Nach schwerem Unfall am Ku'damm: Wie lässt sich das Rasen in Berlin verhindern?
Wieder gab es auf dem Ku’damm einen schweren Unfall. Politiker und Experten machen Vorschläge, um Raser zu stoppen – von Strafen bis zu Straßensperrungen.
Nach dem Raser-Unfall auf dem Ku’damm mit zwei Schwerverletzten am späten Montagabend drängen Experten und Politiker auf bessere Gesetze und mehr Kontrollen, um Profilierungsfahrten und illegale Autorennen zu verhindern.
Reinhard Naumann (SPD), Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, fordert Blitzer auf Kurfürstendamm und Tauentzienstraße. Das hält auch Grünen-Verkehrsexperte Harald Moritz für eine gute Idee. Fahrzeuge von Rasern und Posern müssten noch konsequenter eingezogen werden, sagt der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Oliver Friedrici.
Wie die Polizei am Montag mitteilte, wurden eine 45-Jährige und ihre 17-jährige Tochter wahrscheinlich Opfer eines illegalen Autorennens. Zeugenaussagen zufolge soll der unbekannte Fahrer des BMW, der mit dem Ford der beiden Frauen kollidierte, mit zwei weiteren Fahrzeugen über den Ku’damm gerast sein.
An der Kreuzung Lehniner Platz stieß er um 21.20 Uhr mit dem Ford zusammen, der in Richtung Brandenburgische Straße unterwegs war und sich zum Linksabbiegen auf der Kreuzung eingeordnet hatte. Ob der BMW so schnell fuhr, dass die Fahrerin ihn zu spät sah, stand zunächst nicht fest.
Der Wagen der beiden Opfer kippte auf die Seite, Trümmerteile trafen Passanten. Die Mutter wurde lebensgefährlich verletzt und musste vor Ort reanimiert werden, ihre Tochter ist schwer verletzt. Der BMW prallte gegen drei weitere Autos, insgesamt wurden acht Fahrzeuge beschädigt.
Der Fahrer und mögliche weitere Insassen des BMW flüchteten zu Fuß. Nach Zeugenaussagen fuhren die anderen beiden Fahrer der möglicherweise beteiligten Autos davon.
Polizei hat Raser-Kontrollen massiv ausgeweitet
Der Ku’damm stand 2018 auf Platz 1 der „Top-5-Tatörtlichkeiten“ bei verbotenen Rennen in der Unfallstatistik der Polizei. 2019 rückte die parallel verlaufende Kantstraße in die Top 5 auf. Vermutlich seien die Raser in die benachbarte Straße verdrängt worden, hieß es. Im Frühsommer sind zwei Fahrspuren der Kantstraße zugunsten von Radfahrstreifen weggefallen, seitdem sind dort keine Rennen mehr möglich.
Nach dem tödlichen Unfall in der Tauentzienstraße im Jahr 2016, bei dem ein Mensch starb, hat die Polizei ihre Kontrollen auf dem Ku’damm massiv verstärkt. Zwar hatte es mehrere schwere Raserunfälle dort gegeben, erstmals war aber ein Fahrer wegen Mordes verurteilt worden, der Unfall schreibt seitdem deutsche Rechtsgeschichte. Und auch der Abschnitt über „Verbotene Kfz-Rennen“ ist erst deshalb in die jährliche Unfallbilanz aufgenommen worden. Das Rennen hatte damals am Adenauerplatz begonnen.
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Der Abschnitt des Kurfürstendamms, Höhe Schaubühne, wo der jüngste Unfall geschah, ist bei Rasern beliebt, da es zwischen Nestorstraße und Adenauerplatz keine Ampeln gibt, also 500 Meter „freie Bahn“. Einen Blitzer gibt es nicht auf dem Straßenzug, auch wenn vor vielen Jahren bei einer Umfrage des Polizeipräsidiums der Kurfürstendamm auf Platz 1 der Blitzer-Wunschliste stand.
Wie also gegen Raser vorgehen? Der SPD-Politiker Daniel Buchholz plädiert dafür, bei schweren Raserdelikten den Führerschein dauerhaft zu entziehen. „Wer dazu nicht geeignet ist, sollte kein Auto mehr fahren dürfen.“
Unfallforscher: Keine Privatautos mehr auf dem Ku'damm
Einen radikalen Vorschlag machte Unfallforscher Siegfried Brockmann, nämlich die Sperrung für Privatautos. „Nur Busse, Fahrräder und Lieferverkehr“, sagte der Leiter der Unfallforschung der Versicherer dem Tagesspiegel. Ein Tempolimit würde nicht helfen, sagte Brockmann, das wäre „lächerlich“. Auch die Verschärfung der Strafen für illegale Kfz-Rennen habe nicht zu einer Beruhigung geführt.
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„Für junge Männer ist das Thema Auto zu wichtig“, sagte der Forscher, „schärfere Strafen haben keine präventive Wirkung.“ Auch die BVG ist gegen ein Tempolimit. „Dann würden die Busse im Stau stehen“, sagte Sprecherin Petra Nelken. Bauliche Veränderungen zur Reduzierung des Tempos, zum Beispiel durch Kissen auf der Fahrbahn, würden vor allem die Busse treffen. Und die Rettungswagen der Feuerwehr sowie die Polizei behindern, erklärt die Senatsverkehrsverwaltung.
Brockmann lobte die vielen Kontrollen der Polizei, schlug aber nach Kölner Vorbild eine eigene Polizeistaffel für solche Delikte vor. In Köln wurde 2016 eine „Ermittlungsgruppe Raser“ gegründet – nachdem der Sohn des Bürgermeisters durch einen Raser getötet worden war. Diese Einheit könnte die Szene besser im Blick haben, sagte Brockmann, denn „die Dunkelziffer dürfte gigantisch sein“. Erfasst würden Rennen meist nur nach einem Unfall, „ansonsten sind sie nach 30 Sekunden vorbei“.
1500 Ermittlungsverfahren gegen Raser seit 2017
Eine klar abgrenzbare „Raserszene“ gebe es in Berlin nicht, sagt der für illegale Autorennen zuständige Oberamtsanwalt Andreas Winkelmann, was die Arbeit der Ermittler erschwert. Rennen würden meist „spontan“ verabredet, mit einem kurzen Blick zum Fahrer nebenan. Die verstärkten Kontrollen durch die Polizei hält Winkelmann für ausreichend, immerhin seien seit Oktober 2017 – damals wurde ein neuer Straftatbestand für Autorennen geschaffen – rund 1500 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
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Winkelmann schlägt etwa einen „Stufenführerschein“ vor. Dabei könnte bis zu einer bestimmten Altersgrenze die maximal erlaubte PS-Zahl auf 100 reduziert werden. Auch die Abgabe von Mietwagen an junge Autofahrer könnte an ein Null-Punkte-Konto in Flensburg oder ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis geknüpft werden.
Viele Mietwagen würden allerdings unerlaubterweise im Familien- oder Freundeskreis weitergegeben. Ginge es nach ihm, gäbe es die hochmotorisierten Autos gar nicht. „Eine Leistung von 600 PS – welchen Sinn macht das? Solche Rennwagen haben auf öffentlichen Straßen nichts zu suchen.“
Grüne und CDU uneins über den Umbau von Straßen
Benedikt Lux, Innenexperte der Grünen, wünscht sich eine höhere Polizeipräsenz und mehr Schwerpunktkontrollen gegen Raser. Langfristig werde auch der Umbau der Infrastruktur weg von der autogerechten Stadt helfen.
Oliver Friederici von der CDU glaubt, dass nur eine "Verstetigung" der Polizeiarbeit und härtere Strafen helfen werden. Wer in der Stadt mit Tempo 120 unterwegs sei, handele mit Vorsatz und begehe eine Straftat. Das Tempo mit Schwellen oder Schikanen zu reduzieren, hält er für den falschen Weg. "Das bestraft alle anderen, die sich ordentlich verhalten."