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Drohung. Diese gilt André Stahl aus Bernau. So was ist derzeit auch in Berlin Alltag.
© dpa

Patronen und Hassbriefe: Wie Flüchtlingshelfer und Politiker in Berlin bedroht werden

Die Zunahme von Hasstaten lässt sich nur fühlen, aber nicht mit Zahlen belegen. Polizei und Justiz verfolgen sie nach eigenen Angaben konsequent.

Die Frau dachte sich wohl nicht allzu viel dabei, als sie auf Facebook Hasskommentare hinterließ wie „Weg mit dem Dreck!!“ oder „Wer sich nicht benimmt, fliegt!! Wenn der Staat das nicht kapiert, dann werden noch viel mehr Asylheime brennen, hoffentlich dann mit vernagelten Türen!“

Doch jetzt wurde sie vom Amtsgericht zu fünf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, wie die Staatsanwaltschaft bestätigte. Offenbar wusste sie kaum, wie ihr geschah. Ein solcher Weckruf ereilt allerdings nicht viele der Verfasser von Hasskommentaren und Drohungen. Die meisten Fälle werden eingestellt. Derzeit scheint es eine Steigerung solcher Taten zu geben – jedoch keine Zahlen, die das belegen.

Nicht nur Politiker, auch Ehrenamtliche, die in ihrer Freizeit Flüchtlingen helfen, sind Ziel von Beschimpfungen und Drohungen. Jüngstes Opfer ist, wie berichtet, der Bürgermeister von Bernau, André Stahl. Auf der Außenwand einer Lagerhalle in Bernau steht aufgesprüht der Schriftzug „erst Henriette Reker, dann André Stahl“. Die Kölner Politikerin Reker war in der vergangenen Woche bei einem Attentat schwer verletzt worden.

Ingo Heese, Sprecher der Brandenburger Polizeidirektion Ost, bestätigte die Morddrohung gegen den Linke-Politiker, bezeichnete sie aber als Einzelfall. Ermittelt werde nicht nur wegen Sachbeschädigung, sondern auch wegen Androhung einer schweren Straftat.

Volksverhetzung, Bedrohung, Beleidigung, Ankündigen einer Straftat

Das ist bereits ein Fortschritt, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (mbr). „Drohungen an Hauswänden werden manchmal nur als Sachbeschädigungen verfolgt“, sagte Klose. Das sei zu wenig. Auch die Hetzaufrufe in sozialen Medien seien von den Strafverfolgungsbehörden viel zu lange nicht als konkrete Gefährdung angesehen worden.

Zum Beispiel seien die Ehrenamtlichen von „Hellersdorf hilft“ oft Ziel von Morddrohungen gewesen, die auf Facebook geäußert worden seien. Irgendwann wurde es dann aber konkreter, fast wie im Mafia-Film: Die Mitarbeiter von „Hellersdorf hilft“ fanden im Juli fünf scharfe Patronen, sauber vor ihrem Treffpunkt aufgereiht.

Konkrete Zahlen haben die Strafverfolgungsbehörden nicht. Er habe schon das Gefühl, dass derartige Taten sich häuften, sagt der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner. Belegen könne er das aber nicht. Die Fälle würden nicht gezählt; es gehe auch um unterschiedliche Straftatbestände. Meist werde wegen Volksverhetzung ermittelt, aber es gebe auch Beleidigung, Bedrohung oder Ankündigen einer Straftat.

Die Polizei erfasst die Taten nicht separat

Auch die Polizei hat keine Zahlen, da Taten gegen Politiker und Flüchtlingshelfer nicht separat erfasst würden. Zuständig ist der Staatsschutz. „Die Polizei reagiert auf Bedrohungen und Beleidigungen zum Nachteil von Unterstützern von Hilfsorganisationen für Flüchtlinge sehr sensibel“, teilte Polizeisprecher Michael Merkle mit.

Es habe im Zusammenhang mit den jüngsten Eröffnungen von Unterkünften Beleidigungen und Bedrohungen gegeben. Zum Beispiel am 9. September, als ein Tatverdächtiger aus der rechten Szene drei Unterstützer der Flüchtlinge durch Gesten bedrohte. „Wer bedroht wird, kann sich an die Polizei wenden“, sagt Merkle. Die Grünen-Politikerin Canan Bayram erhält öfter Hasspost. „Ich habe im Moment drei Verfahren laufen, zwei weitere wurden eingestellt“, sagt Bayram. Sie sortiere die Äußerungen. Was schlecht geschrieben sei, komme in den Müll. Wenn es strafrechtliche Inhalte gebe, so erstatte sie Anzeige.

„Der beste Schutz ist Solidarität“, sagt Bianca Klose vom mbr. „Je mehr Menschen es sind, desto schwieriger wird es für Rechtsextremisten, sich auf einzelne einzuschießen.“ Speziell die Ehrenamtlichen würden vom Staat weniger geschützt als Politiker. Für sie sei Solidarität besonders wichtig.

Fatina Keilani

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