Flughafen-Entscheid in Berlin: Wie ein grünes Paradies in Tegel zur Lärmhölle wurde
In der Hoka-Siedlung in Tegel leiden die Menschen besonders unter dem Krach der Flugzeuge. Sie engagieren sich in einer Bürgerinitiative.
Im Kampf gegen die Offenhaltung des Flughafens Tegel geht es gerade in der Hoka-Siedlung in Tegel um große und um kleine Fragen. Sollen sie T-Shirts drucken für die Demonstration vor der Urania am Dienstag, wenn der Regierende Bürgermeister Michael Müller und andere Politiker über den Flughafen diskutieren? Oder doch Tegel Kosten sparen und Warnwesten mit Aufklebern versehen? Die Nachbarn der ehemaligen Siemens-Siedlung am Hohenzollernkanal haben sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen. Jetzt, nur ein paar Tage vor dem Volksentscheid, treffen sie sich häufiger, planen Schichten an Informationsständen, drucken Sticker, Flyer, lassen Dampf ab.
800 Meter vom Haus bis zum Flughafengelände
Von den 300 000 Menschen, die vom Tegel-Fluglärm betroffen sind, gehören sie zu den größten Leidtragenden. 800 Meter sind es von Fritz Jüngers Haus in der Straße R bis zum Zaun des Flughafengeländes. Nimmt man ein Lineal und verlängert damit auf der Karte die Hauptlandebahn, dann stößt man auf sein Haus und das seines Mitstreiters Peter Lüttke (52). Wie der Flughafen ihren Alltag beeinflusst? „Massiv, einfach nur massiv“, sagt Lüttke. Ein großes Problem sei, dass sie nachts nicht durchschlafen können, weil das Nachtflugverbot, das eigentlich von 23 bis 6 Uhr gilt, durch viele Ausnahmegenehmigungen ständig aufgeweicht wird.
Seit der Absage des BER-Eröffnungstermins im Frühjahr 2012 sei es noch viel schlimmer geworden. Seitdem muss der kleine Flughafen noch viel mehr Passagiere abfertigen, und Peter Lüttke, Fritz Jünger, seine Frau Angelika und Stephan Rochlitz müssen noch mehr Lärm ertragen. Jünger hat eine App auf seinem Handy, um den Fluglärm zu messen. „In Spitzen kommt man auf fast 100 Dezibel“, berichtet er. Das ist lauter als ein Presslufthammer. Alle zwei bis drei Minuten wird das Gespräch auf der Terrasse an diesem Spätsommerabend unterbrochen. Wegen des Gartens zogen die Jüngers vor 13 Jahren her. Sie hatten sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber sie waren sicher: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Flughafen schließt.
Völlig überraschend kam die Absage der BER-Öffnung
Dann kam der 8. Mai 2012. Die Siedlung hatte ein Straßenfest geplant, am Haus gegenüber der Jüngers hing ein Plakat, das jeden Tag die Zahl der verbleibenden Tage bis zur Schließung ihres TXL anzeigte. Dann die Absage. Völlig überraschend. „Wir haben uns verarscht gefühlt“, sagt Angelika Jünger. „Da weiß ich doch, warum es Politikverdrossenheit gibt. Das ist mir noch nie so konkret vorgeführt worden wie hier“, sagt ihr Mann Fritz.
Die „Tegelretter“-Kampagne der Berliner FDP hat für ihn ein „widerwärtiges Geschmäckle“. „Was heißt schon Tegelretter? Wohnraumvernichter – schlichtweg. Was brauche ich einen Flughafen mitten in der Stadt? Ich brauche Wohnungen, Gewerbe, die Hochschule.“ Das Nachnutzungskonzept für Tegel, das vorsieht, dort den zweiten Standort der Beuth-Hochschule entstehen zu lassen, sowie 9000 Wohnungen und Gewerbe mit etwa 20 000 Arbeitsplätzen, finden die Anwohner gut. Dass es der FDP wirklich um Tegel geht, bezweifelt Jünger. Spätestens als Sebastian Czaja bekannt gab, die FDP wolle Neuwahlen fordern, wenn der Senat sich bei einem Ja zu Tegel nicht dafür einsetzen würde, war ihm klar: „Es geht nicht um Tegel. Es geht um Macht.“
Früher fielen auch Dachziegel runter
Der Lärm ist nicht das einzige, was den Menschen zu schaffen macht. Die Luftwirbel, die Flugzeuge erzeugen, lockern die Dachziegel ihrer Dächer. Früher fielen sie auch runter. „Für solche Fälle haben wir eine spezielle Telefonnummer, das ist der TXL-Dachdecker“, erzählt Jünger. Und dann ist da das Sicherheitsrisiko. Vor ein paar Tagen habe ein Pilot über ihrem Haus durchstarten müssen, erzählt Jünger. Und das habe sie schon bange gemacht. Warum sie nicht wegziehen? „Weil das unser Zuhause ist“, sagt Angelika Jünger. Ihr Zuhause verlassen würde sie erst, wenn sie alles Mögliche probiert hätten. Ihr Mann sagt: „Zum Schluss ist es der Klageweg. Ich werde keine Mittel auslassen.“
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