Wachsende Hauptstadt: Wie fit ist Berlins Gesundheitswesen?
Es gibt immer mehr Berliner – daher sind Notaufnahmen der Krankenhäuser überlastet, Kreißsäle voll, und es fehlen Ärzte. Am Montag will die Opposition bei Gesundheitssenatorin Dilek Kolat nachfragen.
Nach vier Monaten im neuen Amt muss Dilek Kolat (SPD) erstmals ihre Gesundheitspolitik verteidigen. Die Senatorin wird sich im Abgeordnetenhaus zur geplanten Schließung einer Klinik am Zoo, den überlasteten Gesundheitsämtern und den knappen Investitionen in die Krankenhäuser äußern: Im Gesundheitsausschuss wollen dazu an diesem Montag alle Fraktionen sprechen.
„Dabei bräuchte es eigentlich keine erneute Anhörung zu den Gesundheitsämtern“, sagte Gottfried Ludewig, Gesundheitsexperte der CDU. „Es ist schon lange Konsens, sie personell und finanziell zu stärken. Doch als es darum ging, dies im Haushaltsplan klar- zumachen, finanzierte die SPD lieber so was wie Unisex-Toiletten.“ Noch immer fehlen 150 Ärzte, Therapeuten und IT-Leute in den Gesundheitsämtern – und auch die Mittel für die Kliniken sind nach wie vor niedriger als im Bundesschnitt.
Linke: Gesundheitsämter als Baustelle erkannt
Rot-Rot-Grün hatte angekündigt, dies ändern zu wollen. Im Koalitionsvertrag heißt es sogar, die bezirklichen Gesundheitsämter würden zu „wesentlichen Säulen“ der Versorgung ausgebaut. Noch 2016, als die CDU das Gesundheitsressort mit Mario Czaja besetzt hatte, forderten Linke und Grüne lautstark mehr Geld für Ämter und Kliniken. Wolfgang Albers (Linke) sagte nun, immerhin werde der Gesundheitsdienst endlich als Baustelle erkannt, ob die Steine dafür ausreichen, werde sich zeigen. „Die Ankündigungen des Senats klingen vielversprechend“, sagte Peter Bobbert, der Landeschef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, „nun müssen Taten folgen.“ Noch warten, wie berichtet, Schulkinder, Flüchtlinge und Wohnungslose in den Ämtern oft Wochen auf nötige Untersuchungen – während täglich 100 Männer, Frauen und Kinder neu in die Stadt ziehen.
Schon Ex-Senator Czaja hatte versucht, mehr Ärzte für Hygienekontrollen, Schuluntersuchungen und Suchthilfen zu verpflichten. Neuangestellte in den Ämtern werden seitdem in der Gehaltstabelle gleich so eingestuft, als arbeiteten sie schon länger dort – und bekommen deshalb höhere Löhne als in den Ämtern üblich war. Trotzdem erhalten Mediziner in den Ämtern rund 1000 Euro brutto weniger im Monat als ranggleiche Kollegen in den Kliniken.
CDU: Rot-Rot-Grün meint es nicht ernst
Gesundheitssenatorin Kolat kündigte an, bis zum Sommer den gestiegenen Bedarf in den Ämtern zu ermitteln – und dann neue Ziele für die Gesundheitsdienste festzulegen. Dies bedeutet, dass nicht nur die 150 Stellen besetzt werden müssen, sondern darüber hinaus wohl weitere 150 Fachleute gebraucht werden. Berlin wird schließlich größer.
„Wenn es Rot-Rot-Grün ernst meinte“, sagte CDU-Mann Ludewig, „hätte die Koalition das im gerade verabschiedeten Nachtragshaushalt eingeplant. Stattdessen segnet sie eine Klinikschließung ab – in einer wachsenden Stadt!“
Ludewig meint das Franziskus-Krankenhaus in der Budapester Straße, dass bis 2021 geschlossen werden soll. Das hatte der Träger, der katholische Elisabeth-Vinzenz-Verbund, angekündigt. Die 120 Krankenbetten aus der Budapester Straße sollen ins St.-Joseph-Krankenhaus nach Tempelhof umziehen. Noch muss Senatorin Kolat der Schließung an der Budapester Straße zustimmen. Die erst vor einigen Jahren modernisierte Rettungsstelle des Krankenhauses mitten in der City am Zoo fiele allerdings weg. „Die Rettungsstellen aller Kliniken sind überlastet“, sagte Marburger Bund-Chef Bobbert. „Nun einen Standort abzuwickeln, ist falsch.“
Geburtenboom - zu wenig Kreißsäle
Wie viele Kliniken ist das Franziskus-Krankenhaus defizitär. Das liegt, da sind sich viele Branchenkenner einig, auch am Finanzierungssystem, also den Bundesgesetzen. Grob vereinfacht gilt: Das Land ist verpflichtet, in Bauten und Technik relevanter Kliniken zu investieren. Berlin macht das seit Jahren nicht ausreichend. Die Krankenkassen wiederum bezahlen Personal und Medikamente. Dies erfolgt pauschal pro Diagnose, oft unabhängig davon, wie aufwendig ein Patient versorgt wurde.
In den Ärzteverbänden der Stadt wird inzwischen auch über die Geburtsstationen diskutiert. Fraglich ist, ob die Kreißsäle noch ausreichen. In einem Haus der landeseigenen Vivantes-Kliniken musste kürzlich ein Büro zu einem Entbindungsraum ausgebaut werden. Mehr als 41.000 Kinder wurden vergangenes Jahr in Berlin geboren, das sind rund 10.000 mehr als 2006. Entsprechend dringend werden auch Hebammen gesucht. Der Marburger Bund wird an diesem Montag in der Akademie der Wissenschaften über „100 Tage Rot-Rot-Grün“ diskutieren – zusammen mit den Gesundheitsexperten des Abgeordnetenhauses.