Bildung in Brandenburg: Wie geflüchtete Lehrer an deutschen Schulen Fuß fassen
Vor kaum drei Jahren flüchtete Alaa Kassab aus Aleppo, nun unterrichtet sie Englisch in Geltow. Dabei half ihr ein Programm der Uni Potsdam.
Der Unterricht beginnt mit wackelnden Händen. „Stand up, shake your hands“, ruft Alaa Kassab ihren Schülern zu. Rund 20 Erstklässler in der Geltower Meusebach-Grundschule schütteln sich in alle Richtungen. Es ist eine der ersten Englischstunden der vor wenigen Wochen eingeschulten Kinder. „What colour do you like?“, fragt Kassab. Die Zeigefinger schnellen in die Höhe, jeder will seine Lieblingsfarbe zum Besten geben oder ein rotes, grünes oder gelbes Pappschild an die Tafel hängen.
Auch für die Lehrerin Alaa Kassab ist es noch neu, allein vor der Klasse zu stehen: Sie stammt aus Syrien, flüchtete vor knapp drei Jahren aus Aleppo nach Deutschland. Seit einem Jahr ist sie Assistenzlehrerin an der Geltower Grundschule, seit Beginn dieses Schuljahres hat sie ihren eigenen Kurs. Darauf ist die junge Frau stolz – denn ihr Weg ist alles andere als selbstverständlich.
Andere Unis planen ähnliche Projekte
Die 25-Jährige, die mit ihrem deutschen Freund in Potsdam-West wohnt, gehört zum ersten Jahrgang des Programms „Refugee Teachers Welcome“ der Universität Potsdam, die damit im April 2016 begann.
Es sorgte als erstes seiner Art bundesweit für Aufmerksamkeit: Flüchtlinge, die schon im Herkunftsland als Lehrer gearbeitet hatten, werden in eineinhalb Jahren – inklusive Intensiv-Deutschkurs – so geschult, dass sie in Brandenburgs Schulen lehren können. Zunächst sollen sie dort hospitieren, dann zunehmend selbst unterrichten. Drei Jahrgänge wurden bisher verabschiedet, der vierte läuft und im Sommersemester 2019 soll erneut eine Gruppe starten. „Wir haben schon über 100 Interessenten auf der Warteliste“ – bevor überhaupt die offizielle Bewerbungsfrist begonnen hat – sagt Miriam Vock, Professorin und Koordinatorin des Programms an der Universität. Mittlerweile haben mehrere deutsche Universitäten ähnliche Programme aufgelegt.
An Elterngespräche musste sie sich erst gewöhnen
Ein „doppelter Gewinn“, so hatte Brandenburgs Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD) das Programm bei Alaa Kassabs Diplomverleihung vor einem Jahr genannt. Denn Brandenburg sucht händeringend Lehrer – zugleich können die Geflüchteten so schnell wieder ihren Beruf ausüben. Dazu könnten die Absolventen, so erwartete Münch damals, eine Brückenfunktion zu geflüchteten Kindern einnehmen. Das habe sich auch bei vielen Absolventen bewahrheitet, sagt Miriam Vock. „Bei vielen klappt diese Vermittlerfunktion sehr gut, sie können etwa bei sprachlichen Problemen übersetzen oder in Willkommensklassen helfen“, erklärt sie.
Diese Funktion fällt für Alaa Kassab in Geltow weg: An der Meusebach-Grundschule gibt es keine geflüchteten Kinder. „Ich bin die einzige Geflüchtete an der ganzen Schule“, sagt sie. Trotzdem fühlt sie sich wohl hier: „Ich bin so voll im deutschen Schulsystem.“ Denn das gehört, neben der Sprache, zu den größten Hürden auf ihrem Weg. „Meine Kollegen sind in Deutschland aufgewachsen und selbst zur Schule gegangen. Für sie ist vieles selbstverständlich, was ich erst lernen muss“, erklärt sie in flüssigem, fast fehler- und akzentfreiem Deutsch. Wie Elterngespräche ablaufen etwa oder Konferenzen. „Da fühle ich mich immer noch manchmal fremd“, gibt sie zu. Aber die kleine Schule und die aufgeschlossenen Kollegen hätten es ihr leichtgemacht, sich trotzdem schnell zu integrieren.
"Kinder sind überall Kinder"
Mit den Kindern selbst aber, da gebe es keine Probleme. Schon in Syrien unterrichtete sie drei Jahre Englisch für Kindergarten- und Grundschulkinder. „Kinder sind überall Kinder“, sagt sie. Ja, es gebe Unterschiede – durch mehr Freiheiten seien die Kleinen hier lockerer. In Syrien sei es strenger in der Schule, es gebe viel mehr Verbote. „Ich musste mich daran gewöhnen, aber ich finde das gut hier“, sagt Alaa Kassab.
In der Tat merkt man im Unterricht, dass sie sich wohlfühlt mit ihren Schülern. Fröhlich lässt sie die Kinder die Augen schließen, die bunten Schilder an der Tafel werden zum Ratespiel. Selbst die nervösen Stuhlkippler, die es wohl in jeder Grundschulklasse gibt, sind da wieder bei der Sache.
„Ich mag Frau Kassab“, sagt Pauline nach der Stunde: „Weil wir mit ihr englische Lieder hören und singen.“ Laura pflichtet ihr bei: „In jeder Stunde lernen wir neue Wörter, das macht Spaß.“ Die Kinder seien oft neugierig, sagt Alaa Kassab, wenn sie erfahren, dass sie aus Syrien kommt. Im letzten Jahr hätten ihr gerade die älteren Grundschüler viele Fragen gestellt, zu ihrer Familie, zur Flucht, zur arabischen Sprache und Schrift.
Nach zwei Jahren muss sie sich auf normalem Weg bewerben
Sie selbst, sagt sie, denkt nicht mehr oft an die mehrwöchige Flucht, die sie unter anderem über den Libanon, die Türkei und Griechenland führte. „Das ist weit weg“, sagt sie. Ja, ihre Eltern, ihre Familie sind weit weg, man kommuniziert nur per WhatsApp. „Aber man lebt weiter“, sagt sie. Ihre Schwester konnte sie vor kurzem nachholen, das mache es leichter.
Die junge Lehrerin schaut lieber nach vorne, belegt einen Zusatzdeutschkurs und will vielleicht noch ein zweites Fach neben Englisch studieren. Denn wie es nach dem Schuljahr weitergeht, weiß sie noch nicht. Zwei Jahre werden die Absolventen nach dem Abschluss aus Sondermitteln des Landes beschäftigt, dann müssen sie sich über den normalen Weg bewerben. Auch wenn die Unsicherheit sie belastet, Alaa Kassab ist sich sicher: „Wir werden gebraucht.“
Sandra Calvez