Wasserversorgung in der Hauptstadt: Wie mit Sprengstoff in Berlin alte Brunnen wiederbelebt werden
Der Nachschub an Trinkwasser für Berlin wird knapper. Mit ungewöhnlichen Methoden werden Brunnen erneuert und mit viel Geld die Klärwerke aufgerüstet.
Bitte mal alle Handys in den Flugmodus, ruft Christian Einert in die Runde, die im Wald hinter dem Strandbad Rahnsdorf um einen offenen Stahldeckel herumsteht. Durch die Funkwellen könnte der Sprengstoff, mit dem zwei Kollegen des Brunnenbaumeisters gerade hantieren, nämlich vorzeitig gezündet werden.
Der Sprengstoff steckt in einem pink umhüllten dünnen Kunststoffschlauch, den die Wasserwerker mit einer Zündschnur verbinden und in den Brunnen herunterlassen, der hier unter dem schon wieder knochentrockenen Waldboden Trinkwasser für Berlin fördert. Genauer: Uferfiltrat vom nahen Müggelsee, das allmählich zu den Brunnen sickert und auf seinem Weg durch den Boden gleich gereinigt wird, bevor es ins Wasserwerk Friedrichshagen – neben Tegel das größte der Stadt – gepumpt wird.
Nur liefert Brunnen C46 fast nichts mehr, obwohl erst elf Jahre alt. Es liegt am Glimmer im Boden, einem plättchenförmigen Mineral, das beim Ansaugen des Wassers in die Kiesfilter eindringt, die das Loch mit der Pumpe umgeben. Dabei verstopft es den Kies, sodass in diesem Fall – laut Brunnenbaumeister Einert ein außergewöhnlich schwerer – statt anfangs 85 Kubikmeter pro Stunde nur noch drei ankommen.
Damit können sich die Berliner Wasserbetriebe (BWB) nicht abfinden. Nicht mehr, da sich gerade der vierte Dürresommer in Folge anbahnt und der Wasserbedarf der Stadt nach jahrelangem Rückgang wieder steigt.
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Die Zündschnur ist jetzt verbunden, der Schlauch mit dem Sprengstoff unten angekommen. 42 Meter ist der Brunnen tief, die unteren 17 davon bildet der verstopfte Kiesfilter. „Drei-zwei-eins-Zündung!“ Es gibt einen Klick, auf den sogleich ein dumpfes Bumm folgt, das oben als leichter Hammerschlag gegen die Fußsohlen ankommt. Der Klick war der Zündfunke, den die Männer nach unten geschossen haben, das Bumm war der Sprengstoff.
Nitropenta, heute früh frisch abgeholt gegen Quittung am Sprengplatz Grunewald. Nichts, was man über Nacht im Auto liegen lässt. Und die Zündung sei eine nichtelektrische gewesen, erklärt Einert. Nebenan fährt nämlich die Straßenbahn, die ebenfalls zündfähigen Elektrosmog verbreiten kann.
Während die Wasserwerker mit einem Sieb die detonierten Reste des pinkfarbenen Schlauches aus dem Brunnen angeln, erklärt der an diesem Montagmorgen ebenfalls nach Köpenick gereiste BWB- Vorstandschef Jörg Simon die Lage der Dinge. Die ist so, dass nach Rücksprache mit den Wasserversorgern im Umland ein „Resilienzkonzept“ für die Versorgung der wachsenden Hauptstadt in Zeiten des Klimawandels erarbeitet wurde.
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Rund 112 Millionen Euro würden als Konsequenz in den nächsten fünf Jahren in die Sicherheit der Trinkwasserversorgung investiert. Die Wiederbelebung gealterter Brunnen mit Sprengstoff gehört ebenso dazu wie die Reaktivierung des Wasserwerks Johannisthal und der Bau eines Zwischenpumpwerks in Lindenberg mit einem 68.000-Kubikmeter-Behälter.
Am Wasserwerk Friedrichshagen hängen 225 der stadtweit rund 600 aktiven BWB-Brunnen; ein paar mehr ließen sich noch in Grünau und südlich der Müggelberge aktivieren, sagt Werksleiterin Elke Wittstock. Sie hat hier auch mit der Sulfatbelastung der Spree zu tun, die zeitweise höher ist als der gesetzliche Grenzwert fürs Trinkwasser. Da das Spreewasser nicht direkt verwendet wird und die Belastung zuletzt wieder etwas gesunken ist, werde der Grenzwert von 250 Milligramm Sulfat pro Liter Wasser jetzt wieder deutlich unterschritten.
Am Brunnen C43 rumort es jetzt, da die Sprengmeister eine Pumpe heruntergelassen haben zur Erfolgskontrolle. Das Wasser, das oben ankommt, ist schon wieder völlig klar, aber riecht ein bisschen nach Silvesternacht, wenn man die Nase darüber hält. „Die Wassersäule steht sieben Meter höher als vorher“, berichtet Einert zufrieden, die Fördermenge sei von drei auf gut zehn Kubikmeter pro Stunde gestiegen. Mit einer zweiten Sprengung plus Entsandung später am Tag wollen sie noch deutlich mehr schaffen.
Simon, der die Wasserbetriebe zum Monatsende in Richtung Flughafen-Aufsichtsrat verlässt, prophezeit „Zeiten, die nicht ganz unproblematisch werden“. Die Tesla-Fabrik, die nicht weit von hier nahe der Spree errichtet wird, hält er für unproblematisch: Ihr Wasserbedarf sei gemessen am Durchsatz der BWB sehr überschaubar und das Abwasser lande nach lokaler Vorbehandlung im Klärwerk Münchehofe, aus dem es gereinigt in die Spree zurückfließt.
Und von der, wenn im Sommer mal wieder der Nachschub ausbleibt, ein Stück zurück in den Müggelsee, also Richtung Wasserwerk. „Was wir von den Kläranlagen in die Gewässer lassen, hat bald fast Trinkwasserqualität“, sagt Simon. Wobei „bald fast“ bedeutet, dass die Wasserbetriebe auch ihre Klärwerke modernisieren müssen – bis 2030 für mehr als eine Milliarde Euro.