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Die Bahn kommt. Aber wann? Künstliche Intelligenz kann bei komplexen logistischen Prozessen eingesetzt werden. Das gilt nicht nur für Verwaltungen.
© dpa/Boris Roessler

Innovationen in der Verwaltung: Wie Künstliche Intelligenz den öffentlichen Sektor umkrempeln könnte

Die öffentliche Verwaltung wirkt oft wie aus der Zeit gefallen – wie sich das mit intelligenter Software schnell ändern ließe.

Wer von Künstlicher Intelligenz (KI) hört, denkt an Roboter oder Science-Fiction. Vielleicht an vollautomatische Fabrikhallen oder Sprachassistenten wie Alexa, die bereits im Alltag vieler Menschen angekommen sind.

Beamte, Behörden und Amtsstuben kommen den meisten Bürgern nicht als erstes in den Sinn. Vor allem in Deutschland, das laut Auswertungen der Europäischen Kommission nur mehr vor Bulgarien, Ungarn, Griechenland und Rumänien in Europa liegt, was digitale Verwaltungsleistungen betrifft.

Dabei ist gerade die Frage, wie sich Staaten im digitalen Zeitalter neu erfinden müssen, damit sie funktionsfähig bleiben, eine der drängendsten Fragen der Gegenwart. Wie kommt die öffentliche Verwaltung weg von der Zettelwirtschaft hin zu digitalen Leistungen? Und wie kann sichergestellt werden, dass der Unterschied von dem, was Bürger privat gewohnt sind und im öffentlichen Sektor warten lässt, nicht zu groß wird?

Während große Tech-Unternehmen oder Staaten wie China voll auf die Entwicklung Künstlicher Intelligenz setzen, tut sich Deutschland bisher schwer damit, seine Behörden zu digitalisieren. Einerseits fehlt manchmal das Know-how, andererseits herrscht oft Skepsis.

KI sorgt oft für Misstrauen

„Die Leute sind stark vorgeprägt“, erklärt Basanta Thapa. Der Forscher arbeitet beim Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) und beschäftigt sich mit öffentlicher Verwaltung und Digitalisierung. Ihn ärgert es, dass KI bei vielen Menschen negative Assoziationen weckt oder Misstrauen hervorruft. Künstliche Intelligenz muss nicht zwangsläufig in einen modernen Überwachungsstaat wie in China münden. Wo und wie Technik eingesetzt wird, sei schließlich eine politische und keine technische Frage.

Oft wissen Bürger und Beamte gar nicht, was der Begriff bedeutet. „Derzeit meinen wir damit technisch vor allem Maschinelles Lernen, also Algorithmen, die aus bestehenden Daten Entscheidungsmuster lernen, die sie auf weitere Fälle anwenden können“, erklärt Thapa. Viel hängt dabei davon ab, wie gut die Trainingsdaten sind, mit denen KI lernt.

Mit digitalen Beamten chatten

Die Anwendungsgebiete sind vielfältig. Die österreichische Hauptstadt Wien, die in vielen internationalen Digitalrankings vorne liegt, hat so etwas wie einen Smartphone-Beamten entwickelt. Wo ist die nächste Straßenbahnstation? Welche Veranstaltungen finden heute in meiner Nähe statt? Wo und wie kann ich einen Reisepass beantragen? „Servus! Wie kann ich helfen“, der sogenannte WienBot, beantwortet den Wienerinnen und Wienern viele Fragen. Sie müssen sie nur in ihr Mobiltelefon tippen oder eine Sprachnachricht aufnehmen. Mails oder Telefonate sind überflüssig. Die App lernt dabei mit jeder Konversation, kann jetzt schon in hunderten Themengebieten Antworten geben und funktioniert seit Kurzem auch auf Englisch.

Anders als Sprachassistenten wie Alexa oder Siri versteht sie Wiener Dialekt. Mehr als 20.000 Bürger nutzen den digitalen Verwaltungsdienst bereits. Ansätze eines solchen kommunalen Chatbots gibt es auch in Berlin mit der browserbasierten Lösung „Bobbi“. Im Vergleich zum Wiener KI-Beamten steckt Bobbi allerdings noch in den Kinderschuhen.

Deutsche Behörden nur selten Vorreiterinnen

Das lässt sich auch auf die deutsche Gesamtsituation übertragen, vor allem im Vergleich zu europäischen Vorreitern wie Dänemark und Estland. Der große Wurf blieb bisher aus, viele erwarten sich Besserung durch das Onlinezugangsgesetz (OZG), das vorsieht, dass hunderte Verwaltungsleistungen bis 2022 digitalisiert werden. „Chancen Künstlicher Intelligenz werden auch auf sozialem und gesellschaftspolitischem Gebiet, vor allem als Ergänzung zum direkten zwischenmenschlichen Kontakt, gesehen“, heißt es aus dem Bundesinnenministerium (BMI), das für die Bundesverwaltung zuständig ist.

Vereinzelt ist intelligente Software in Deutschlands Behörden schon im Einsatz. So nutzt das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) Software, die erstmals tagesaktuell und vollautomatisch Prognosen für das Bruttoinlandsprodukt berechnet. Dafür verknüpft sie aktuell verfügbare Daten über die Wirtschaftslage und spuckt einen Echtzeitindikator aus, der menschlichen Experten als Orientierung dient. Ein anderes Beispiel ist das Landesverwaltungsamt Berlins. Dort überwacht eine intelligente Software des US-Konzerns IBM den Zahlungsverkehr. Kommt es zu Auffälligkeiten, schlägt das System Alarm.

Für ÖFIT-Forscher Thapa zeigt sich hier das naheliegendste Potenzial von KI: „Das Erkennen von Mustern in großen Datenmengen, die der Mensch nicht greifen kann.“ So könnte Künstliche Intelligenz etwa auch mit alten Bau- oder Wohngeldanträgen angelernt werden. Aus dem Vergleich von negativen und positiven Bescheiden kann intelligente Software dann vorab Aussagen darüber treffen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der gestellte Antrag angenommen wird oder nicht. Bürger könnten dann entscheiden, ob sie den Antrag überhaupt stellen wollen.

Risiken bleiben nicht aus

Der Einsatz von KI kann allerdings auch Schattenseiten haben. Thapa nennt ein weiteres Beispiel aus Österreich: Das dortige Pendant zur Bundesagentur für Arbeit – das Arbeitsmarktservice (AMS) – entwickelte einen Algorithmus, der arbeitslose Menschen je nach Arbeitsmarktchancen in drei Kategorien einteilt. Der Vorteil: Beratungsressourcen sollen effizient eingesetzt werden. Der Nachteil: Kritiker vermuten Diskriminierung. So räumt der österreichische Algorithmus etwa Frauen niedrigere Chancen ein, was zu Leistungskürzungen führen könnte.

Die Frage, die sich bei solchen Fällen laut Thapa stelle: „Haben es Beamte zuvor nicht schon genauso gemacht oder gibt es durch Algorithmen und KI plötzlich eine neue Situation?“ Das ist ein grundsätzliches Problem. Vor allem bei Künstlicher Intelligenz, die selbstständig aus Daten der Vergangenheit lernt und nicht nur stumpf Regeln anwendet. Dabei kann eine „Blackbox“ entstehen und Entscheidungen nicht mehr transparent nachvollziehbar sein. Bis es in der Praxis dazu kommen sollte, wird in Deutschland noch einige Zeit vergehen. Bevor KI entscheidet, muss erst die Liebe zum Papier erlöschen.

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