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Hannes Gruber betreibt das „Mysliwska“ in Kreuzberg. Der Name kommt von einer polnischen Wurst.
© Kitty Kleist-Heinrich

„Wash Your Hands, Please“: Wie ein Barbetreiber Künstlern während der Coronakrise helfen will

Barbetreiber Hannes Gruber will mit einem Streamingdienst Künstlern helfen, die wegen des Virus nicht mehr bei ihm auftreten können – gar nicht so leicht.

Hannes Gruber hat eine ruhige, unscheinbare Art. Er neigt nicht dazu, zu viel zu reden, steht nicht gern im Rampenlicht. Und wenn man länger mit ihm schweigt, wird es nicht unangenehm. Schwer vorzustellen, dass sich jemand in seiner Gegenwart unwohl fühlen könnte. Das macht ihn unter anderem zum hervorragenden Gastgeber.

Sich selbst beschreibt er als jemanden, der gerne Menschen zusammenbringt und Dinge anschiebt – und das tut er auch. Aktuelles Projekt ist ein Streaming-Dienst für Künstler, denen durch die Coronavirus-Pandemie Bühnen und Verdienstmöglichkeiten fehlen – Arbeitstitel „Wash Your Hands, Please“.

Seit März 2019 ist Gruber zusammen mit „Kompagnon“ Karsten Konrad Mitbetreiber der Bar Mysliwska in Kreuzberg, benannt nach einer polnischen Wurst, weil der ursprüngliche Betreiber Pole war. Mit einer Fleischerei wird die Bar auch von Polen nicht verwechselt – der abblätternde Putz und die nikotingetränkte Einrichtung sprechen eine andere Sprache.

Das Mysliwska gibt es schon seit dreißig Jahren, Kompagnon Konrad ist seit fünfundzwanzig dabei. Hauptberuflich ist er Professor für Bildhauerei und Multimedia an der Universität der Künste. Gruber selbst ist Künstler. Er performt manchmal, malt, assembliert und erweitert seine Bilder gerne um lebende Menschen, die sich wie Gegenstände verhalten. 2013 brachte er ein Kunstbuch mit dem Titel „Patient“ heraus. Darin zu sehen sind Zeichnungen von leeren Krankenhausbetten, diesen „zwischen Sportwagen, Hightech, Krankheit und Heilung stehenden Objekten, in die niemand will, die aber eigentlich dazu da sind, dass es einem besser geht.“

Es dränge sich geradezu auf, sagt er, diese Serie heute fortzusetzen, gleichzeitig sei es aber schwierig, mit dem Thema nicht ins Makabre abzurutschen. Heute, das heißt, in der Coronakrise, in der Krankenhausbetten allzu eindeutige Assoziationen erwecken. Und in der nicht nur die Bars, sondern auch der gesamte Kultursektor auf Stand-by steht.

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Aber weil Gruber einer ist, der gerne Menschen zusammenbringt und Dinge anschiebt, fällt ihm der Stillstand womöglich noch schwerer als vielen. Er veranstaltet schon lange an wechselnden Orten gesellige Themenabende, Gesprächsrunden, Ausstellungen, Auftritte von Musikern. Mit ihm, sowie den Comedians Freddi Gralle und Anna Beros, war im Mysliwska gerade eine wöchentliche Stand-up-Comedy-Reihe angelaufen, dann kam das Virus. „Gerade Comedy“, sagt Gralle, „ist auf die unmittelbare Reaktion, das Lachen des Publikums angewiesen, wie kaum eine andere Kunstform. Comedy als Videocast, also in einem Vakuum witzig zu sein, das wäre kaum denkbar“.

Auch Gralle und Beros sind an „Wash Your Hands, Please“ beteiligt und erarbeiten Möglichkeiten, die Interaktion technisch zu lösen – sei es mit wenigen Leuten vor Ort oder mit direkter Antwortmöglichkeit übers Netz.

Die allermeisten Künstler Berlins, ob Comedians, Musiker, Performer im weitesten Sinne, leben prekär. Zum Beispiel Sven, der eigentlich ganz anders heißt. Sven ist ein Paradigma, dem viele Künstler Berlins entsprechen. Er putzt in kleinen Klubs und Bars, in denen er nachts auch mal DJ-Sets spielt. Es kommt vor, dass Sven nach dem Gig sein DJ-Equipment zusammenpackt, vielleicht noch ein Bier am Tresen trinkt und mit anderen Gästen über Musik philosophiert, um anschließend, wenn alle raus sind, den Besen aus dem Kabuff zu holen, heißes Wasser in einen Eimer laufen zu lassen und den zugemüllten Boden zu fegen, klebrige Flächen zu wischen und die Klos von Urin, Kotze und allem anderen, was im Laufe einer durchzechten Nacht schon mal danebengehen kann, zu befreien.

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Wenn Sven in den frühen Morgenstunden die Bar verlässt, hat er schon zum zweiten Mal Feierabend. Wegen Corona sind ihm beide Einkommen auf einmal weggebrochen. Sven steht für viele Künstler Berlins, die offiziell gar nicht als Künstler existieren, deren Lebensunterhalt sich aus zahlreichen geringfügigen Jobs zusammensetzt. Das Finanzamt kennt ihn vermutlich nicht, Krankenversicherungen haben noch nie von ihm gehört. Und wenn Künstler, wie erwogen wird, eine Stütze zur Überbrückung der Auszeit bekommen, fliegt Sven ziemlich sicher unter dem Radar und sieht keinen Cent. Bis zur Bewilligung von Hartz IV reichen seine Rücklagen auch nicht.

Gruber will mit „Wash Your Hands, Please“ eine Auftritts- und Zuverdienstmöglichkeit für Leute schaffen, die, wie Sven, unter dem Radar fliegen. Und zwar coronasicher, weil online und mit einer Bezahloption, voraussichtlich auf Spendenbasis, die etwa über eine Crowdfunding-Plattform realisiert wird. „Die Leute haben nicht nur ein finanzielles Interesse, es sind Bühnenmenschen, die wollen wieder auf die Bühne“, sagt Gralle.

Premiere soll am 28. März sein, die Vorbereitungen sind im Gange. „Wir führen Gespräche mit einigen Agenturen, Scouts und Leuten aus unserem Umfeld wie Ran Huber von ,AmStart‘, um auch bekannte Künstler mit Strahlkraft an Bord zu holen, die den Kollegen damit helfen können“, sagt Gruber. Viele sind schon lange mit dem Mysliwska verbandelt, aber jetzt in der Ungewissheit verschwunden.

Eine Bar ist immer auch ein Knotenpunkt sozialer Kreise – ist sie geschlossen, fallen viele zwischenmenschliche Beziehungen weg. „Die Bar gibt es schon seit dreißig Jahren“, sagt Gruber, „für viele Stammgäste ist sie längst so etwas wie ihr eigentliches Wohnzimmer. Es geht also auch darum, ein Lebenszeichen von uns, der Bar und den Menschen von hier zu senden.“

Die Stream-Premiere soll am 28. März sein. Wenn es gut läuft, wird daraus eine Serie. Wer das Projekt mitverfolgen, unterstützen, oder selbst als Künstler mitmachen will, bekommt weitere Infos auf der Facebook-Seite der Bar.

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