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Den ersten deutschen Nachkriegsfilm drehte Wolfgang Staudte mit Hildegard Knef in der Trümmerlandschaft von Berlin.
© imago images/Everett Collection

Bilder aus dem zerbombten Berlin: Wie nach dem Kriegsende die ersten Trümmerfilme entstanden

„Die Mörder sind unter uns“ war der erste deutsche Nachkriegsfilm. Er wurde in der Sowjetzone gedreht, weil die Amerikaner den Regisseur abgewiesen hatten.

Einmal hatte Ufa-Regisseur Wolfgang Staudte allzu deutlich durchblicken lassen, wie er zum NS-Staat stand. Leider war sein Kontrahent, Inhaber einer Apotheke in der Friedrichstraße, linientreu und dazu betrunken. Fast wäre das schiefgegangen: „Ein Apotheker, der SS-Obersturmbannführer war, hat mich einmal mit der Pistole bedroht, und zwar aus politischen Gründen. Er hat dann nicht abgedrückt. Ich sagte mir aber: Was mache ich mit dem Burschen in einem halben Jahr, wenn das hier vorbei ist?

Tja, was macht man mit so einem? Besonders falls er bei anderer Gelegenheit mit der Waffe nicht nur gedroht hat. Soll man nun umgekehrt ihn erschießen? Nicht, dass Staudte dergleichen jemals erwogen hätte, doch erwuchs aus der geschilderten Situation eine Filmidee, die er bereits zum Exposé ausarbeitete, obwohl das „halbe Jahr“ noch lange nicht vorbei war. Wäre es in falsche Hände geraten, hätte Staudte den ersten deutschen Nachkriegsfilm nicht drehen können, wohl sogar nie wieder einen Film.

„Die Mörder sind unter uns“ war nicht nur die erste deutsche Produktion nach dem 8. Mai 1945, sondern eröffnete eine ganze Reihe von thematisch ähnlichen, vor dem Hintergrund der zertrümmerten Städte und besonders der in Berlins spielenden Filmen.

Heute weitgehend vergessenen, nur noch Filmhistorikern bekannte Arbeiten wie Gerhard Lamprechts „Irgendwo in Berlin“, Josef von Bákys „…und über uns der Himmel“ oder auch Robert A. Stemmles „Berliner Ballade“, von dem immerhin der Name der

Hauptfigur, gespielt vom spindeldürren Gert Fröbe, weiter geläufig ist: Otto Normalverbraucher.

Es sind tastende, von Selbstmitleid nicht immer freie Versuche, sich der eigenen Lage, der Verstrickung in die Verbrechen des NS-Staates bewusst zu werden, die Traumata der Vergangenheit halbwegs in den Griff zu bekommen.

Bei Staudte zum Beispiel, die Erinnerung an eine Massenerschießung von Zivilisten, die der Militärarzt Hans Mertens (Ernst Wilhelm Borchert) nicht verhindern konnte und deren tot geglaubten Urheber er nun im zertrümmerten Berlin als erfolgreichen, von keinerlei Schuldgefühl geplagten Geschäftsmann Ferdinand Brückner (Arno Paulsen) wiedertrifft.

Die Qualen seiner seelischen Verletzungen sucht Mertens mit Alkohol zu betäuben, auch die ehemalige junge KZ-Insassin Susanne Wallner (Hildegard Knef), zu der sich langsam eine Liebesbeziehung aufbaut, kann ihn daraus kaum befreien. Aber dann trifft er Brückner, der Gedanke der Rache keimt auf – das Leben scheint einen letzten Sinn zu bekommen.

Sofort nach Kriegsende begann Staudte das Drehbuch zu schreiben, gründete mit einer Lizenz der Briten, in deren Berliner Sektor er wohnte, eine Filmgesellschaft, stieß mit seinem Projekt bei den Westalliierten aber auf keine Gegenliebe – im Gegenteil.

Dreharbeiten in Mitte und Friedrichshain

Zuständig bei den Amerikanern war der deutschstämmige Schauspieler Peter Van Eyck, nun US-Kulturoffizier, überaus misstrauisch gegenüber Staudte, den er für einen Mitläufer hielt. In gebrochenem Deutsch habe er ihm zu verstehen gegeben, dass wir Deutschen Filme für die nächsten 20 Jahre vergessen könnten, schilderte Staudte die Begegnung.

Nur der russische Kulturoffizier, Major Dymschitz, im Zivilleben Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, habe sich interessiert gezeigt. Staudte durfte drehen, bei der am 17. Mai 1946 in den Babelsberger Althoff-Ateliers gegründeten Defa.

Begonnen hatten die Dreharbeiten schon am 16. März am selben Ort, mit Außenaufnahmen am Stettiner Bahnhof, dem heutigen Nordbahnhof, am Andreasplatz und an der Kleinen Andreasstraße in Friedrichshain, an der 1964 abgerissenen Petrikirche in Mitte, am Brandenburger Tor und am Reichstag.

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Es entstanden Bilder der Berliner Trümmerlandschaft, die eher an expressionistische Traditionen als an die Ufa-Ästhetik anknüpften. Die Uraufführung war am 15. Oktober 1946 in dem von der Staatsoper genutzten Admiralspalast in der Friedrichstraße, mit einem gegenüber dem Ur-Skript geändertem Schluss: „In meiner Originalgeschichte erschießt Mertens den Bruckner“, berichtete Staudte.

„Und da sagte der russische Kulturoffizier: Alles andere ist richtig; nur geht es nicht an, dass der Zuschauer am Schluss ermuntert wird, seinen privaten Rachekrieg zu führen. Wir werden ihn daran hindern, und vor allem werden wir Sie daran hindern, so eine Möglichkeit auch nur aufzuzeigen.“
Im Tagesspiegel wurde der Film von Friedrich Luft, schon damals den Rias-Hörern als „Stimme der Kritik“ bekannt, rezensiert, der viel Lobenswertes fand, doch einen „Beigeschmack des Filmisch-Artistischen“ kritisierte und letztlich nur ein „erstes Tasten nach einem wichtigen Thema“ sah. Die Zuschauer im Westen mussten noch lange warten, bis sie den Film zu sehen bekamen, am 10. April 1947 in Baden-Baden.

Billy Wilder drehte „Eine auswärtige Affäre“ kurz nach Kriegsende

Eine geringe Verspätung im Vergleich zu Billy Wilders „A Foreign Affair“ („Eine auswärtige Affäre“), bei dem zwischen US-Premiere und deutscher (Fernseh-)Erstaufführung fast 30 Jahre lagen. Und dabei ist es inzwischen der berühmteste Trümmerfilm, sogar mit eigenem, von Friedrich Hollaender geschriebenem Trümmersong: „In the Ruins of Berlin“.

Der Film beginnt mit Aufnahmen aus einer DC-3 auf die zerbombte Stadt, die einem Mitglied der anreisenden Kongressdelegation erscheint, „als ob Ratten an einem alten Roquefort genagt hätten“. Der Film entstand zwischen August 1947 und Februar 1948, mit Berliner Außendrehs ohne Schauspieler und Studioaufnahmen in Los Angeles. Die Luftaufnahmen aber stammten aus dem Herbst 1945.

Billy Wilder verzichtete für die Außenaufnahmen auf Schauspieler.
Billy Wilder verzichtete für die Außenaufnahmen auf Schauspieler.
© imago images/Everett Collection

Billy Wilder, als US-Filmbeauftragter in Berlin, hatte mit einem Kameramann Dokumentaraufnahmen der Trümmerwüste angefertigt. Damals entstand die Grundidee zum Film, niedergelegt in einem Memorandum „Propaganda durch Unterhaltung“ an die Militärbehörde.

Der Film sollte „die ganz einfache Geschichte eines GIs, der hier bei den Besatzungstruppen stationiert ist, und eines deutschen Fräuleins“ erzählen. Es sollte um „keinen fahnenschwingenden Helden oder einen theoretischen Apostel der Demokratie gehen“, vielmehr um „die Fraternisierung, das Heimweh und den Schwarzmarkt“. Der Plan blieb liegen, die Wendung hin zur schwarzen Komödie kam erst zwei Jahre später. Nun soll eine sittenstrenge Abgeordnete mit dem treffenden Namen Phoebe Frost (Jean Arthur) die Moral der US-Truppen in Berlin überprüfen, die man als sehr locker bezeichnen muss. Mindestens neun Monate müssen die US-Truppen schon in Berlin sein, wie eine Mutter am Kinderwagen demonstriert: Dort wehen gleich zwei „Stars and Stripes“.

Marlene Dietrich als Hitler-Gegnerin spielte eine Nazi-Frau

Auch der zur Unterstützung von Miss Frost abkommandierte Captain John Pringle (John Lund) fraternisiert aufs Innigste, und ausgerechnet mit der Sängerin Erika von Schlütow, der Geliebten eines untergetauchten hohen Nazis. Marlene Dietrich als deren Darstellerin zu gewinnen, war nicht einfach gewesen. Ausgerechnet sie als Hitler-Gegnerin sollte eine Nazi-Frau spielen?

Jean Arthur, John Lund und Marlene Dietrich standen nur in Kulissen. Fotos: picture-alliance, Imago images/Everett Collection (2)
Jean Arthur, John Lund und Marlene Dietrich standen nur in Kulissen. Fotos: picture-alliance, Imago images/Everett Collection (2)
© imago images/Everett Collection

Doch Wilder konnte ihre Bedenken zerstreuen: „Ich habe ihr dann klar gemacht, dass sie im Verlauf des Filmes das Stück Käse wird, mit der man die Maus, den Naziführer, fängt. Obwohl der Vergleich ungalant ist, hat sie das überzeugt.“

„A Foreign Affair“ ist für Dietrich-Biograf Werner Sudendorf, den ehemaligen Leiter der Sammlungen des Berliner Museums für Film und Fernsehen, „einer ihrer besten Nachkriegsfilme“. Schon wenn man nur die im Internet leicht zu findenden Gesangsszenen mit „In the Ruins of Berlin“ oder „Black Market“ sieht, wird man zustimmen.

Ein großer Erfolg war der Film, der Ende Juli 1948 in den USA Premiere hatte, trotz wohlwollender Kritiken dennoch nicht. Keineswegs die erwartete „verständnisvolle Komödie über das neue deutsch-amerikanische Verhältnis“ bekam das Publikum zu sehen, sondern „genau das Gegenteil“, befindet Sudendorf.

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„A Foreign Affair“ – das war viel eher eine Gesellschaftssatire über amerikanische Doppelmoral als eine Abrechnung mit den deutschen Verbrechen oder ein Lobpreisen der neuen transatlantischen Völkerfreundschaft. Im State Departement und in der US-Administration in Deutschland konnte man über den Film erst recht nicht lachen.

Ein Mitglied des „Screening Committees“ der Militärregierung in Berlin äußerte sich denn auch alles andere als amüsiert: „Wir fanden den Film geschmacklos, für den das sehr heikle Thema der Rehabilitierung Deutschlands nichts als ein Witz war.“ Dafür einen deutschen Verleih finden? Unmöglich.

Am Freitag, 8. Mai, läuft der Film „Die Mörder sind unter uns“ um 23.30 Uhr im RBB.

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