage erschwert es uns, die Flüchtlinge zu integrieren“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ein Praktikum ist inzwischen relativ einfach, eine Ausbildung schon schwieriger.“ Positiv äußerte sich Schwarz zum Integrationsprogramm „Arrivo“ des Senats. Knapp 50 Menschen nähmen daran inzwischen teil, „und die Betriebe und Innungen sind begeistert“. Für das Handwerk passe das zusammen: Fachkräftemangel und viele Flüchtlinge. Dabei mache er keinen Unterschied, ob jemand Wirtschaftsflüchtling oder „richtiger“ Asylsuchender sei, der verfolgt wurde, sagte Schwarz. „Jemand, der eine neue Lebensperspektive sucht, ist mir ebenso willkommen, wie ein Mensch aus einem Bürgerkriegsland.“