Immobilienkonzerne in Berlin: Wie hoch wäre der (politische) Preis der Enteignung?
Der Senat könnte Immobilienkonzerne wie die Deutsche Wohnen vermutlich deutlich unter dem Verkehrswert entschädigen.
Wäre es für das Land Berlin finanziell verkraftbar, die Deutsche Wohnen und andere Immobilienkonzerne zu enteignen? Spätestens Anfang Februar werde die Innenverwaltung des Senats eine Kostenschätzung veröffentlichen, teilte ein Sprecher der Behörde auf Anfrage mit. Fachlich zuständig für die Berechnung ist die Stadtentwicklungsverwaltung. Bis dahin will auch die Initiative, die ein Volksbegehren zu „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ vorbereitet, ihre eigene Bewertungsmethode erarbeiten.
„Unsere Grundlage für eine seriöse Bewertung der Wohnungsbestände ist das deutsche Bewertungsgesetz“, sagte der Sprecher der Initiative, Rouzbeh Taheri, dem Tagesspiegel. Aus seiner Sicht ist es realistisch, sich an den Kaufpreisen für Bestände der städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu orientieren. Deren Wohnungen seien auch gut vergleichbar mit dem Mietwohnungsbestand der Deutschen Wohnen in Berlin. Taheri wirft dem Konzern vor, das eigene Portfolio systematisch überzubewerten.
Nach angelsächsischem Recht (Fair Value Verfahren), das von der Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin angewendet werde, sei dies möglich. „Das führt zu absurd hohen Bewertungen der Wohnungen, mindestens doppelt so hoch wie bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen.“
Entschädigungssumme von etwa 33 Milliarden Euro
Eine Modellrechnung, die von der durchschnittlichen Wohnungsgröße in Berlin – rund 72 Quadratmeter – und den aktuellen Marktpreisen für Eigentumswohnungen dieser Größe von rund 4.000 Euro je Quadratmeter ausgehen, lässt Taheri auch nicht gelten. In diesem Fall käme man bei fast 115.000 Wohnungen, die Deutsche Wohnen in der Stadt hält, auf eine Entschädigungssumme von etwa 33 Milliarden Euro. Andere Immobilienunternehmen, die von einer Kommunalisierung ihrer Bestände ebenfalls betroffen sein könnten, nicht eingerechnet. „Das sind spekulative, viel zu hoch gegriffene Zahlen“, so Taheri.
Die Initiative geht stattdessen davon aus, dass der Senat bei einer Vergesellschaftung von Immobilienfirmen nach Artikel 15 Grundgesetz „hinreichende fiskalische Spielräume hat, deutlich unter dem Verkehrswert zu entschädigen“. Eine Arbeitsgruppe, an der ein Verwaltungs- und ein Staatsrechtler beteiligt waren, hat zu den verfassungsjuristischen Grundlagen von Enteignungen ein vierseitiges Papier verfasst, das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Verfasser beziehen sich hauptsächlich auf den Artikel 15, in dem es heißt: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Also müsse der Berliner Gesetzgeber die Entschädigung in einem Landesgesetz regeln, steht in der Expertise. Auch unter Berücksichtigung von Artikel 14 des Grundgesetzes, der eine Entschädigung „unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten“ vorsieht. Die Einschätzung, dass man sich dabei im Regelfall am Verkehrswert der verstaatlichten Güter orientieren müsse, sei in der deutschen Rechtsliteratur allerdings eine „absolute Mindermeinung“.
Weite Spielräume
Die Mehrheitsmeinung gehe, so die Juristen der Volksbegehrensinitiative, vom „Billigkeitscharakter“ der Entschädigung aus. Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der das natürliche Gerechtigkeitsempfinden anspricht. Zumindest sehe die vorwiegende Rechtsmeinung „weite Spielräume bei der Interessenabwägung“.
Für diese Auffassung spreche die historische Auslegung, schreiben die Verfasser des Papiers. Im Parlamentarischen Rat, der 1948/49 das Grundgesetz formuliert hatte, sei im Zusammenhang mit einer möglichen Bodenreform auf solche großen Spielräume hingewiesen worden. Vor diesem Hintergrund habe das Bundesverfassungsgericht 1968 ausgeführt, dass eine „starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung dem Grundgesetz fremd ist“. Es treffe nicht zu, heißt es im Urteil, dass den Enteigneten durch die Entschädigung das „volle Äquivalent für das Genommene gegeben werden muss“.
Nach Einschätzung der Initiative müsste bei der Festlegung der Entschädigung auch berücksichtigt werden, „dass der Löwenanteil des Wohnungsbestands von Unternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia früher im öffentlichen Eigentum stand und unter sozial, politisch und wirtschaftlich bedenklichen Gesichtspunkten unter dem damaligen Verkehrswert an private Investoren verkauft wurde, um Haushaltslöcher zu stopfen“.
Unter Gesichtspunkten der Billigkeit falle auch dies ins Gewicht. Die Einschätzung der eigenen Juristen fasst Taheri so zusammen: „Für die Entschädigung ist ein politischer Preis möglich.“ Die Juristen der Initiative räumen aber ein, dass der Artikel 15 des Grundgesetzes seit 1949 keine Rolle gespielt habe und es in der Bundesrepublik nie zu Vergesellschaftungen auf dieser Basis gekommen sei. Trotzdem sei das Grundgesetz wirtschaftspolitisch neutral und daher offen für „marktalternative gemeinwirtschaftliche Wirtschaftsformen“. Klar ist aber auch: Die Enteigneten können vor Gericht klagen.
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